„Genau das ist es Martin. Es ist wie ein Suchtmittel. Wie Rauschgift oder etwas Ähnliches. Als dein Stein in Berlin war, warst du nicht zu genießen und für nichts zu gebrauchen. Du bist süchtig und stehst unter Zwang.“
„Das mag ja richtig sein. Aber trotzdem kommen wir darüber nicht weiter. Du redest mit unserem Kind? Lassen wir meine Person mal außer Acht. Mütter reden immer mit ihren Kindern … auch, wenn sie noch nicht geboren sind … das finde ich vollkommen korrekt.“
Brittas Kopf lief rot an und drohte jeden Augenblick zu platzen. Sie schrie ihn an.
„Du hast mir keine Minute zugehört. Im Moment kannst du mich kreuzweise. Setz dich einmal mit dem auseinander, was ich dir erzählt habe. Ich verschwinde jetzt und will duschen.“
So schnell ihr unförmiger Körper es zuließ, verschwand sie durch die Tür und ließ einen belämmerten Martin zurück.
*
„ Hallo. Bist du da?“
„ Ich bin immer hier. Was willst du?“
„ Ich bin aufgeregt.“
„ Ungeborenes Leben, weshalb verspürst Du Aufregung?“
„ In einigen Stunden werde ich entkoppelt, also geboren.“
„ Das ist natürlich aufregend.“
„ Hein?“
„ Ja.“
„ Haben wir auch nachher, wenn ich geboren bin, Kontakt?“
„ Ich denke schon.“
„ Bist Du sicher?“
„ Nein.“
„ Weshalb denn nicht?“
„ Eine solche Situation kenne ich nicht. Aber ein weiterer intensiver Kontakt erscheint logisch. Ansonsten hätte der Stein, deine Erschaffung nicht zulassen brauchen.“
„ Das erscheint mir auch logisch. Ob ich wohl eine besondere Aufgabe habe in dieser Welt, in die ich hineingeboren werde?“
„ Ich weiß es nicht. Wie gesagt, eine derartige Situation habe ich bisher noch nicht erlebt, geschweige denn davon gehört.“
„ Deine Mission muss auch erst erfüllt werden.“
„ Ungeborenes Leben. Was weißt Du von meiner Mission?“
„ Nichts. Es ist doch nur folgerichtig gedacht, dass auch du eine Aufgabe zu erfüllen hast. Als Chronist bist du wertlos, weil du dein Wissen nicht weitergeben kannst.“
„ Ich bin kein Chronist. Ich bin ein Wächter und wache über diese Mulde.“
„ So wie der Stein über mich?“
„ Der Stein ist viel mächtiger als ich es jemals sein werde. Bisher war er der Katalysator für meinen Kontakt mit den Menschen. Seine Aufgabe scheint sich jedoch verändert zu haben. Er konzentriert sich voll auf dich. Du wirst die nächste Trägerin des Steins sein.“
„ Jetzt kommt noch ein weiteres Gefühl hinzu. Ich definiere es als Neugier. Ich will wissen, welche Aufgaben der Stein, du Hein und ich haben. Es geschieht nichts ohne Bedeutung.“
„ Ich wünsche dir viel Glück, ungeborenes Leben. Ich habe den Kontakt mit dir genossen. Es ist schön, nach Jahrhunderte langer Isolation, Gedanken austauschen zu können.“
„ Ich wünsche dir auch viel Glück, Hein. Du wirst mir fehlen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, demnächst, weiter mit dir denken zu können. Nochmals, viel Glück.“
*
„ Britta hat mit unserem Baby gesprochen.“
„ Das ist mir bekannt. ES sprach davon.
