„Ich muss persönlich mit Fürst Borran sprechen“, begann ich.
„Dazu ist keine Zeit! Sie können natürlich seinen Auftrag ablehnen, aber ...“ Romeran sprach nicht weiter, und das musste er auch nicht.
Ich rief Serron, Gendra und Martie zu mir und berichtete ihnen, was man von uns erwartete.
Romeran ging derweil hinüber zu dem Steg, der auf den Kahn führte. Dort standen der Kapitän und die Matrosen. Soldaten waren bei ihnen, was bestimmt nicht für gute Stimmung sorgte.
Meine Freunde machten es mir insofern leicht, als sie sofort dem neuen Reiseplan zustimmten. Die Statthalterin des Fürsten Borran in Kethal hatte uns in seinem Namen bereits für unsere geleisteten Dienste reichlich belohnt. Die drei hörten die Golddukaten förmlich klimpern, die sie nun zu verdienen hofften. Sie unterstützten nicht einmal meine Absicht, zunächst nach Dongarth zu gehen.
„Da man in der Stadt das Gerücht über unseren Tod in Umlauf gesetzt hat, wäre es eine Sensation, wenn wir kurz darauf lebendig auftauchen“, wandte Gendra ein. „Das würde sich in den ganzen Ringlanden herumsprechen.“
Serron hatte wie immer den klarsten Kopf und durchschaute die Hintergründe: „Ich vermute, Fürst Borran hat mit der Todesnachricht in erster Linie die Kurrether im Sinn. Sie sollen glauben, wir können ihre Pläne nicht mehr durchkreuzen, wie wir es an der Küste getan haben.“
Das war ein Gedanke, der mir einleuchtete. „Du meinst also, die Aktion richtet sich gegen sie?“, fragte ich nach.
„Wo immer in den Ringlanden etwas Wichtiges geschieht, haben sie ihre Finger im Spiel. Der Verdacht liegt nahe, dass das ebenso für die Probleme gilt, von denen dir Romeran berichtet hat.“
Martie und Gendra stimmten Serron zu, und schließlich auch ich. Wir sahen uns die Pferde an. Es waren gesunde, ausdauernde Reittiere, aber nicht so wertvoll, dass sie unterwegs auffielen. Ihre Sättel waren von guter Qualität und mit ein paar Handgriffen auf unsere jeweiligen Bedürfnisse eingerichtet. Die Packpferde trugen alles, was man für eine längere Reise benötigte, einschließlich warmer Umhänge, Schlafdecken und Proviant.
Als ich mich wieder zur Meretha umwandte, zogen die Matrosen bereits den Steg ein. Das Schiff würde in die Mitte des Stromes treiben, wenden und zurück nach Westen fahren.
Romeran kam zu mir. „Ich sehe, Sie haben Ihre Entscheidung getroffen“, sagte er zu uns allen. „Seien Sie versichert: Es ist die richtige. Sie werden in Andalach einen Kontaktmann des Fürsten Borran treffen. Ihnen, Herr von Reichenstein, überreiche ich nun das Geld und einen Umschlag, in dem Sie weitere Hinweise auf diese Person und eine Nachricht finden. Verwahren Sie dieses Schreiben gut. Und jetzt muss ich mich von Ihnen verabschieden. Meine Pflichten rufen mich zurück in die Residenz des Fürsten. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.“
Er wandte sich um und ging. Gleich darauf hörte ich die Räder einer Kutsche, die im Dunkeln auf ihn gewartet hatte. Die Soldaten stiegen auf ihre Pferde und ritten davon.
Wir standen bald alleine am Ufer des Donnan.
„Was nun?“, fragte Gendra.
„Wir müssen bei Nacht die Brücke nach Norden überqueren“, sagte ich, „und zwar ungesehen.“
„Die befindet sich zwischen dem Händlerwasen und der Stadtmauer“, wandte Martie ein. „Dort sind auch nachts Leute unterwegs. Die Tavernen am Ufer des Stroms sind immer gut besucht.“
„Der schmale Weg direkt am Wasser wird in der Dunkelheit selten benutzt“, überlegte ich laut. „Man kann leicht ausrutschen und in den Strom fallen. Wenn wir die Pferde führen, sollte es uns gelingen, ungesehen zu passieren. Kommt uns jemand zu nahe, so steigen wir auf und preschen im Galopp über die Brücke. Wir tragen dunkle Umhänge, die Pferde sind schwarz und sicherlich schnell. Niemand wird uns erkennen, niemand kann uns aufhalten.“
„Na, gut. Los!“
Wir ritten ein paar Mal auf dem freien Platz entlang des Ufers hin und her, um die Pferde kennenzulernen. Dann wollten wir dem Weg folgen, den ich vorgeschlagenen hatte.
