Wollte ich nicht mehr leben oder wollte ich nur nicht so leben, wie es die Verhältnisse scheinbar diktierten? So gesehen, musste ich mir sagen, dass jeder Anfall eine Protesthaltung offenbart. Das Asthma, schreibt der Arzt Max Otto Bruker, nimmt eine Sonderstellung ein, „weil es die demonstrativste Äußerung des Organismus überhaupt ist.“
Was wollte ich denn erreichen, und wogegen protestierte ich auf diese versteckt aggressive Art? Kann ich mich, trotz meines ausreichenden Selbstbewusstseins, zu Hause und in der Redaktion nicht genügend durchsetzen? Weil ich vom Naturell und der Erziehung her eingebaute Bremsen habe? „Kleinheit und Dominanzanspruch“ des Asthmatikers lese ich im Psychobuch ...
Natürlich habe ich den mit dieser Krankheit verbundenen erpresserischen Mechanismus von Anfang an durchschaut. Ich würde mich hüten, damit zu operieren. Eher ist das Gegenteil der Fall, ich neige dazu, Einschränkungen herunterzuspielen. Es tut mir gut, dass mein Mann mit der Asthma-Situation so couragiert umgeht, dass er bei meinen Anfällen nie Angst zeigt und mir an Kräften noch so einiges zutraut. Ich muss bei den schweren Orientteppichen mit anfassen, beim Staubsaugen Staub einatmen – ja, ich gelte als „hart im Nehmen“. Erst später, in der anthroposophischen Klinik in Lahnstein, vermitteln mir die Ärzte, dass Schwäche auch legitim sein kann. Mit der eigenen Schwäche auch das Schwachsein anderer tolerieren, erkennen, dass die eigene Überforderung seelisch verhärten kann.
Was wird noch über den Asthma-Typ gesagt? Dass er egozentrisch sei, mehr nehme, als er geben, was sich ja in den Symptomen klar ausdrücke: Er schluckt Mengen an Luft, ohne sie wieder abgeben zu können. Dabei überbläht sich die Lunge – er ist also aufgebläht, aufgeblasen und arrogant. Auf ein bisschen Schmutz reagiert er überempfindlich – er möchte ein keimfreies, steriles anstatt ein wirklich lebendiges Leben. Seine körperliche Ohnmacht benutzt er zur Machtausübung gegenüber der Umwelt. Kein Rauch, kein Staubkörnchen darf in seine Sphäre eindringen. Menschliche Kontakte möchte er eher meiden, und so ist es schon eine Ironie, dass gerade er, ob er will oder nicht, mit den anderen verbunden ist: über die gemeinsame Luft, über den gemeinsamen Lebens- und Atemstrom. Schließlich kulminiert die Kontaktabwehr des Asthma-Typs in lebensgefährlichen Anfällen, da der Tod das gelungenste und vollkommenste Abgeschlossensein bedeutet.
Das war nun in der Tat kein schönes Charakterbild. Konnte ich mich damit überhaupt identifizieren? In mancher Hinsicht schon. So gehöre ich zu den Menschen, die schief hängende Bilder gerade rücken und keine Stunde lang einen Fleck auf ihrer Kleidung ertragen können. „Du hast die Fleckenkrankheit“, sagt mein Mann immer, wenn er mich schon wieder mit Chlorbleiche oder Gallseife hantieren sieht. Mittags, wenn ich zum Italiener ins Restaurant gehe, nehme ich ein witzig bedrucktes Lätzchen für Erwachsene mit, das per Klettband Halt gibt. Entgegen der den Asthmatikern zugeschriebenen Lebensfeindlichkeit esse ich gern genussvoll mediterran, schaffe es aber bei keiner Mahlzeit, ohne Flecken davonzukommen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich teure hautstreichelnde Cashmere-Pullover trage, nachdem ich die fusselnden, angeblich die Lunge belastenden Angora-Pullover abgeschafft habe. Aber die Selbststrick-Angora-Welle ist ja ohnehin vorbei.
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