Es war ihr, als sei sie von einem Leben ins andere getreten, als habe schon immer in ihr die Ahnung von einem Leben mit modischen Plüschen, Lidschatten und Strumpfhosen geschlummert. Hatte nur geweckt zu werden brauchen.
Das erste Geschenk, das Sasse ihr gemacht hatte, war Nagellack. Was für eine Freude. Daran konnte sie erkennen, wie er sie wünschte. Mit Geschenken angefangen aber hatte sie. Es war, als gestanden sie sich mit gegenseitigen Geschenken ihre Liebe, für die es bald keine Worte gab.
Das erste Geschenk, das Edith ihrem Liebsten machte, war ein Taschentuch mit selbstgehäkelter Borte, das nächste ein Hemd mit großem Kragen, wie es eben in Paris Mode geworden war. Es gab eine Zeit, da konnte sie kaum erwarten, ihn zu sehen. Der Gedanke, er trage es auf der bloßen Haut, erregte sie.
Er schenkte ihr einen Büstenhalter aus feinster Seide, einen, der keinen Stützmechanismus hatte, sondern in zwei Säckchen die Brüste aufnahm, und als sie in ihrem Versteck waren und sie das Geschenk anprobierte, stieß sie einen Ruf des Entzückens aus. Doch als sie das Kleid überwarf, sagte sie:
Unmöglich.
' Wieso? fragte Sasse scheinheilig.
Sieht aus, als ob ich keinen anhabe, sagte Edith.
Das ist das Raffinierte, sagte Sasse.
Stell dir vor, ich ginge so auf die Straße, sagte Edith.
Er gab sich gelassen. In Wirklichkeit schauderte ihn beim Gedanken, Edith ließe sich öffentlich so sehen. Was das für ein Aufsehen gäbe. Da hätte sie gleich nackt kommen können.
Sasses Angst war, daß etwas Unerwartetes geschehe, daß er selbst einmal nicht so handele, wie sie es von ihm erwarteten. Manchmal träumte er davon: Er war in einer Füllhalterfabrik und hatte die Aufgabe, alle Füllhalter mit der Klemmvorrichtung nach rechts auf einen Tisch zu legen, alle genau untereinander, alle genau nebeneinander. Als er die Arbeit schon eine Weile verrichtet hatte, war ihm aufgefallen, daß vielleicht noch etwas anderes mit den Füllhaltern getan werden müsse, und er habe den Meister, der oben in der Kabine saß, falsch verstanden. Er überlegte im Traum, was der Meister noch von ihm erwartete, es fiel ihm aber nichts ein. Schweißnaß wachte er. auf.
So war es immer: Er versuchte dahinterzukommen, was man von ihm erwartete, und war in Angst, alles falsch verstanden zu haben. Er selbst hatte keine Meinung. Um sich ein Urteil zu bilden, genügte es ihm, herauszubekommen, was andere dachten. Das verkündete er dann und verteidigte es auch, wenn es sein mußte. Seine Ängste aber sah ihm niemand an.
Wer mit Sasse zu tun hatte, war beeindruckt von seiner Erscheinung. Er stellt etwas dar, sagte man von ihm. Aber was? Selbst er wußte es meist nicht so genau. Mal meinte er dies darzustellen, mal jenes. War er ein politischer Mensch, für den ihn jeder hielt? War er Hahn im Korb? Tausendsassa, der er gern gewesen wäre? Herzensbrecher? Funktionär?
Zum Herzensbrecher hatte Edith ihn gemacht. Er war ihr dankbar dafür. Nur durfte es nicht bekannt werden. Da er ohnehin nicht wußte, wer und wie und was er war, bestand seine Lebenskunst darin, sich zu verstellen, um etwas darzustellen. Vor allem durfte nicht bekannt werden, daß Edith und er ein Liebespaar waren.
Dankbar bemerkte er, wie gut sie es hinzustellen verstand, als seien sie beide in unaufhörlichem Streit. Keine Gewerkschaftsversammlung verging, in der sie nicht vom Podium herab, Forderungen an ihn richtete, und beeilte er sich nicht, sie zu erfüllen, stürmte sie sein Büro, und ihre streitenden Stimmen hallten durchs Haus. Er bewunderte sie, wenn sie ihn feurig und mit erstaunlichem Wortschatz vom Podium herab beschuldigte. Sie tat es immer so, daß es ihn nicht herabsetzte. Sie stellte ihn hin als einen gefährlichen Gegenspieler, der um so beängstigender wirkte, je phantasievoller sie ihn zur Rede stellte. Ihr Spiel war von solcher Vollkommenheit, daß er manchmal Mühe hatte, ein Lächeln zu unterdrücken. Bloß das nicht. Es wäre alles aufgeflogen. Wer in der Stadt eine Forderung, eine Bitte an Sasse hatte, wandte sich vertrauensvoll an Edith. Sie hatte den Ruf, klüger zu sein als er und ihn bezwingen zu können.
