Monika Buttler
Atme oder stirb!
Geschichte einer Lebenskrise
Dieses eBook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Monika Buttler Atme oder stirb! Geschichte einer Lebenskrise Dieses eBook wurde erstellt bei
„Sie haben Asthma“
Aspirin: Stoff für einen Krimi
Ein Anthroposoph und ein Homöopath
Akupunktur: halbnackt vor Studenten
Der fernöstliche Wundersaft
„Armes Menschenkind“
Operation an den Nebenhöhlen
Auf dem Psycho-Gleis
Mit Hypnose alles wegzaubern?
In den Fängen der Schulmedizin
Gesund werden mit Furtwängler?
Davos: Einzug in den Zauberberg
Beinbruch und Operation
Zwei Leiden sind zuviel
Neue Heilungsversprechen
Ich falle ins Koma
Rückkehr ins Leben
Eurhythmie: mit Lauten Spannung lösen
Endlich gesund durch das eigene Blut?
Noch einmal: Heilen mit Hypnose?
50 Jahre – der letzte Versuch
Italienurlaub mit Narbenproblemen
Stella: Warum andere Asthma haben
Rückfall und Gesangsunterricht
Steht mein Asthma in den Sternen?
Die traurige Geschichte des Heilpraktikers
Ein allzu plötzlicher Tod
Nun wird es auch noch kriminell
Die krankenscheingierige Ärztin
Chinesische Drogen beim Naturmediziner
Psychotherapie: Aggressionen wegjoggen
Nach 16 Jahren – die Kündigung
Zweite Beinoperation
Jetzt ist es amtlich: Ich bin behindert
Engel-Kärtchen zum Durchhalten
Besuch bei einer Wahrsagerin
Auraskopie – ist das die Lösung?
Biologische Medizin – der richtige Weg?
Eine schicksalhafte Begegnung
Montegrotto: Ich lerne wieder leben
Eklat beim Lungenfacharzt
Lahnhöhe: Der Mensch ist, was er isst
Grünkernsuppe in der Versuchsküche
Der Naturheiler auf dem Lande
Unfassbar: Endlich wirkt eine Therapie
Energiestark durch Suggestionen
Epilog
Impressum
„Sie haben Asthma“
Frau Dr. von Schacht wird langsam ungehalten. „Also, Kindchen, ich sagte es doch schon: Die Krankheit ist nicht heilbar. Es hat gar keinen Zweck, dass Sie jetzt von Arzt zu Arzt laufen. Sie holen sich einmal im Monat Ihr Rezept bei mir, und dann können Sie mit den Medikamenten ganz ordentlich leben.“
Diese Szene spielte sich 1987 in der Praxis einer Lungenfachärztin ab, und sie sollte sich im Laufe meiner siebenjährigen Leidensgeschichte noch öfter wiederholen, soweit es Besuche bei Schulmedizinern betraf.
Alles hatte im Herbst 1985 ganz banal mit einem Schnupfen angefangen: Niesen, Erkältung, trockener Reizhusten.
10. November 1985
Ich begebe mich zu Dr. Paulsen, einem renommierten HNO-Arzt, und erhalte die Diagnose: „Verschattung der Nebenhöhlen“. Sinusitis, sagt er, ein Wort, das ich noch nie gehört habe. Dr. Paulsen setzt sofort alles ein, um diesen unangenehmen Zustand zu beenden: Naseninhalation, Mikrowelle, pflanzliche Mittel. Aber von Mal zu Mal komme ich in schlechterer Verfassung in seine Praxis. Etwas hat sich an meiner Atmung verändert.
„Das ist eine spastische Bronchitis“, stellt Dr. Paulsen fest, als er meine keuchenden Geräusche hört. Kommentar beim nächsten Mal: „Das ist schon eine Vorstufe zum Asthma.“ Und bei einem weiteren Besuch: „Sie haben Asthma. Sie müssen von einem Facharzt behandelt werden.“
Man kann nicht sagen, dass in diesem Moment die Welt für mich einstürzte. Asthma? Das klingt irgendwie armselig, es klingt nach Lebensschwäche, und ich erinnere mich an ein Klassenfoto: Annette, ein zartes, liebes Mädchen mit gewaltigem Rundrücken. Mit sechzehn Jahren war sie an Asthma gestorben. Ich finde die Diagnose unerfreulich, aber nicht niederschmetternd, weiß ich doch naturgemäß nicht, was mich alles in den nächsten sieben Jahren erwartet: dass die Krankheit alle vierundzwanzig Stunden bei mir sein wird, dass ich Ewigkeiten der Todesangst durchleben werde, dass ich nirgendwo mehr werde hingehen können und dass ich eines Tages im Koma liegen werde.
Der unerklärliche „Etagenwechsel“ von der Nase zu den Bronchien ist weitergegangen, und es kommt zu jenem traumatischen Schockerlebnis, das sich für immer mit Angst, Entsetzen und Fassungslosigkeit in das Gedächtnis prägt: Ich erleide meinen ersten Asthmaanfall.
