„Das glaubst du selbst nicht?“, fragte er entsetzt.
„Was soll ich sonst tun? Vielleicht sprichst du selbst mit ihm. Er machte Andeutungen zu den Geschichten, die deine Familie betreffen. Klugerweise ist dein Geheimnis so eingerichtet, dass ich außerhalb der Höhle nicht mehr als eine Ahnung habe, was hier drinnen ist. Ich kann mich also nicht verplappern.“
„Das hat mir noch gefehlt, einen Kleriker am Hals zu haben. Die machen aus einem Furz einen Elefanten.“ Er lehnte sich nach hinten und schaltete die Augen auf unendlich. „Soll denn tatsächlich die Kirche an unserem Geheimnis interessiert sein?“ Er furchte nachdenklich die Stirn. „Klar. Irgendwann, irgendwie muss mit der Zeit etwas durchgesickert sein“, beantwortete er seine Frage selbst. „Stell‘ dir mal vor, die Untoten in dem Berg dort stehen plötzlich auf. Dann bin ich Jesus. Wir müssen den Typen loswerden. Ich hab‘ keinen Bock darauf.“
Martin nestelte an seinem Hemd und zog die Fassung mit dem Stein heraus. Vorsichtig öffnete er sie und ließ den Kiesel in die Hand plumpsen.
Britta beobachtete ihn. Martin war mit den Gedanken ganz weit weg. Seine Bewegungen wirkten routiniert. Er hatte den Pastor abgehakt.
„Was machst du da?“, fragte sie vorsichtig.
„Ich weiß es nicht. Seitdem ich hier hinein gekommen, bin ich nicht mehr ich selbst“, er sah blicklos durch sie hindurch. Seine Stimme klang monoton und entfernt. „Komm, wir versuchen es noch einmal.“
Britta lehnte sich abrupt zurück und wurde vorsichtig. „Welches Spiel spielst du jetzt. Erkläre es mir.“
„Das ist kein Spiel. Gib mir deine Hand. Uns wird nichts passieren.“ Martin veränderte weder Haltung noch Stimme.
„Da bin ich mir nicht so sicher. Ich kann und will nicht Kopf und Kragen oder das Leben unseres Babys riskieren. Das, was du mir bis jetzt geboten hast, reicht für mehrere Leben. Mehr muss ich wahrhaftig nicht haben . . .“ Sie schreckte vor ihm zurück.
„Komm schon, Britta. Mir zuliebe.“
„Ich bin unentschlossen und im Widerstreit mit mir. Ach, was soll es. Dir hat das Ding bisher ja auch nichts getan. Warum gerade mir?“ Ihr war nicht wohl, als sie seine Hände nahm. Brittas Körper und Gedanken standen in voller Abwehr zu ihrem Tun. Die Muskeln verkrampften. Starr blickte sie auf die Mitte des Tisches und war bereit, ihre Hände jeden Augenblick zurückzuziehen. Aber es passierte nichts.
Langsam wich die Anspannung und sie hob den Blick zu Martins Gesicht. Er war entspannt und normal. In seinen Mundwinkeln kräuselten die kleinen Fältchen und wurden zu dem bekannten verschmitzten Lächeln.
„Was soll der Unsinn, Martin. Du hast mir einen Schrecken eingejagt.“ Sie war beleidigt.
„Das ist kein Unsinn. Spürst du denn nichts? Lass deine Gedanken frei und entspanne dich. Als wenn du im Bett liegst und einschlafen willst. Gleite weg und fühle.“
Ergeben baute Britta weiter Spannung ab. Dabei horchte sie auf ihren Herzschlag und auf ihr ungeborenes Kind. Nichts geschah. Sie wusste jedoch auch nicht, welche Erwartung sie hatte und wollte gerade wieder auf Martin losfahren, als er ihre Hände anders gruppierte. Er legte den Stein in ihre Hand und umschloss sie mit den seinen.
Sofort zog ein Strom warmen, angenehmen und entspannenden Gefühls durch ihren Körper. Sanftes mentales Streicheln, am Kopf beginnend, über ihre Brust in die Arme, den Unterleib und die Beine. Angenehme Entkrampfung bis in die Finger. Sie seufzte auf und der Oberkörper sank nach vorne auf den Tisch. Im letzten Moment stoppte sie die Bewegung und sah zu Martin. In ihren Augen schimmerte feuchter Glanz.
„Das ist wunderschön. Zieht dich dieses Gefühl hierhin? Ist das der Stein?“
Martin nahm Brittas Empfindungen emphatisch auf. Leicht knetete er ihre Handrücken.
