„Warum sagt uns nicht der Direktor selbst, was er möchte oder nicht möchte?“, fragte ich, ohne hochzusehen. „Wenn er uns für so unwichtig hält, dass er ein Gespräch mit uns nicht seiner Zeit wert findet, sollten auch Sie sich nicht mit uns abgeben. Lassen Sie uns endlich alleine!“
Ich hatte die Machtverhältnisse richtig eingeschätzt: Seltran Pollk, der Vertreter des Fürsten, hatte das Sagen. Selbst Berthon wagte nicht, zu widersprechen, als der nun verkündete, man werde gehen.
Eine Minute später waren die drei Männer und die Wachsoldaten wieder draußen.
„Das war seltsam“, sagte Serron.
„Dass ein Kurrether sich jemandem unterordnet?“, fragte Gendra.
„Nein, der Vertreter des Fürsten hat etwas gesagt, das über das ich mir Gedanken mache.“
Ich nickte. „Das ist mir auch aufgefallen. Der Fürst, und folglich auch sein Vertreter hier, sind misstrauisch gegenüber Fremden, die im Auftrag eines anderen Fürsten oder der Königin-Witwe unterwegs sind. Man würde eigentlich das Gegenteil erwarten, nicht wahr?“
„Man könnte daraus folgern, dass der Fürst etwas zu verbergen hat“, bestätigte Serron.
Haram sah aufmerksam von einem zum anderen und meinte dann: „Aber der Vertreter des Fürsten hat das doch vor allen geäußert. Das würde bedeuteten, der Kurrether und der Mann, der Ron Kunjak heißt, sind eingeweiht in das, was der Fürst zu verbergen hat.“
„Es kann sich also nicht um ein besonders großes Geheimnis handeln“, folgerte ich. „Auch die Wachsoldaten haben zugehört. Wer dieser Kunjak ist, weiß ich nicht. Fragen wir den Wirt.“
Der kleine, dicke Mann hatte uns die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Aber er blieb dabei weit genug von unserem Tisch weg, um unser Gespräch nicht mithören zu können. Was die hohen Besucher gesagt hatte, war jedoch zum Teil so laut gewesen, dass er - und andere im Gastraum - es gehört haben mussten. Auf einen Wink von mir kam er zu uns.
„Sie haben gesehen, wer uns beehrt hat“, begann ich. „Leider hat einer der Herren vergessen, sich uns vorzustellen. Er hört auf den Namen Kunjak. Wissen Sie, welche Position er innehat?“
„Er ist der Leiter des Fuhrparks“, lautete die Antwort.
Wie der Wirt das aussprach, war bemerkenswert. Es klang Furcht durch, und er verließ uns gleich wieder unter dem Vorwand, ein anderer Gast verlange nach ihm.
„Der Leiter des Fuhrparks kommt mit zwei Männern, die in der Hierarchie deutlich über ihm stehen?“ Nicht nur ich fand das seltsam.
„Seine Position muss hier bedeutender sein, als es sonst der Fall ist“, sagte Serron.
Ich wandte mich an Haram. „Wo befindet sich der Fuhrpark?“
„Die Fahrzeuge und die Pferde stehen in einem Taleinschnitt zwischen zwei Hügeln nordwestlich von hier. So habe ich es jedenfalls gehört. Wie alles in Gandacker wird er bewacht.“
„Kann man von den Hügeln aus das Gelände einsehen?“, wollte ich wissen. „Womöglich befinden sich dort die geheimnisvollen Kutschen und die Zugpferde.“
„Ich weiß es nicht“, gab Haram zu. „Fragen wir den Wirt.“
„Nein, besser nicht. Ich schlage vor, morgen stehen wir früher auf als geplant und machen einen Spaziergang. Die Landschaft im Nordwesten sieht jetzt im Herbst besonders verführerisch aus.“ Ich zwinkerte den anderen zu und sie grinsten zurück.
Nur Kar Andar und seine Frau Inda sahen unbehaglich drein.
Es lag Nebel über dem Tal des Sall, als wir uns bei Sonnenaufgang auf den Weg machten. Wir waren nur zu dritt - Serron, Haram und ich - um möglichst wenig Aufsehen zu erregen. In der Taverne hatten wir beiläufig erwähnt, wir würden uns nach einem neuen Zugpferd umsehen, weil eines von Haram Probleme mit den Gelenken hatte. Das wurde akzeptiert, niemand schien misstrauisch zu werden.
Wir gingen zu Fuß in den Ort Gandacker, durchquerten ihn und gelangten dann über eine Brücke auf die andere Seite des Flusses. Der Nebel schützte uns vor neugierigen Blicken. Nachdem wir aus dem Dorf heraus waren, begegneten wir niemandem mehr. Wir folgten einer gewundenen Straße, die gepflastert war und trotzdem Rillen als Zeichen starker Abnutzung aufwies.
