Einen Moment später gab er ihn mir zurück. „Nein, der Stein ist frei von magischer Aufladung. Verwahren Sie ihn gut, Sie werden ihn noch brauchen.“
„Das klingt, als wüssten Sie Bescheid über meine bevorstehende Reise“, sagte ich.
„In der Akademie gibt es Vermutungen über das, was im Norden unseres Landes und jenseits davon vor sich geht“, antwortete er. „Wir wollen, dass Sie bestmöglich auf das vorbereitet sind, was Sie erwartet. Zeigen Sie mir Ihre Waffe.“
Wieder streckte er die Hand aus. Ich zog den Degen und hielt ihn quer vor mich, damit er die Gravur am Ansatz der Klinge sehen konnte. Es war das Symbol des alten Kaiserreichs, die fünfzackige Krone über dem Löwen.
Erneut schienen seine Augen aufzuleuchten, während er die Waffe betrachtete. Dann nickte er. „Ein Kaiserdegen. Eines der wenigen Relikte dieser Art in den Ringlanden. Er wird Ihnen wertvolle Dienste leisten. Bitte erlauben Sie, dass meine Begleiter auch die Waffen Ihrer Freunde in Augenschein nehmen.“
„Die besitzen keine besonderen ...“, begann ich.
„Eben deshalb.“
Ich hatte inzwischen genügend Zutrauen zu ihm gefasst, um Martie und Gendra durch ein Kopfnicken mein Einverständnis zu signalisieren. Sie zogen ihre Schwerter und ließen sie von den zwei Männern begutachten, die auf sie zutraten.
Interessanter war es mit Serron. Er trug zwar einen Dolch am Gürtel, aber das war eine Allzweckwaffe, wie sie jeder bei sich hatte. Seine eigentliche Bewaffnung bestand aus Wurfdolchen, die überall in seiner Kleidung versteckt waren. Er war nie bereit gewesen, zu zeigen, wo und wie sie dort befestigt waren, selbst mir gegenüber nicht.
Der vierte Magier ging zu ihm und zog seine Kapuze zurück. Er entpuppte sich als eine junge Frau mit kurz geschorenen Haaren und einer Tätowierung auf der rechten Wange. Sie lächelte, streckte die Arme aus und machte eine Geste, bei der sie ihre Hände bogenförmig um Serrons Gestalt herumführte.
Helle Flecke erschienen an verschiedenen Stellen seines Umhangs, auf seiner Jacke und seiner Hose. So rasch, wie sie aufleuchteten, verschwanden sie wieder.
Es geschah selten, dass ich meinen Freund fassungslos sah, weil das nicht seinem ausgeglichenen Charakter entsprach, aber diesmal war er es. Er starrte an sich hinunter und dann die Frau an, während sein Mund sich bewegte, ohne dass er etwas sagte.
Die Magi nickte, als wolle sie seine Überraschung bestätigen, zog ihre Kapuze über und kehrte ins Halbdunkel hinter Achain zurück.
„Keine der Waffen hat eine magische Wirkung“, begann Achain. „Das war zu erwarten. Sie sind auch nicht mit Flüchen belegt. Allerdings waren sie bisher nicht gegen Magie versiegelt, um einen Missbrauch zu verhindern. Das haben wir nun vollzogen.“
„Was heißt das?“, wollte ich wissen.
„Nehmen Sie es einfach so hin“, sagte Achain. „Sie alle können nun Ihren Waffen vertrauen, auch wenn Ihnen magische Wesen feindlich gegenüberstehen.“
„Wir können sie töten?“
„Nicht nur das. Sie selbst können nicht von Ihren eigenen Waffen getötet oder verletzt werden. Es gibt da viele Möglichkeiten, die ein guter Magier hat, um seine Gegner mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Aber genug geredet, beginnen Sie nun Ihre Reise. Der Auftrag, den Sie zu erfüllen haben, ist wichtig für die Zukunft der Ringlande. Ich wünsche Ihnen Erfolg!“
Ich wollte ihm nachgehen und ihn festhalten, um mehr zu erfahren. Offenkundig war er nicht nur über den Plan des Fürsten Borrat informiert, sondern kannte auch die Gefahren, die im Norden der Ringlande auf uns warteten.
Nun erging es mir wie vorher unseren Packpferden: Ich kam nicht vom Fleck. Ich konnte nur in die Dunkelheit starren, die uns umgab, nachdem das magische Licht erloschen war.
Nach einer Weile schwand das Gefühl, gefangen zu sein. Ich konnte mich wieder bewegen. Aber es war sinnlos, nun noch den Magiern zu folgen. Wir machten uns auf den Weg nach Norden.
