„Genug Platz für einen Zwischenraum, in dem man Dutzende von Goldbarren transportieren kann, während oben unverdächtiges Material liegt“, stellte Serron fest.
„Wenn wir jetzt noch herausfinden, wer die schwarz gekleideten Reiter sind, die die nächtlichen Transporte begleiten, sind wir nahe daran, das Rätsel zu lösen“, sagte ich.
Serron sah sich um, als erwarte er, diese Gestalten direkt hinter uns zu sehen. Aber niemand schien bisher unsere Annäherung bemerkt zu haben.
„Wenn es einen unterirdischen Teil dieses Gebäudes gibt, dann befindet er sich unter unseren Füßen“, sagte ich. Ich drehte mich um und deutete nach hinten. „Falls es ein Stollen oder ein Gang ist, können wir das andere Ende suchen. Übersteigen wir die Kuppe des Hügels und sehen nach, wie es weitergeht.“
Wir bewegten uns weiterhin vorsichtig, um nicht von unten entdeckt zu werden. Auf der anderen Seite der Hügelkuppe wurde deutlich, dass diese Erhebung zu einem Höhenzug gehörte, der sich weit geschwungen nach Südosten hinzog. Wir folgten ihm etwa eine halbe Meile weit. Dann sahen wir seitlich unter uns einen mehrfach gestaffelten Zaun, der bis an den Rand des Waldes heranreichte.
„Dort beginnt das Gelände der Goldschmelze“, sagte Haram aufgeregt. „Dieser Zaun besteht aus mehreren Reihen von Holzlatten, einige davon verstärkt durch ein Geflecht aus Eisendraht. Dazwischen patrouillieren Wachsoldaten. Wir müssen uns tiefer in den Wald zurückziehen!“
Wir schlichen eine Zeitlang im Schutz der Bäume nach Norden. Hinter dem Zaun war die Schmelze: viele Lagerhallen und wuchtige Bauwerke mit hohen Schornsteinen. Aus denen stiegen die Qualmfahnen auf, die wir bei unserer Ankunft in Gandacker schon aus der Ferne sahen. Alle Gebäude waren aus Ziegeln errichtet. Es schien nicht einen einzigen normalen Holzschuppen zu geben.
Die Zahl der Wachen, die unterwegs waren, überraschte mich. Selbst Arbeiter, die Handkarren schoben, wurden von einem Wachsoldaten begleitet. Dabei hatte Haram gesagt, nur wenige Soldaten seien berechtigt, das Gelände der Schmelze zu betreten. Ich folgerte daraus, dass es hier sogar eine fest stationierte Einheit gab, die zum Betrieb gehörte.
Schließlich entdeckten wir, wonach wir gesucht hatten: Ein niedriges Bauwerk, das direkt an die Flanke des Hügels angebaut schien - das also vermutlich der Eingang des Stollens war, der bis zum Fuhrpark reichte. Dieses langgezogene Gebäude war durch einen ebenerdigen, holzverkleideten Gang verbunden mit einem großen Haus. Man man konnte also nicht sehen, ob etwas hinein oder heraus gebracht wurde.
„Hier gibt es nichts Neues zu entdecken“, sagte ich schließlich. „Kehren wir zurück zur Taverne, man wird uns schon vermissen.“
Es ging auf Mittag zu, weshalb wir doppelt vorsichtig waren. Es würden mehr Menschen unterwegs sein, und die letzten Spuren des morgendlichen Nebels hatten sich ebenfalls verflüchtigt.
Dieser Vorsicht war es zu verdanken, dass wir unsere Verfolger rechtzeitig bemerkten. Hinter uns im Wald kam es immer wieder zu auffälligen Geräuschen. Äste knackten und Blätter raschelten. Das hörte vorübergehend auf, wenn wir uns umdrehten, fing aber nach einer Weile wieder an.
Haram sah mich und Serron ängstlich an. Ich nickte ihm aufmunternd zu und verständigte mich mit ein paar Zeichen mit meinem Freund. Unsere Vorgehensweise war klar, wenn auch nicht ungefährlich.
Ich ging mit Haram weiter, als wäre nichts geschehen. Serron versteckte sich hinter einem dicken Baum an unserem Weg. Die Verfolger waren nicht nahe genug, um sofort zu erkennen, dass wir nur noch zu zweit waren. Dazu war der Wald zu dicht. Sie würden hoffentlich an Serrons Versteck vorbeigehen, wodurch er in ihren Rücken gelangte.
Mit einem Pfeifzeichen, das dem Ruf eines Vogels glich, sollte er mich dann informieren, dass die List funktioniert hatte.
