Der Wirt kam und fragte nach unserem Begehr. Schnell waren zwei Zimmer gemietet und im Voraus für eine Nacht bezahlt - ein großes für Martie, Serron und mich, ein kleines für Gendra. Dann setzten wir uns an einen Tisch und ließen auftragen.
Eine Stunde später war ich satt und müde. Das Bier wirkte nach den Anstrengungen der Reise doppelt und ich wollte ins Bett. Deshalb reagierte ich zunächst ungehalten, als ein Mann an unseren Tisch kam. Er gehörte zu den drei Städtern, die mir beim Hereinkommen aufgefallen waren. Graue Strähnen durchzogen seinen Kinnbart, seine Hände waren ungewöhnlich stark behaart. Er wirkte kräftig und schlau, auch wenn das Alter seine kleine Gestalt bereits gebeugt hatte.
„Haram Gonn“, stellte er sich vor. „Ich bin Händler und unterwegs nach Vinheim. Haben Sie denselben Weg?“
„Warum?“, fragte ich grob, ungehalten wegen der Störung.
„Ich suche Reisegefährten. Der Strecke ist gefährlicher als zu früheren Zeiten. Räuberbanden haben es auf das Gut und das Leben von Händlern abgesehen - und von jedem anderen, der ihren Weg kreuzt.“
„Woher wissen Sie, dass wir keine Räuberbande sind?“, fragte ich. Unsere Waffen waren ihm sicherlich nicht entgangen.
Er grinste. „Sie sind von Süden gekommen und sehen aus wie Großstädter. Also stammen Sie vermutlich aus Dongarth. Auch Ihre Aussprache weist darauf hin. Sie sind weit gereist, halten sich beim Trinken zurück und reagieren nicht erfreut, wenn ein Händler Sie um Hilfe bittet. Ein Räuber würde diese Gelegenheit willkommen heißen. Also, wie steht es?“
„Bringen Sie Waren nach Vinheim?“, fragte Gendra.
„Nur Werkzeuge für Küfer. Bandhaken und solche Sachen. Es gibt viele Werkstätten in den Weinbaugebieten entlang des Sall. In Vinheim kaufe ich dann Wein und transportiere ihn nach Nordosten, manchmal bis nach Kerrk, je nachdem, wo ich ihn verkaufen kann.“
„Warum sollten Räuberbanden einen Transport mit Küfereiwerkzeugen überfallen?“, wollte Serron wissen.
„Weil sie in den letzten Monaten jeden angreifen, der sich nicht zu wehren weiß“, begründete Haram Gonn. „Inzwischen gibt es so viele von ihnen, dass sie sich gegenseitig das Geschäft verderben. Sie nehmen alles, was sie bekommen können.“
„Setzten Sie sich zu uns“, forderte ich ihn auf. „Erzählen Sie uns mehr davon.“
Was wir in der folgenden halben Stunde erfuhren, war uns bisher nicht bekannt gewesen. Vielleicht wusste man es in der Hauptstadt Dongarth. Aber in den Städtchen und Dörfern am Unterlauf des Donnan, den wir ja auf der Meretha wochenlang entlang getreidelt waren, hatte es niemand erwähnt. Es lief darauf hinaus, dass Fürst Malbraan nach und nach die Kontrolle über seine Provinz verlor. Räuberbanden wurden nicht mehr verfolgt, Vergehen kaum noch geahndet. Früher schickte der Fürst Soldaten aus, um allzu dreiste Verbrecher zu fangen und hinzurichten, aber nun kümmerte sich niemand mehr darum. Gerüchte besagten, dass es im Norden der Provinz so erhebliche Probleme gab, dass der Fürst seine gesamte Streitmacht dorthin geschickt hatte.
Das führte dazu, dass die Städte ihre Stadtwachen verstärkten und die Tore nachts schlossen - soweit sie über eine Stadtmauer verfügten. Man überließ die Landbevölkerung, die Händler und die Reisenden sich selbst. Sie waren leichte Opfer für die Räuber. Bauernhöfe wurden geplündert, Häuser niedergebrannt und so viele Fuhrwerke ausgeraubt, dass bald der Handel zum Erliegen kommen würde, weil sich niemand mehr auf die Straßen wagte.
„Warum sind Sie dann noch mit Ihren Waren unterwegs?“, fragte ich Haram Gonn.