2
Das Dorf hieß Bringg und lag zwischen den Hügeln des Höhenzugs, der das flache Land nordwestlich von Dongarth vom Tal des Sall trennte. An besonders sonnigen Abhängen in seiner Umgebung standen Rebstöcke, ansonsten bestimmten Obstbäume und Weideflächen das Bild der Landschaft. Weit auseinander liegende Gehöfte und vereinzelte Dörfer entlang der Straße zeigten, dass dieses Gebiet zwar dünn besiedelt, aber nicht arm war. Die Häuser sahen sauber und stabil aus, die meisten verfügten über Glasfenster. Die Zäune entlang der Weideflächen wiesen keine Löcher auf, sie wurden offenkundig bei Bedarf sofort ausgebessert.
Bringg war so etwas wie das Zentrum des ganzen Landstrichs. Hier gab es einen Heiler, einen kleinen Tempel, von dessen Gott ich noch nie gehört hatte, und Händler für all die Waren, die man in den umliegenden Dörfern benötigte. Darüber hinaus hatte Bringg aus meiner Sicht den Vorzug, nicht an der wichtigen Verbindungsstraße zwischen der Hauptstadt und Andalach zu liegen.
Vier Reiter mit zwei Packpferden waren sicherlich kein ungewohnter Anblick für die Landbevölkerung, aber doch einer, an den man sich vielleicht eine Zeitlang erinnerte. Deshalb wichen wir von der direkten Verbindung der beiden großen Städte ab und hielten uns südlich davon. Selbst wenn wir hier auffielen, würde kaum jemand die Leute in den Dörfern und auf den Höfen fragen, ob Fremde durchgekommen waren. Dazu lagen sie zu weit abseits.
Ich war während meiner mehrjährigen Wanderschaft aus meiner Heimatprovinz Krayhan nach Dongarth durch diese Region gekommen und hatte sie in guter Erinnerung. Die Menschen waren nicht gerade von überströmender Freundlichkeit gegenüber Fremden. Aber im Allgemeinen doch umgänglich und freizügig. Sie sprachen einen Dialekt, den Außenseiter kaum verstehen konnten, bequemten sich aber gerne, sich verständlich auszudrücken, wenn sie merkten, dass man ein Fremder war.
Deshalb hatte ich keine Bedenken, am vierten Tag unserer Reise in Bringg ein Gasthaus aufzusuchen, um wieder einmal in einem Bett zu schlafen. Unsere Pferde konnten eine Pause ebenso gut gebrauchen wie wir, und wir wollten die Vorräte auffüllen. Während unserer bisherigen Reise hatten wir immer unter freiem Himmel übernachtet. Der Herbst war sonnig, aber die Nächte schon kalt, weshalb es nicht gerade angenehm war, im Freien zu schlafen.
Niemand in Dongarth würde uns hier vermuten. Einmal ganz davon abgesehen, dass man uns dort sowieso für tot hielt, falls stimmte, was Romeran sagte.
Wir hatten mehr als genug Zeit gehabt, die Ereignisse in jener Nacht am Ufer des Donnan immer wieder zu besprechen. Insbesondere Serron hegte den Verdacht, der Fürst habe einfach dafür sorgen wollen, dass wir die Hauptstadt nicht betraten. Uns nach Norden zu schicken könnte ein Vorwand sein. Das hielt ich für übertriebenes Misstrauen gegenüber den Motiven des Fürsten Borran. Ich kannte den Mann lange genug, um ihm so eine Scharrade nicht zuzutrauen. Und dass die Magier uns aufgesucht hatten, war auch ein unerhörter Vorgang, der für die Wichtigkeit unseres Auftrags sprach.
Das größte Gasthaus in Bringg hieß Zum Märrelmann . Namensgeber war offenbar eine Figur aus der Volkssage, ein haariger, buckeliger Riese, der auf dem Schild dargestellt war, das über dem Eingang hing.
Ein Helfer kam heraus, kaum dass wir von den Pferden stiegen, und versprach, die Tiere nach hinten in den Stall zu bringen und zu versorgen. Unsere Bündel nahmen wir mit hinein, aber das Abladen der Packpferde überließen wir gerne ihm. Es war nichts Wertvolles in den Packen, und als wir sagten, wir würden Zimmer mieten, versprach er, alles dorthin bringen zu lassen.
Der Speiseraum des Gasthauses, in den man von der Straße aus trat, war gut besucht. Den gebräunten, verwitterten Gesichtern nach zu urteilen, stammten die meisten Gäste aus dem Dorf und seiner Umgebung. Sie waren es gewohnt, den ganzen Tag unter freiem Himmel zu arbeiten. Aber in einer Ecke saßen zwei Männer und eine Frau, die besser gekleidet waren als die anderen, und eher wie Städter aussahen.
Читать дальше