Der Plan klappte. Nach einer Weile hörte ich Serrons Pfiff. Haram hatte ich inzwischen flüsternd informiert. Ich zog meinen Degen und er seinen Dolch, und wir wandten uns gleichzeitig um in die Richtung unserer Verfolger.
Zunächst sahen wir niemanden.
„Kommt heraus!“, rief ich. „Wenn ihr anständige Leute seid, werden wir euch nichts zuleide tun.“
Ich rechnete zwar nicht damit, aber es war nicht unmöglich, dass sich ein paar Dorfburschen aus Neugierde auf unserer Spur befanden. Denen wollte ich nicht gleich die Klinge zwischen die Rippen jagen.
Als sich daraufhin niemand rührte, ging ich Schritt für Schritt auf unserer Spur zurück, immer bereit, sofort zuzustoßen. Haram blieb zwei Armlängen entfernt neben mir, sodass sich die Gegner teilen mussten, um uns beide gleichzeitig anzugreifen.
Hätten sich die Dummköpfe weiter versteckt gehalten, wir wären in ihre Falle gelaufen - allerdings war Serron ja bereits hinter ihnen. Aber weil wir uns ihnen offen näherten, hielten sie die Spannung nicht länger aus. Sie sprangen mit gezogenen Säbeln hinter den Bäumen hervor. Es waren vier, und ihnen war bis zu dem Moment völlig entgangen, dass bei uns einer fehlte. Nun merkten sie es. Anstatt uns sofort anzugreifen, sahen sie sich suchend um. Serron blieb in Deckung, also wandten sie sich wieder uns zu.
„Es ist verboten, hier zu spionieren“, rief einer von ihnen.
Bevor ich etwas entgegnen konnte, sagte sein Nebenmann: „Halt den Mund. Wir müssen sie umbringen.“
Nun machten sie ohne weitere Warnung ernst. Zwei drangen auf mich ein, zwei auf Haram. Der wich ziemlich geschickt zurück, während ich einen Schlag parierte, und gleich darauf einen Kerl mit der Klinge am Arm traf.
Serron griff mit seinen Wurfmessern in den Kampf ein. Kurz hintereinander fielen zwei der Männer zu Boden. Einer rührte sich nicht mehr, der andere wand sich in Todesqualen. Haram und ich standen nur noch jeweils einem Gegner gegenüber. Die beiden waren ziemlich überrascht vom Verlauf ihres Angriffs. Nun war es für mich einfach, einen Stoß anzubringen, der den Säbelschwinger entwaffnete. Ein zweiter Stoß fügte ihm eine so starke Wunde zu, dass er seine Waffe auch mit der linken Hand nicht mehr aufheben konnte. Er wollte weglaufen, aber die Spitze meines Degens an seiner Kehle überzeugte ihn davon, dass es besser war, stehenzubleiben.
Neben uns fiel der dritte Mann zu Boden. Vorne steckte Harams Dolch in seinem Bauch, hinten Serrons Wurfmesser im Rücken. Der verwundete Kerl vor mir zitterte vor Angst.
Serron blieb in Deckung, für den Fall, dass weitere Gegner auftauchten. Wenn wir dann zu dritt beisammen standen, boten wir denen ein leichtes Ziel. Diese Blöße wollten wir uns nicht geben.
„Wer bist du und warum wolltest du uns töten?“, fragte ich unseren Gefangenen.
„Hier darf niemand sein“, presste er stöhnend vor Schmerzen heraus.
„Wer sagt das?“, fragte ich.
Er antwortete nicht.
Ich drückte die Spitze des Degens fester gegen seinen Hals. „Du wirst langsam sterben, wenn du nicht redest“, drohte ich. „Ich werde dir ...“
Weiter kam ich nicht, weil er in einem Anfall selbstmörderischer Verzweiflung versuchte, seitlich an meinem Degen vorbei nach mir zu greifen. Im nächsten Moment war er tot.
„Was sollte das?“, fragte ich Haram.
„Er hatte weniger Angst vor dem Sterben als davor, zuzugeben, wer sein Auftraggeber ist“, antwortete der Händler.
„Was waren das nur für Kerle?“, überlegte ich und sah mir die vier Toten genauer an. Sie waren kräftig, wirkten aber nicht trainiert. Also vermutlich keine Söldner und auch keine Räuber, die zu einer Bande gehörten. Eher Leute, die jemand für diese Aufgabe angeworben hatte. Auch ihre Waffen waren nicht sonderlich professionell. Einfache Säbel, Billigware, wie man sie auf Dorfmärkten erwerben konnte.
Serron kam zu uns. „Wenn man hier so sehr darauf achtet, dass niemand den Zaun zur Schmelze ausspioniert, könnten noch mehr von der Sorte unterwegs sein. Wir sollten schnell verschwinden.“
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