„Das ist der Stein, Britta. Er ist wunderbar. Endlich kann ich meine Gefühle mit dir teilen. Es war so schwer, alles zu beschreiben, deshalb ist es mehrfach schön, dass du es selbst erleben kannst, obwohl ich nichts verstehe.“
Britta glaubte, zu schweben. Glücksgefühle ungeahnter Fülle und Art überwältigten sie. Sie hätte vor Freude weinen mögen. Sie konzentrierte sich auf ihr ungeborenes Baby, um es an ihrem Glück und Überschwang teilhaben zu lassen.
„ Hallo“, die gefühllose monotone Stimme dachte in ihren Kopf. „Wer ist da? Hein bist du es?“
Schreiend riss sie ihre Hände vom Tisch und sprang panisch auf.
„Martin. Da war eine Stimme in meinem Kopf. Was ist das?“, sie schrie mit Angst geweiteten Augen.
„Was ist los? Ich hab‘ nichts bemerkt. Weshalb hast du solche Angst? Dir kann nichts geschehen. Ich bin doch bei dir“, er gab seiner Stimme einen beruhigenden Klang.
„Spinnst du? Eine Stimme in meinem Kopf. Richtig unheimlich. Wie ein Automat. Vollkommen ohne Modulation. Sie sagte Hallo und stellte die Frage, wer da ist. Ich bin doch nicht verrückt. Ich will nichts mehr von diesem Stein wissen.“ Die Worte sprudelten aus ihr heraus.
„Mein Schatz. Du weißt überhaupt nicht, was es für uns bedeutet. Seit Jahren versuche ich aus den Frequenzgeräuschen in meinem Kopf, eine vernünftige Nachricht zu entschlüsseln. Und du hast verständliche Wörter gehört. Mit Mühe und Not habe ich über Jahre herausbekommen, dass die Stimme sich Hein nennt. Ein einziges Mal gelang etwas, wie eine Unterhaltung. Und jetzt das.“ Er sprang auf und lief aufgeregt durch das Zimmer.
„Scheiß egal, was du all die Jahre versucht hast. Ich will niemanden in meinem Kopf haben.“ Britta trommelte wütend mit den Fäusten in die Luft und stampfte mit dem rechten Fuß auf den Boden. Sie vergaß ihre unförmige Figur und wäre gestolpert, hätte Martin sie nicht in den Arm genommen.
„Britta beruhig‘ dich. Dir wird niemand etwas zuleide tun. Ich habe den Stein schon mein ganzes Leben lang. Und vor mir hatten ihn andere. Keinem ist je etwas Schlechtes geschehen. Warum gerade dir? Bisher hat der Stein nur Gutes getan.“
„Hast du noch alle Tassen im Schrank. Du bist ja pervers. Ich muss das nicht haben.“ Sie wand sich aus seinen Armen. „Beruhig‘ dich Britta“, sie äffte ihn nach. „Dein Gesäusel geht mir auf den Keks. Wehre dich und handle nicht wie ein Lamm.“
„Jetzt ist aber Schluss“, er brüllte sie an. „Niemand ergibt sich. Zu allerletzt ich. Es ist einfach so, dass die Brechstangenmethode nicht hilft.“ Er wurde ruhiger. Wir … oder auch ich sollten erst einmal verstehen, was mit uns geschieht. Von einer normalen Situation sind wir weit entfernt“
„Für mich ist es ganz einfach eklig, wenn jemand versucht, meine Gedanken zu übernehmen. Ich will es einfach nicht“, fast leidenschaftslos kam die Feststellung über ihre Lippen.
„Bist du denn kein bisschen neugierig? Willst du nicht wissen, was da vor sich geht?“
„Nein“, sie blickte ihn trotzig an.
„Komm Britta. Mir zuliebe … versuchen wir es noch einmal. Ich muss wissen, wer oder was versucht, Kontakt mit uns aufzunehmen. Zu lange habe ich darauf gewartet“, er bettelte beschwörend auf sie ein.
„Du bist ein Egomane. Schon wieder dir zuliebe? Nein. Ich habe mich vorhin überreden lassen. Und was hatte ich davon? Irgendein – igitt – ich weiß nicht was, war in meinem Kopf, in meinen Gedanken. Danke. Mit mir nicht.“
„Britta mein Schatz habe ich jemals etwas von dir verlangt?“, seine Stimme wurde beschwörend. „Komm gib dir einen Stoß. Das ist die Chance für uns.“
„Nun gut. Nur dir zuliebe noch einmal“, gab sie widerstrebend nach. „Aber ich werde dem Spanner die Meinung geigen. Nur noch einmal, um klar zu machen, dass mein Kopf tabu ist.“
Vorsichtig und wieder ängstlich umfasste sie den Stein.
„ Hallo. Wer ist da?“
„ Verschwinde aus meinem Kopf “, dachte Britta.
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