31. Dezember 1985
Es fängt mit einem zwanghaften Reizhusten an, begleitet von zähem Schleim, der sich nicht lösen will. Schweißnass und mit rotem Kopf versuche ich auszuatmen; doch die Luftwege werden enger und enger, machen rasselnde Pfeifgeräusche, so dass ich in Panik Mengen an Luft schlucke, ohne sie wieder abgeben zu können. Mein Mann, der mich mit hochgezogenen Schultern über dem Tisch hängen sieht, schaltet sofort und bringt mich in die Krankenhaus-Ambulanz.
Auf einem Bett sitzend, inzwischen sprachlos, trinke ich eine Lösung aus einem Becher. Wann hört es auf? Wann hört es auf? denke ich, und schließlich kann ich diese Worte auch über die Lippen bringen. „Es dauert nicht mehr lange“, sagt der Arzt. Mein Mann wiederholt die Worte und hält meine Hand.
Man lässt mich gleich dableiben. Die Universitätsklinik in Hamburg: mein erster Aufenthalt als Asthmakranke. Noch weiß ich nicht, dass ich in sieben Jahren achtmal im Krankenhaus sein werde. Es ist die Silvesternacht, das Jahr 1986 wird eingeläutet, und ich hoffe, bald wieder gesund zu sein. Die beiden alten Mitpatientinnen und ich sehen durch ein schmales Fenster einen kleinen Ausschnitt des Feuerwerkhimmmels, und die über 70-jährige weint, weil ihre Eltern sie als Kind weggegeben haben. Ich fühle mich nach einer Antibiotika-Behandlung aufgebaut und werde entlassen, „eine 46-jährige Patientin in gutem Ernährungs- und Allgemeinzustand.“
6. Januar 1986
Die Wirkung der Antibiotika ist bald verpufft, und ich bin wieder in das alte Elend zurückgefallen: Tag und Nacht sind die Bronchien verengt und geben Geräusche von sich. Die Behandlung hat mein Hausarzt um die Ecke, Dr. Brockmann, übernommen. Er weiht mich in die Grundlagen der Asthma-Therapie ein und zeigt mir, wie man ein Dosier-Aerosol benutzt. Es ist ein kleines Gerät, ein Taschenspray, mit dem man sich per Druck ein bronchialerweiterndes Mittel in den Rachen sprüht. Dazu verschreibt er ein Medikament mit dem Wirkstoff Theophyllin, das ebenfalls die Bronchien erweitert. Ich denke, dass ich mit diesen gezielten Maßnahmen nun bald gesund werde.
Davon kann aber keine Rede sein. Ich sitze wieder einmal bei Dr. Brockmann im Wartezimmer. Meine Geräusche erfüllen den ganzen Raum, ich ringe nach Luft, bin entnervt, und mir laufen die Tränen übers Gesicht. Erschrocken rufen die Patienten den Arzt und lassen mich vor. Dr. Brockmann gibt mir eine Spritze. „Was ist das bloß für eine Krankheit?“, frage ich ihn, als der Krampf sich gelöst hat. „Es ist eine überschießende Reaktion“, sagt Dr. Brockmann. Bei dieser „Erklärung“ lässt er es bewenden und verabschiedet mich, mit beiden Händen meine Hand drückend.
Inzwischen habe ich mir Bücher über Asthma besorgt. Da muss ich wohl selbst dahintersteigen. Wozu bin ich schließlich Journalistin? Das wäre ja gelacht, wenn ich das nicht wegkriegen könnte. Ich erfahre, dass die Krankheit eine allergische, eine entzündlich-infektiöse und eine psychische Komponente hat. Außerdem lese ich zu meiner Überraschung, dass es eine Nervenerkrankung ist: Der Sympathikus arbeitet zu schwach, der Parasympathikus zu stark. Deshalb sind Asthmatiker in der Nacht zwischen vier und sechs Uhr, wenn der Parasympathikus Regie führt, den Anfällen besonders ausgesetzt. In seinem Buch „Sprechstunde Asthma“ gibt ein Spezialist aus Bad Reichenhall viele tröstlich formulierte Ratschläge, erklärt aber bedauernd, dass die Krankheit leider nicht heilbar sei. Ein weiteres Buch „Mit Asthma leben“ bringt mich gleich auf die Zinne. Ich will ja nicht „mit“, sondern „ohne“ Asthma leben. Der Autor, der schon auf fünfzehn Krankheitsjahre zurückblicken kann, ist für mich ein unfähiger Schwächling. Ein drittes Buch „Das Asthma und seine Heilung“, wenngleich aus der Nazi-Zeit stammend, kommt mir da schon eher entgegen. Ich arbeite es gründlich durch und mache mir eine Liste, was ich „forcieren“ und was ich „vermeiden“ muss, um gesund zu werden. Gut sind zum Beispiel heiße Fußbäder, schlecht sind Federbetten.
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