Ahmad Ataya - Stirb

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Deutschland ist Güter-Exportweltmeister; Deutschland ist Organ-Importweltmeister. Abhilfe? Keine in Sicht. Für den brillanten Versicherungsmathematiker ein Unding. Das Leben seines nierenkranken Freundes steht auf dem Spiel. Eine Gesetzliche Rente für Lebendorganspender muss her. Die Mühlen des Gesetzes mahlen langsam. Sein Versicherungskonzern führt eine Privatrente für Lebendorganspender ein. Verbrogen entsteht ein Netzwerk zwischen Patienten und Spendern. Privatrente nur bei Organspende.

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Ahmad Ataya

Stirb

Mich geht es Nichts an

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Inhaltsverzeichnis Titel Ahmad Ataya Stirb Mich geht es Nichts an Dieses ebook - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

S t i r b

Mich geht es Nichts an

Ein Roman über eine Mordserie

Von

Ahmad Ataya

Er stand schweigend vor dem Toiletteneingang im Souterrain des Frankfurter Hauptbahnhofs. Ein hochgewachsener Schwarzer mit einem grauen Stoffkoffer. Ein Afrikaner? Wahrscheinlich, sie sehen alle gleich aus, dasselbe Gesicht, dieselben Haare. Farbige. Jedenfalls stand der Mann da wie versteinert. Und ließ den Unmut des untersetzten Warts der Waschräume über sich ergehen. Auch er war schwarz, nicht auszuschließen ein Landsmann.

Der Toilettenkontrolleur schrie wie ein Wahnsinniger. Unter der Decke der niederen Unterwelt zur Notdurft tat dessen Gebrüll in den Ohren weh:

» Hier herrscht Ordnung Bruder - das ist Deutschland - ich kann dir nicht helfen «, befand der WC-Wart mit Frankfurter Zungenschlag, frisch rasiertem Pferdegesicht und steifgebügelt weißem Kittel.

» Soll ich mich auch um deinen Kram kümmern? Das musst Du selbst tun - mir hilft hier auch keiner. Was Wechselgeld? Sieht es hier nach einer Bank aus? Oben kannst Du einen Drink kaufen, dann bekommst du vielleicht Kleingeld - die Schranke machst Du aber frei, und zwar dalli. «

Ob der Andere überhaupt verstanden hatte? Verdutzt stierte er den untersetzten Mann vor sich mit gefrorenem Blick an. An seine durchaus raumgreifende Gestalt prallte offensichtlich die Geschimpfe ab. Er nahm eine durch Nichts zu erschütternde starre Haltung ein. Mit der rechten Pranke hielt er die Schranke zum Waschraum fest und mit der Linken den heruntergekommenen Fetzen vom Koffer. Mit finsterer Miene ertrug er die Anfeindungen, die ihm immer heftiger entgegengeschleudert wurden. Ihm schien die Lust auf Gegenwehr abhandengekommen zu sein. Eine Gegenreaktion wäre unter Umständen menschlich und durchaus angebracht. Ein Außenstehender aus nördlichen Breitengraden hätte sie zumindest billigend hingenommen, oder ihn sogar dazu ermuntert. Man hörte ihn schwer atmend etwas ein, zwei Mal unverständlich flüstern:

M-an-teau, m-an-teau ‘. Die unerklärliche Haltung des schwarzen Mannes vor der Aggressivität seines tobenden Landsmanns hätte ein europäischer Zeuge als lähmenden Schock, womöglich sogar als beklemmende Verzweiflung gedeutet.

Im verschlissenen grauen Anzug sah er aus, als gäbe er sich selbst die Schuld am Aufruhr. In diesem Moment allgemeiner Verwirrung fischte Faustus Kleinschmidt eilig einen Euro aus dem Portemonnaie, unsicher, ob er damit überhaupt das Richtige tun würde. Er wollte dem schwarzen Mann gerade die Münze reichen, da bekam er die Wut des Toilettenwarts zu spüren. Wie käme er dazu, dem Fremden Geld geben zu wollen? Mann, der solle seine Probleme selbst lösen. Typisch deutsch sei das. Man solle sich gefälligst heraushalten. Das Geld könne er selbst besser gebrauchen, als der dumme Mensch da.

Faustus stand unmittelbar zwischen ihnen; nun verschlug es ihm die Sprache. Mit seiner Geduld am Ende schoss es durch den Kopf: er müsse sich aus der brenzligen Lage herausziehen, sofort:

» Hören Sie, er braucht den Euro im Moment dringender als Sie, er muss, denke ich, pissen. «

» Er muss gar nichts, sage ich Ihnen. Das ist keine Bettelstube hier - sonst muss ich die Bahnhofspolizei rufen. Gehen Sie bitte und lassen Sie uns in Frieden! «