Wir kamen nicht weit.
Mein Pferd blieb unvermittelt stehen. Ich dachte, das Tier habe noch nicht verstanden, was ich von ihm will. Aber dann merkte ich, wie es zitterte und kurz davor war, auszubrechen. Ich versuchte, es zu beruhigen, und sah aus den Augenwinkeln, dass es meinen Freunden ebenso erging wie mir.
Die beiden Packpferde rissen die dünnen Leinen durch, an denen sie geführt wurden, und galoppierten davon. Aber nicht weit. Unvermittelt blieben sie stehen.
Alle Tiere erstarrten. Was auch immer die Ursache dafür war, sie verhielten sich nicht normal. Ich sprang aus dem Sattel und zog den Degen.
Die Pferde glotzten nun bewegungslos in dieselbe Richtung. Mir kam es vor, als wäre es das rötliche Leuchten der Magischen Akademie, das sie beeinflusste. Meine Vermutung war nicht ganz richtig.
Aus der Dunkelheit kamen mehrere Menschen auf unsere Gruppe zu. Meine Freunde standen kampfbereit neben mir und warteten auf die ersten verdächtige Bewegung der Fremden. Mit einem kurzen Blick sah ich, dass Serron den Bereich rechts von uns im Auge behielt. Martie drehte sich um und sicherte nach hinten. Vor ihm stand Gendra, um ihm den Rücken freizuhalten. Als eingespielte Kampfgefährten mussten wir uns nicht absprechen, um richtig auf eine Bedrohung zu reagieren.
Vier Personen waren es, die nun ein paar Schritte von uns entfernt stehenblieben. Es wurde hell, als hätte jemand eine Laterne entfacht. Aber das Licht entstand einfach mitten in der Luft. Nun war endgültig klar, wem wir gegenüber standen: Das waren Magier aus der Akademie. Trotzdem steckte ich den Degen nicht weg. Ein Stück Stahl kann auch einen Magier bremsen - falls es ihn erreicht.
Ein Mann trat vor und zog die Kapuze seines Umhangs zurück.
Ich war ihm bereits früher einmal begegnet. Er trug, im Gegensatz zu den meisten seiner Zunft, den Vollbart elegant gestutzt. „Magi Achain?“, fragte ich, ohne die Waffe zu senken. Dieser Gelehrte war Experte für magische Artefakte. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum ausgerechnet er hier war.
Er begrüßte mich mit einem Kopfnicken. „Ich will Sie nicht auf Ihre lange Reise gehen lassen, ohne ein paar Empfehlungen auszusprechen. Keine Sorge, die Magische Akademie ist auf der Seite des Fürsten Borran, auch wenn wir bisher nicht mit ihm darüber gesprochen haben.“
„Warum nicht?“, wollte ich wissen. Nun steckte ich den Degen weg. Aber meine Freunde würden wachsam bleiben. Die Umstände waren zu ungewöhnlich, als dass wir uns auf die Friedlichkeit der Magier hätten verlassen dürfen.
„Es schien nicht opportun“, wich er aus. „Kommen Sie näher und zeigen Sie mir den Ombudstein.“
Eigentlich hätte er nichts von dem großen Diamanten wissen dürfen. Zumindest nicht, dass der sich in meinem Besitz befand. Villur Schank hatte ihn mir gegeben, nachdem der Vorbesitzer - der Händler Mons Barrarat - ermordet worden war. Barrarat wiederum hatte den Edelstein von einem Reisenden aus dem fernen Land Ostraia bekommen. Dort galten diese länglich geschliffenen Diamanten als Zeichen besonderer Würde und einer hohen Stellung.
Zögernd holte ich das in ein dünnes Stück Leder gewickelte Schmuckstück heraus. Sein immenser Wert würde mich zum Ziel aller Verbrecher der Ringlande machen, sollte sich herumsprechen, dass ich es immer bei mir trug.
Achain streckte seine Hand aus und sagte dabei: „Niemand ist eingeweiht, Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen. Ich möchte nur herausfinden, ob dieser Ombudstein eine magische Wirkung entfaltet.“
Der fingerlange Diamant glitzerte in dem magischen Licht, das uns umgab, während Achain ihn vorsichtig hin und her drehte. Die kleinen, dunklen Augen des Magi begannen selbst zu leuchten, als ginge eine Kraft von ihnen zu dem Gegenstand seines Interesses über.
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