Aber Frau Dr. Ghassemzadeh hatte mir dennoch einen Anstoß gegeben. Ich dachte an ihre Worte, man müsse jede einzelne Zelle mit liebevollen Gedanken aufladen, und so versuche ich, ob ich nicht mit „positivem Denken“ weiterkommen kann. Für das Jahr 1987 habe ich mir einen selbstformulierten Spruch in den Kalender geschrieben:
„Ich atme frei und leicht/ich gehe aufrecht und beschwingt/jede Zelle ist stark und lebendig.“ Wenn ich auf der Straße bin, spreche ich diese Worte innerlich rhythmisch mit. Aber es nützt natürlich gar nichts.
Trostreich ist für mich ein Buch, in dem ich immer wieder lese: „Sorge dich nicht – lebe!“ von Dale Carnegie. Darin wird der Fall eines Mannes geschildert, der schon als Student wegen seines Asthmas nicht schlafen kann. Er macht es sich zur Überzeugung, dass man auch mit ganz wenig Schlaf auskommen kann, studiert in der Nacht, wird ein berühmter Rechtsanwalt und über 80 Jahre alt.
Ich sorge mich aber dennoch, und zwar darüber, ob das Asthma meine Lunge zerstören könne. Da hilft mir eine Bemerkung meines Vaters, die sich einprägt und mich immer wieder aufrichtet: „Denk doch an Onkel Willi, der hatte im Ersten Weltkrieg einen Lungendurchschuss und hat noch Jahrzehnte gut gelebt.“ Jemand anderer erzählt mir, dass die Lungenbläschen, würde man sie ausbreiten, die Größe eines Tennisplatzes erreichen. Sollte das Asthma einen Teil der Bläschen zerstört haben, so würde ich mit dem Rest doch noch atmen können.
Eines Tages befällt mich ein unerklärlicher Sehnenschmerz am Fuß, so dass ich mich nur noch humpelnd durch die Redaktion bewegen kann. Ein cortisonbedingter Schaden, konstatiert der Orthopäde, gibt mir Spritzen und legt einen Verband an. Die Therapie ist erfolgreich, und nach dem wochenlangen Leben auf „Kriechspur“ beschließe ich, mich mal wieder von meiner Kosmetikerin aufbauen zu lassen.
Frau Rubin ist schon mehrere Male für längere Zeit in Indien gewesen und strahlt jene uneigennützige Liebe aus, die sie bei östlichen Meistern selbst erfahren hat. In ihren pastellfarbenen Räumen, unter dem sanften Druck ihrer Shiatsu-Massage, könnte ich zu meditativem Frieden kommen, wenn mich nicht quälende Hustenanfälle immer wieder vom Kosmetik-Stuhl hochreißen würden. Wir müssen die Behandlung abbrechen. „Dieses ist eine Krankheit, der Sie nur aus der Tiefe ihres eigenen Inneren heraus begegnen können“, sagt Frau Rubin eindringlich. „ Sie selbst müssen Ihr eigener Arzt werden.“
Der fernöstliche Wundersaft
25. März 1987
Außerdem erzählt mir die Kosmetikerin von einem Mittel, mit dem ein Freund von ihr – selbst Arzt – sein Asthma im Griff hat. Solange er es einnimmt, hat er keine Beschwerden. Amborum-Spezial F heißt das geheimnisvolle Mittel. Es ist ein Saft, dessen Ingredienzien ein indonesischer Arzt zusammengestellt hat. Der Mann sitzt in den USA und versendet den Saft, wenn man ihm vorher 240 Mark schickt.
„Aber dabei muss man sich an einen bestimmten Ablauf halten“, erklärt Frau Rubin, „Ich besorge Ihnen die Adresse und eine Kopie, wie man es machen muss.“
Ich schöpfe wieder Hoffnung. Wenn sogar ein Arzt diesen Saft nimmt, dann muss es eine gute Sache sein. Auch könnte ich mich sicher daran gewöhnen, täglich einen Löffel Natur zu schlucken, wenn dadurch das Asthma verschwunden bleibt. Ich gehe zur Post, zahle wie vorgeschrieben und warte voller Ungeduld. Nach drei Wochen halte ich den Wundersaft in Händen. Ein braunes Gebräu, dessen 20 Inhaltsstoffe auf der Plastikflasche angegeben sind. Von meinem Apotheker lasse ich mir alle entschlüsseln. Sie reichen von Aurum (Gold) bis zu Piper nigrum (schwarzer Pfeffer).
