Wir hatten die Satteltaschen von unsern Reittieren abgenommen, wie auch die Lasten von den Packpferden. Das meiste, was wir bei uns gehabt hatten, war nach unten in diese unheimliche Senke verschwunden.
Gendra und Martie kamen zu uns. Wir konnten uns nun gegenseitig gut erkennen, obwohl es Mitternacht sein musste. Der Glutkern im Zentrum des Trichters leuchtete in hellem Rot. Dann erfolgte das, was Serron vorausgesagt hatte: Mit einer Stichflamme brach das Feuer heraus. Das Licht blendete mich, als sie in den Himmel stieg. Doch nur wenige Atemzüge später fiel sie wieder in sich zusammen.
Ich beugte mich vor und sah nach unten. Der Trichter war noch tiefer geworden und an seinem Grund, in der Umgebung des Flammenkerns, bewegte sich etwas.
„Besser, wir fangen unsere übrig gebliebenen Pferde ein und verschwinden von hier“, sagte Martie. „Was auch immer dort unten lauert, ich möchte nicht hier sein, wenn es nach oben gekrochen kommt.“
Dem konnte ich nur zustimmen. Wir fanden unsere Tiere recht schnell, denn sie waren so verschreckt, dass sie uns genauso zu suchen schienen wie wir sie.
In einem Bogen bewegten wir uns zwischen den Bäumen zurück zur Straße. Die drei Pferde an den Zügeln führend gingen wir weiter, bis wir wieder eine windgeschützte Stelle fanden. Ohne unsere Schlafdecken und die andere Ausrüstung wurden es noch einige kalte Nachtstunden, in denen keiner von uns schlief.
In der Morgendämmerung gingen wir weiter, in der Hoffnung, uns durch schnelles Marschieren genügend Wärme zu verschaffen. Nach drei Stunden entdeckte Martie im Wald weitab vom Weg eine Holzhütte.
„Falls sie bewohnt ist, kann man uns dort helfen“, sagte er. „Wenn nicht, bietet sie uns zumindest Schutz. Vielleicht finden wir auch Gegenstände, die wir nutzen können.“
Wir verließen die Straße und gingen querfeldein auf die Hütte zu. Beim Näherkommen entdeckte ich einen feinen Faden Rauch, der kaum erkennbar aus dem Schornstein drang. Sofort teilten wir uns. Ich ging voran, Gendra folgte mir mit ein paar Schritten Abstand. Serron ging etwas abseits und Martie sicherte nach hinten. So waren wir am wenigsten angreifbar.
Bevor ich die Tür erreichte, öffnete sie sich. Ein alter Mann mit einem langen Bart sah uns entgegen. Er trug einen dunklen Umhang, der schäbig wirkte und an vielen Stellen geflickt worden war. Aber es handelte sich eindeutig um den Umhang eines Magiers.
Die Vorliebe dieser Zunft für lange Bärte war legendär, doch nicht jeder, der sich nie rasierte, beherrschte die Magie. Aber niemand, der nicht die Akademie des Zeuth in Dongarth absolviert hatte, würde es wagen, den Umhang eines Magi zu tragen.
Ich blieb stehen und deutete eine Verbeugung an. „Wir sind Reisende, die durch ein Unglück einige ihrer Pferde und ihre Ausrüstung verloren haben“, begann ich.
„Ein Unglück?“, rief er mit einer hohen, krächzenden Stimme. „Einer Trichterspinne seid ihr in die Falle gegangen. Wie kann man nur so dumm sein?“
Serron trat neben mich. „Da, wo wir zu Hause sind, werden Trichterspinnen kaum größer als ein Fingernagel“, sagte er. „Uns war nicht bekannt, dass sie hier in den nördlichen Landesteilen solche riesigen Fallen bauen können.“
Der Alte kicherte. „War euch nicht bekannt, was? Ja, das kann wohl sein. Mir war es bis vor ein paar Monaten auch nicht bekannt, obwohl ich seit Jahrzehnten in diesem Wald lebe.“ Er zeigte mit dem krummen Zeigefinger seiner zitternden rechten Hand nacheinander auf uns. Es schien, als würde jedes Mal ein kurzes Zucken durch den Finger laufen, wenn er auf jemanden deutete.
„Dürfen wir eure Hütte betreten?“, fragte ich. „Uns friert.“
„Betreten? Ja, wieso eigentlich nicht? Kommt herein. Wer hat eigentlich eure Waffen mit einem Schutzbann belegt?“
Da er in der Lage war, das zu erkennen, sah ich keinen Grund, es ihm zu verschweigen.