„Wenn in dieser Richtung die Wagen und die Pferde stehen, die in der Goldschmelze beladen werden“, sagte Serron, „müssten sie eigentlich leer und folglich leicht sein, wenn sie hier entlang fahren.“
„Gut bemerkt“, bestätigte ich. „Die Rillen sehen aus, als würde diese Strecke häufig für schwere Transporte genutzt. Besser, wir verlassen jetzt die Straße.“
Wir gingen die Hänge der bewaldeten Hügel hoch und bewegten uns dort in gut fünfzig Schritt Abstand von der Straße weiter voran. Nach einer halben Stunde bemerkten wir erstmals ein Wagen, der uns entgegenkam. Es war ein normales Fuhrwerk, gezogen von vier kräftigen Pferden. Ein Mann saß auf dem Kutschbock, die Ladefläche war leer.
„Weiter“, sagte ich, nachdem der Wagen hinter der nächsten Biegung verschwunden war.
Wenig später verbreiterte sich die Straße zu einem Platz, der groß genug war, um Gespanne darauf zu wenden. Am Nordrand des Platzes standen Schuppen und Ställe. Wie viele es waren, konnte ich nicht erkennen, ebenso wenig, ob sich dahinter andere Gebäude befanden oder die Koppeln für die Zugtiere.
Auf dem Platz wurden gerade Pferde vor zwei Wagen gespannt. Auch dabei handelte es sich um normale Fahrzeuge. Eine Gruppe von Wachleuten in Lederrüstungen mit dem Wappen des Fürsten von Malbraan sah gelangweilt zu.
Wir beschlossen, noch höher zu gehen und den Platz im Schutz des Waldes zu umrunden. Wobei die Gefahr bestand, dass man auch hier oben Wachposten aufgestellt hatte, um genau das zu verhindern. Wir bewegten uns daher langsam und vorsichtig voran, um nicht bemerkt zu werden.
Aber anscheinend hielt man es nicht für notwendig, hier im Wald Wachen zu postieren. Das Gelände unten war eingezäunt, das schien man als ausreichenden Schutz zu erachten.
Zunächst fiel uns nichts Besonderes auf. Es war früh am Morgen, nur wenige Menschen waren bereits beschäftigt. Unter einem Überdach arbeiteten zwei Männer daran, ein neues Rad an einem Fuhrwerk zu montieren. Andere führten Pferde aus einem Stall heraus Richtung Vorplatz.
Alles schien normal, bis uns ein besonderes Gebäude auffiel. Es glich auf den ersten Blick den übrigen Schuppen und Ställen: Es war aus Holz gebaut, hatte ein Dach aus geteerten Brettern und keine Fenster. Aber es war direkt an den Hang herangebaut. Vielleicht sogar in den Hügel hinein. Das erinnerte mich an die Residenz des Fürsten Borran in Dongarth. Auch sie war auf den ersten Blick ein normales, wenn auch großes Haus, das sich jedoch in den massiven Fels hinein fortsetzte.
„Was könnte dort drinnen sein?“, fragte ich leise.
Serron, der neben mir stand, deutete auf den Boden vor dem Schuppen. „Die Rillen von schweren Wagen kommen aus diesem Tor. Hier werden nicht nur leere Fuhrwerke vorbereitet, hier werden auch Lasten bewegt. Und zwar häufig.“
„Das könnte der Ort sein, von dem die nächtlichen Transporte zur Küste beginnen“, bestätigte ich. „Falls dort drinnen Wagen beladen werden, will ich wissen, mit was.“
„Das herauszufinden, wird schwierig sein. Jetzt, bei Tageslicht, dürfen wir uns unten auf dem Gelände nicht blicken lassen.“
Haram war weitergegangen und zeigte nun auf etwas, das jenseits des Bauwerks stand. „Soldaten“, sagte er leise. „Und da hinten, im Eingang des anderen Schuppens, stehen noch mehr davon. Sie können von dort aus das Tor dieses Gebäudes beobachten. Ich glaube nicht, dass es möglich sein wird, ungesehen hineinzugelangen.“
„Schade. Sehen wir uns weiter um.“ Ich ging voran.
Wir gelangten schließlich zu den Pferdekoppeln und zu einem Abstellplatz für Fuhrwerke. Hier sahen wir zum ersten Mal Beweise für unseren Verdacht. Es gab Wagen, die sich ein wenig von den übrigen unterschieden. Sie waren ebenfalls für schwere Transporte gebaut, aber der Wagenboden schien etwas tiefer zu liegen als bei den anderen, dafür war die Ladefläche etwas höher.
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