Frauen waren beeindruckt von seiner Männlichkeit, seinem Auftreten als leitende Persönlichkeit. Nur Edith wußte, wie er wirklich war, wehleidig und von Selbstmitleid gequält. Insgeheim hatte sie ihn lm Verdacht, daß er allzuoft mit seiner Ehefrau Annelie schlafe. Einmal im Monat nur würde er es tun, hatte er ihr gesagt. Da sie seinen feigen Charakter kannte, glaubte sie ihm nicht. Es wird wohl einmal in der Woche sein, dachte sie, machte ihm aber keine Vorwürfe, um ihn nicht zu größeren Lügen anzustacheln.
Sie schlief mit Erwin Schilder schon seit Jahren nicht mehr. Alles an ihm war ihr eklig. Sie hatte das gemeinsame Schlafzimmer aufgelöst, weil sie es nicht mehr ertrug, die Geräusche anzuhören, die er machte. Es war schon schlimm genug, wenn er seinen Blähungen freien Lauf ließ, wo er ging und stand. Das hörte sie schon nicht mehr. Aber wenn er sich abends ins Bett warf und sie merkte, daß er die Luft anhielt, wäre sie am liebsten aufgesprungen und weggelaufen. Denn dann ließ er langsam Darmwinde in sich sammeln, und wenn er glaubte, alles beisammen zu haben, ließ er sie kräftig fahren. Das hielt sie nicht mehr aus.
Den einen Teil des Ehebettes hatte sie in die Wohnstube gestellt, wo sie fortan schlief. Das ehemalige gemeinsame Schlafzimmer bewohnte nun Erwin allein. Dort bewahrte er auch seine Sachen auf. Die Mandoline mit dem schmucken, gestickten Band, die früher im Wohnzimmer über dem Sofa hing, hatte er über sein Bett gehängt. Edith hatte auch nicht mehr ertragen können, das Bett erzittern zu spüren, wenn er onanierte. Er wartete' damit, bis er glaubte, sie sei eingeschlafen, manchmal aber hielt er es nicht länger aus. Dann versuchte er es leise und unauffällig zu tun, und eine Zeit war er tatsächlich der Meinung, seine Frau merke nichts. Diese nachlässige Art war ihr am ekelhaftesten.
Jetzt kannst du furzen und wichsen nach Herzenslust, rief sie ihm zu, Erwin Schilder grunzte nur.
Mit Sasse dagegen empfand Edith alles anders. Als sie einmal mit ihm im Versteck eintraf, konnte sie es nicht erwarten, kniete nieder und knöpfte ihm den Schlitz auf. Sie waren so wild aufeinander, daß sie manchmal alle Vorsicht außer acht ließen, vor allem, wenn sie in Eile waren. Abends im Wäldchen huschhusch, und Sasse immer in Angst, es schleiche sich jemand an, tags im Büro zwischen zwei feurigen Ansprachen an ihn huschhusch, und Sasse immer in Angst, es klettere jemand an der Außenwand hoch und beobachtete sie durchs Fenster.
Alle seine Ängste aber wurden übertroffen von der Angst vor der Partei, der er angehörte. Diese Angst war so groß, daß er, vor allem in der ersten Zeit ihrer Liebe, nahe daran war, Schluß mit Edith zu machen. Nur der Gedanke, wie viel ihm im Leben entgehe, habe er sie nicht, hinderte ihn daran.
Er kam auch auf die Idee, sich der Partei anzuvertrauen und um Rat zu bitten. Er sah sich schon in der Rolle des zerknirschten Missetäters: Wie er hingeht und sich auf den Armesünderschemel setzt, den Blick gesenkt, die Hände gefaltet im Schoß. Wies sie streng auf ihn blicken, während er stockend berichtet, und sie ihr: Unglaublich! ausrufen. Wie plötzlich einer aufspringt und eilends das Zimmer verläßt vor Empörung über das, was er eben zu hören bekommt.
Leise und stockend würde er vom Verfall seiner Moral und dabei mehr und mehr von Edith reden, um allmählich mit Andeutungen und nicht zu Ende gesprochenen Sätzen die Schuld von sich abzuwälzen. Wie sie langsam begreifen und anfangen würden, Einzelheiten zu erfragen. Wie er ihnen stockend antworten würde. Wie sie ihn verwarnen.
Mehrmals schon hatte er sich bei Orzmann im Parteibüro anmelden lassen. Er war entschlossen, sich selbst hinzustellen als einen entarteten und pflichtvergessenen Kerl. Aber wenn er vor Orzmann saß, verließ ihn der Mut. Sie würden ihn nicht ungeschoren davonkommen lassen. Sie würden ihn bestrafen und ihn für zwei oder drei Jahre als ungelernten Hilfsarbeiter wegschicken. Er könnte sich in der Zeit bewähren, und wenn er sich bewährt hätte, wäre alles vergeben und er könnte wieder leitende Persönlichkeit werden.
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