Sollte diesem Wüterich mit dem uns , ein Hauch ernstgemeinter Solidarität mit seinem bedrängten Landsmann gekommen sein, dann wäre das an Zynismus nicht zu überbieten gewesen. Alles vorgegaukelt, dachte Kleinschmidt. Dem überheblichen Kerl wollte er auf keinen Fall das vermeintliche Mitgefühl durchgehen lassen. Trotzig drückte er dem anderen Schwarzen das Geld in die flache Hand. Doch irgendwie nicht ohne zarte Gewalt. Aus welchem Grunde auch immer gestikulierte der große Afrikaner heftig - abwehrend. Ob er es erfasst hätte, dass die ganze Aufregung sich um ihn gedreht hatte, war nicht auszumachen. Faustus wollte es auch nicht wissen. Auch nicht, als dem großen Afrikaner die Tränen in die Augen schossen und die Farbe seines dunklen Gesichts sichtlich verblasste. Inzwischen hatte sich eine Besuchertraube an den Treppengeländern zum Souterrain gebildet. Wenn diese Zuschauer befragt worden wären, was sich hier abgespielt haben könnte, hätten sie lebhaft bezeugen können, ein stämmiger schwarzer Haufen Elend hätte Anstalten zu machen versucht, sich direkt vor der automatischen Schranke auf den Boden hinzusetzen. Da sei ein Geschrei gewesen, als würde die Welt untergehen:

» Stand up, stand up, fuck your mother. Mach, Mann. Das ist doch kein Ruhebett hier. Schieb deinen schwarzen Arsch woanders hin. Stand up, I tell you, you understand? Weg hier, raus mit dir. Du wolltest es nicht anders. Ich rufe die Polizei. «

Der WC-Patron verrenkte beinah dem Mann den Arm aus der Schulterkapsel, konnte ihn aber keinen Millimeter von der Stelle wegziehen. Vor und hinter der Drehschranke staute sich der Andrang genervter Menschen. Sie wurden unfreiwillige Zuschauer eines Ein-Personen-Bühnenstücks, dargeboten von einem selbstgefälligen Despoten im Pissoir-Königreich, gratis. Keiner konnte herein, keiner heraus, als eilte die Hälfte der Menschheit unterschiedlichster Farbe und Herkunft in die Unteretage des Frankfurter Hauptbahnhofs, um die publikumswirksame Vorstellung nicht zu verpassen. Während seiner letzten zweiundsiebzig Jahre hatte Faustus Kleinschmidt schon Einiges erlebt, dachte er, aber nie ein derart absurdes Theater, wo WC-Räume zur Bühne geworden waren. Hier am 50. Grad 6 Minuten 42 Komma 5 Sekunden nördlicher Breite, 8 Grad 41 null neun Minuten Komma 4 Sekunden östlicher Länge (50°06'42,5“ nördliche Breite 8°41'09,4“ östliche Länge) sollte es, so unpassend es gewesen war, nun das erste Mal werden. Schließlich war es Frankfurt, eines der größten Magnetfelder Deutschlands, mit täglich 350 000 Taschen-hin-und-Koffern-her-Schiebern. Mit der linken Schulter versetzte Kleinschmidt dem herumtobenden Toilettenzwerg einen kräftigen Stoß, der ihn rückwärts taumeln ließ. Krachend fiel er auf den glatten Fliesenboden zurück. Verdutzt brachte er keinen Ton mehr von sich heraus. Behänd half Kleinschmidt dem Anderen hoch und vernahm hinter sich, nicht undankbar, tosenden Applaus und Bravorufe. Sie geleiteten ihn und sein Sorgenkind auf dem Weg nach oben in die Bahnhofshalle. An diesem Mittag, vor dem Pissoir des Frankfurter Hauptbahnhofs, müssen die Entrechteten der Welt ein Stelldichein gegeben haben - und Faustus Kleinschmidt war im Handumdrehen ihr Held geworden, ihr Bannerträger. Angesichts dieser Wendung schien sich die Vorstellung für alle doch gelohnt zu haben.

Ein freiwilliger Helfer erbot sich, dem geschwächten schwarzen Mann den Fetzen von einem Koffer hinter her zu tragen. Als alle drei oben ankamen, glotzte sie eine Schar rot- und schwarzhaariger junger Frauen mitleidig an. Kunterbunte flatternde Kopftücher und farbenfrohe knöchellange weite Röcke. Mazedonische Roma ohne Gepäck, unmittelbar an Zügen und auf Bahnsteigen, verdächtig unterwegs auf Betteltour. Unweit davon zwei junge Frauen, geschminkt und topp gestylt im professionellen Modelmanier - womöglich auf dem Weg zu einem Fotoshooting, vor dem oszillierenden Bahnhofbetrieb als Kulisse. Gleich gegenüber am Eingang zum Bahnsteig Acht kniete ein junger Mann - in jammervoller Pose. Vor ihm eine halbvolle Flasche Cola und eine schwarze Taube, mit aufgefächertem Federkleid. Mit dem einen Zeigefinger streichelte er ihr behutsam über den Kopf. Er hielt ihr die linke Handfläche offen entgegen. Darin ein paar Tropfen des dunklen Getränks. Offenbar versuchte er dem geschwächten Vogel wieder Kraft einzuhauchen. Die Taube nippte einmal darin und rührte sich nicht wieder. Sie schien wie der Afrikaner verloren zu sein, es nicht weiter schaffen zu können. Dessen Schweißausbruch und Zittern am ganzen Leib signalisierten dem Mediziner Faustus Kleinschmidt ‚

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