„Magi Achain und einige andere Mitglieder der Akademie haben uns eine gute Reise gewünscht“, behauptete ich, nachdem wir unsere Namen genannt hatten. „Dabei versprachen sie, unsere Waffen mit einem Schutz zu versehen.“
„Achain? Hat der junge Spund es tatsächlich geschafft, die Prüfung zu bestehen?“ Der Alte schüttelte ungläubig den Kopf. „Hat seinerzeit nichts als Streiche gespielt, statt zu lernen. Aber er war ganz gut, wenn es um das Bestimmen von Artefakten ging. Nicht so gut wie ich, versteht sich, aber für so einen Lausejungen ziemlich begabt.“
„Er ist heute einer der angesehensten Magier der Akademie“, sagte ich und konnte mir nicht verkneifen, hinzuzufügen: „Und er trägt einen kurzen Bart, der bereits erste Spuren von Grau zeigt. Reden wir von derselben Person?“
„Kann sein. Ich weiß nicht, wie viele Jahre ich schon hier lebe. Der Wald ist zeitlos. Er kennt die Tage, die Mondwechsel, die Jahreszeiten. Aber darüber hinaus kennt er nur das Wachsen und Vergehen von Bäumen. Achain ist also ein reifer Mann und angesehen. Wieso hat er euch nicht begleitet?“
„Warum sollte er?“, fragte ich verblüfft. Während wir uns unterhielten, sah ich mich in der Hütte um. Sie war größer als vermutet und hatte zwei Fenster, deren Scheiben aber verschmutzt waren. Alte Möbel standen herum, Kochgeschirr stapelte sich in einer Ecke. Im Kamin brannte ein Feuer, das angenehm wärmte. Ich konnte nicht genau erkennen, was dort brannte. Holz jedenfalls war es nicht, vielleicht Holzkohle. Das erklärte wohl auch, warum der Kamin so wenig Rauch in den Himmel schickte.
„Achain hat eure Waffen gegen magische Beeinflussung geschützt, also erwartet er, dass ihr auf eurer Reise einem Magier begegnet, der euch feindlich gesinnt ist“, sagte der Alte. „Dass er dies getan hat, beweist sein Engagement für die Sache, in der ihr unterwegs seid. Weshalb er, um eure Reise sicherer zu machen, euch hätte begleiten können. Denn der Schutz eurer Waffen wirkt nur gegen deren Beeinflussung. Allen anderen magischen Einflüssen seid ihr nach wie vor schutzlos ausgeliefert.“
Der Alte kicherte wieder, während er einen an der Decke hängenden Schinken herunter nahm und auf den Tisch legte. Aus einer Lade holte er einen Kanten Brot und legte ihn daneben. „Ausgeliefert seid ihr, jawohl! Sogar einem wie mir und den Trichterspinnen.“ Er deutete auf die Sachen auf dem Tisch. „Greift zu. Es ist ein weiter Weg bis zum nächsten Dorf. Ihr müsste bald wieder los, wenn ihr vor Einbruch der Nacht dort sein wollt.“
Ich ließ mir das nicht zwei Mal sagen. Es gab nur einen Stuhl, deshalb griff ich im Stehen nach dem bereitliegenden Messer und schnitt mir nicht zu knapp von dem geräucherten Schinken ab.
„Da ihr ein Absolvent der Akademie seid, sollten wir von euch nichts zu befürchten haben“, sagte ich kauend. „Im Gegensatz zu diesen monströsen Spinnen. Ihr sagtet, Ihr wisst auch erst seit einigen Monaten von deren Existenz. Sind sie aus einem anderen Gebiet eingewandert?“
Der Schinken schmeckte wunderbar mild, das Fleisch war zart und der Speck saftig. So perfekt bekam man ihn selbst in den besten Feinkostgeschäften der Hauptstadt nur selten zu kaufen. Auch meine Freunde waren begeisterte und schnitten sich schon die nächsten dicken Scheiben ab.
„Nein, es sind dieselben kleinen Spinnen, die es hier schon immer gab. Nur größer, eben. Da hat wohl jemand mit Magie nachgeholfen. Ein Magier der nicht so nett ist wie der alte Zarkos, nicht wahr? Vielleicht sogar derjenige, gegen den eure Waffen geschützt sind.“
„Ihr heißt Zarkos?“, fragte Serron. „Ich erinnere mich, diesen Namen gehört zu haben, als ich klein war. Zarkos der Magier, der den Kindern und den Tieren hilft. Aber die Erwachsenen und böse Menschen verachtete er. Ich dachte, das sei eine Sagengestalt, erfunden, um Kindern die Angst vor der Magie zu nehmen.“
„Man erzählt noch heute von mir?“ Die Augen des alten Mannes leuchteten auf. „Ja, ich hatte immer etwas übrig für Kinder und Tiere. Aber der Rest der Menschen, der kann mir gestohlen bleiben. Deshalb habe ich mich in den Wald zurückgezogen.“
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