„Und das soll helfen?“, wundert sich der Apotheker. Es hilft tatsächlich ein wenig. Ein paar Monate später erfahre ich des Rätsels Lösung, als mir meine Akupunktur-Ärztin einen Artikel aus dem „Deutschen Ärzteblatt“ in die Hand drückt. „Erneute Warnung vor Amborum-Spezial F“ heißt die Überschrift, und es ist zu lesen, dass dem Mittel nach Untersuchungen des „Deutschen Arzneiprüfungsinstituts“ unterschiedliche Mengen Cortison beigemischt wurden!
Dieser läppische falsche Sirup war allerdings gar nichts im Vergleich mit jenem gigantischen Betrug, in den ich ein Jahr später geraten sollte ...
Trotzdem blieb ich weiterhin anfällig fürs Fernöstliche. Auf derselben Etage mit uns lebt Frau Dr. Williger, eine bekannte Sinologin. Sie hat ihre Wohnung in eine spartanische Kultstätte umgewandelt und versucht, ihre Schüler mit Bewegungsmeditation zu harmonisieren. Tai Chi nennt man das. Sollte der Schlüssel zu meiner Heilung direkt vor meiner Tür liegen? Ich kaufe mir ein Buch über Tai Chi, kann mich aber nicht entschließen, dem Kreis dieser Jünger beizutreten. Ihre Bewegungen, die ich vom Fenster aus beobachten kann, sind ja sooo langsam. Und das alles ohne Musik ... Außerdem ist Frau Dr. Williger Raucherin, dadurch also völlig unglaubwürdig.
Dass ich durch und durch Westler bin, macht auch mein Besuch in einer Yoga-Schule deutlich. Von vielen Seiten habe ich gehört, dass Yoga etwas wunderbar Entspannendes sei und für mich bestimmt das Richtige, weil dabei die Atmung im Mittelpunkt stehe. In einem unmöblierten Raum liegen wir jeweils zu zehnt auf einer Matte und sollen etwas über unseren Rücken lernen. Das kommt mir bei meinem Bandscheiben-Vorfall durchaus zupass. Doch mein Bemühen erhält einen Dämpfer.
„Sie sind zu schnell“, sagt der Lehrer, „bei jeder Übung sind Sie zu schnell.“
Ein Hustenanfall treibt mich aus der Horizontalen hoch und setzt weiteren Versuchen ein Ende. Der Lehrer will gern den Schulleiter fragen, ob es ein spezielles Yoga für Asthmatiker gibt, aber ich winke ab. Tiefe Deprimiertheit lähmt mich, für eine weitere Stunde zuzusagen.
Zu Hause flüchte ich mich in die schöne Welt der Edelsteine, die mir aus Büchern farbig entgegenleuchtet und neue Hoffnung aufschimmern lässt. Bernstein, so lese ich, erwärmt die Bronchien. Als ich bei meinen Eltern einen Wunsch frei habe, lasse ich mir eine Bernsteinkette schenken. Ich trage sie monatelang hautnah auf den Bronchien. Dabei kann ich Gelb nicht ausstehen ...
Mehrere Schulmediziner hatten mich mit dem Wort „unheilbar“ konfrontiert. Fragte ich nach Ursachen, drucksten sie herum und wichen aus; gab ich jedoch zu verstehen, dass ich in Kürze meine Heilung erwartete, verrieten ihre skeptischen Mienen und ihr Köpfewiegen, dass ich meine Lage offenbar völlig falsch einschätzte. Ja, sie war hoffnungslos, und doch wollte ich sie einfach nicht akzeptieren. Ihr könnt gucken, wie ihr wollt, dachte ich, ich kriege das wieder weg. Allerdings hatten es mir einige Ärzte schriftlich gegeben: „Kann Asthma derzeit geheilt werden? – Die Antwort muss leider ‚nein’ lauten“, lese ich in einer der zahlreichen Pharma-Broschüren, die man mir mit auf den Weg gibt. Professor Arthur Jores, der berühmte Psychosomatiker, lastet die Situation seinen Kollegen an, wenn er schreibt: „Man zieht auch Klima-Allergene in Betracht, um sich selbst und die Patienten vor der beschämenden Erkenntnis der Unwissenheit über die Ursache einer so häufigen Erkrankung zu bewahren.“ Und einer so alten, könnte man hinzufügen. Die Krankheit war schon in der Antike bekannt; das Wort „Asthma“ ist griechisch und bedeutet „keuchendes Atmen“.
Ich hatte Krankheit immer nur als Blockierung betrachtet, als kurzfristiges Hindernis, das meinen gewohnten Tagesablauf oder auch interessante Aktivitäten unterbrach und deshalb schnell eliminiert werden musste. Obwohl ich schon zwischen meinem dreißigsten und meinem vierzigsten Lebensjahr eine Serie von Krankheitssituationen durchzumachen hatte und fast jedes Jahr in eine Klinik musste, nahm ich nach einer solchen Zwangspause meine Ziele, vor allem die beruflichen, ungerührt wieder auf.
Читать дальше