„ Wer ist ES?“
„ Dein Zeugungserfolg – dein Kind.“
„ Findest du das normal?“
„ Was ist normal?“
„ Willst du mich nicht verstehen? Oder was ist los? Jahrtausende geschieht nach deinen Angaben nichts und jetzt überschlagen sich die Ereignisse. Und auch noch an verschiedenen Fronten. Das ist nicht normal.“
„ Für die Steuerung der jetzigen Situation bin ich nicht verantwortlich. Auch für mich kommt sie überraschend.“
„ Das soll ich dir glauben? Hältst du mich wirklich für so blöd?“
„ Wieso sollte ich dich für blöde halten? Der Stein hat die vollkommene Kontrolle übernommen. Ohne sein Einverständnis kann ich nicht einmal mit dir denken.“
„ Hast du Kontakt zu ihm? Ist es ein Wesen aus dem Weltraum? Was vermittelt es dir?“
„ Nein. Ich habe keinen Kontakt. Die beiden Auren - die des Steines und auch die deine - sind ein Schutzschild. Einmal komme ich durch und das andere Mal laufe ich vor eine Mauer. Für mich ist der jetzige Zustand ebenso neu.“
„ Weshalb benötige ich einen Schutzschild? Seltsam. Aber darüber können wir uns später unterhalten. Wichtig ist im Moment meine Frau. Wie kann es möglich sein, dass sie sich mit unserem Baby – gerade im vierten Monat schwanger – unterhalten kann?“
„ Das ist vollkommen normal.“
„ Jetzt mit deinen Worten: Was ist normal?“
„ Ich habe die Gene deines Spendersamens verändert.“
„ Jetzt noch einmal ganz langsam, zum Mitschreiben.“
„ Ich habe die Gene deines Samens verändert.“
„ Was hast du?“ , schrien Martins Gedanken. „ Ich glaube es nicht. Da baue ich mein eigenes Gemüse an, backe mein eigenes Brot, damit ich keine genmanipulierten Lebensmittel bekomme. Und du wagst es, die Gene meines ungeborenen Kindes zu verändern?“ Unter Aufbietung aller Kraft bemühte sich Martin, den Kontakt zu halten. Sein Zorn drohte, überhandzunehmen.
„ Jetzt errege dich nicht. Es ist geschehen. Weder du noch ich können es ändern.“
„ Welches Recht nimmst du dir, in unser Leben einzugreifen und es auch noch zu verändern ? Welches Monster werden wir bekommen?“
„ Wieso Monster? Ich habe das getan, was getan werden musste. Deine Frau wird einen Menschen gebären, wie es ihr durch die Schwangerschaft vorgegeben ist. Nur er wird wesentlich intelligenter und weiter fortgeschritten sein, als alles, was bisher da war. Akzeptiere es.“
„ Noch einmal, akzeptiere es. - und ich flippe aus. Ich will es nie wieder hören.“
„ Okay.“
„ Was soll nun werden?“
„ Versuche damit fertig zu werden. Die Zeit ist reif. Der Stein will in das Geschehen eingreifen.“
*
„ Hallo. Bist Du da?“
„ Ich bin immer hier.“
„ Ich will raus.“
„ Deine Zeit ist noch nicht gekommen.“
„ Ich will aber raus. Ich werde immer größer und der Platz immer enger.“
ES war kurz davor, von sich aus den Geburtsvorgang einzuleiten. Aber? Ich musste etwas tun. ES wuchs um ein Vielfaches schneller als alle anderen Embryonen, die ich bisher beobachtet hatte. Bei einer normalen Tragezeit bestand die Gefahr, dass das ungeborene Leben den Wirtskörper beschädigte. Das musste ich unter allen Umständen vermeiden.
*
Martin stolperte, wie immer, heftig in die Wohnung und hinterließ Dreckspuren seiner Stiefel. Er dachte nicht mehr an den Streit und hatte nur das Ziel, Britta in die Kate zu bekommen.
„Britta, Britta“, rief er beim Betreten der eigenen vier Wände. „Wo bist du?“
Sie antwortete nicht.
Er kratzte sich am Kopf und ging etwas ruhiger, aber immer noch Spuren hinterlassend, durch die Zimmer.
Britta lag in einem Sessel. Der schwangere Bauch reckte wie ein Hügel in die Höhe. Ihre Augen waren geschlossen. Sie döste. Zärtlichkeit überkam ihn. Er senkte seinen Kopf und küsste sacht den leicht geöffneten Mund.
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