Er grinste, als er antwortete: „Wer den Gefahren trotzt, verdient in solchen Zeiten besonders gut. Die Küfer in den Weinbaugebieten brauchen Werkzeuge. Gehe ich das Risiko ein, sie ihnen zu liefern, kann ich den doppelten Preis fordern - und den bezahlen sie auch. Gleiches gilt für den Wein, den ich dann weiter transportiere. Ich verdiene an einem Fass heutzutage so viel wie sonst an dreien.“
„Und warum heuern Sie keine Söldner an, die Ihre Transporte beschützen?“, wollte Martie wissen. Er und Gendra verdienten manchmal auf diese Weise ihr Geld, wie so viele andere ehemalige Soldaten auch.
„Aus demselben Grund“, sagte Gonn. „Söldner verlangen heute das Doppelte und mehr des üblichen Solds, und die Vertrauenswürdigen unter ihnen sind gar nicht mehr zu bekommen. Die haben sich von den Vermögenden in der Provinz und von den Städten zu deren Schutz anwerben lassen.“
„Dann sollten wir es uns gut bezahlen lassen, falls wir mit dem Händler Gonn weiterreisen“, sagte Martie augenzwinkernd zu mir.
Geld und Gold waren aber nicht unser Problem, das wusste er. Also wandte ich mich an den Händler und sagte: „Wir können bis Vinheim gemeinsam reisen und wir fordern keine Bezahlung dafür. Aber wir waren so lange in anderen Teilen der Ringlande unterwegs, dass wir kaum etwas über die Ereignisse im Norden wissen. Als Gegenleistung für unsere Begleitung wünsche ich mir daher, alles zu erfahren, was Sie wissen. Und Empfehlungsschreiben an Händler und andere Leute, die Sie zwischen hier und dem Ringgebirge kennen.“
Er nickte und schien erleichtert, so billig davon gekommen zu sein. „Einverstanden. Meine zwei Wagen stehen hinter dem Gasthaus, wo die Männer der Dorfwache ein Auge auf sie haben. Morgen, eine Stunde nach Sonnenaufgang, fahren wir weiter.“
„Wir werden bereit sein“, versprach ich.
Am folgenden Vormittag ritten wir auf einer schmalen Straße neben den beiden Wagen des Händlers her. Unser Weg führte in weiten Windungen zwischen den Hügeln hindurch, die nun die Landschaft bestimmten. Bald würde das Gelände spürbar ansteigen und uns in die Höhenlagen des Mittelgebirges führen, bevor es auf der anderen Seite wieder nach unten ging ins Tal des Sall.
Die Frau, die wir am Vortag am Tisch des Händlers gesehen hatten, hieß Inda und war mit seinem Teilhaber Kar Andar verheiratet. Gonn saß auf dem Kutschbock des ersten Wagens und Kar mit seiner Frau auf dem des zweiten. Beide Wagen waren mit Planen überdeckt und dienten zumindest auf dieser Reise auch als Unterkunft für die Nacht. Die Werkzeuge, die sie transportierten, befanden sich in vier großen Kisten, die kaum ein Drittel der Ladeflächen einnahmen. Ab Vinheim sollten die Wagen voll beladen sein mit Weinfässern. Dann mussten der Händler und seine Begleiter unter freiem Himmel übernachten, auch wenn es schon Winter sein würde.
„Wir sind harte Leute“, kommentierte Gonn das, als ich ihn erstaunt ansah. „Solange es nicht so kalt ist, dass es dem Wein schadet, fahren wir.“
Er erinnerte mich von seiner Einstellung her an den Weinhändler Yazan Zocher, den wir auf dem Donnan kennengelernt hatten. Allerdings wies er nicht den Körperumfang Zochers auf und hatte auch nicht dessen Vorliebe für gutes, reichliches Essen. Nachdem wir während einer ersten Rast am Mittag den Proviant der drei Händler gesehen hatten, aßen wir lieber von unseren eigenen Vorräten. Sie ernährten sich ziemlich karg.
Dörfer lagen keine mehr direkt an unserem Weg. Wir kamen nur an Straßenkreuzungen vorbei, an denen einfache Hinweisschilde mit den Namen von Siedlungen oder großen Bauernhöfen angebracht waren. Vor allem aber begegnete uns niemand, was ein geradezu unheimliches Gefühl in mir auslöste. Die Straße war gut instand gehalten, mit dicken Steinen gepflastert und deshalb für Fuhrwerke geeignet. Mit unseren Reitpferden hielten wir uns lieber abseits, um die Hufeisen zu schonen. Deshalb konnten wir nicht mit den drei Händlern reden, außer wenn wir uns kurze Informationen zuriefen. Aber dass weder andere Wagen, noch Kutschen mit Reisenden, noch Reiter unterwegs waren, schien mir ein schlechtes Zeichen. War wirklich das ganze Leben in diesem Teil der Ringlande zum Erliegen gekommen?
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