Wie leicht war es für Sasse gewesen, der Hausfrau gefällig zu sein, die ihm gefällig war. Er hatte sich dem System in Traun eingeschmiegt, so daß nicht mehr zu unterscheiden war, wo Obrigkeit begann und wo Sasses Einfluß endete. Er war noch nicht Obrigkeit selbst, handelte aber so, als sei er sie schon und nicht nur ihr Handlanger. Geld nahm er nicht, es ging ihm um Vorteile.
Er hatte zu entscheiden, wann ein durchlässiges Dach repariert wird und wann ein unheizbarer Kachelofen. Die blau getönten Handwaschbecken, von denen die Grundstücksverwaltung drei Stück in fünf Jahren erhalten hatte und die Sasse in seinem Dienstzimmer vor Diebstahl sicher aufbewahrte, stellten die Macht dar, die er besaß. Eins erhielt Kotarski, eins war für ihn selbst, und eins erhielt die bereitwillige Hausfrau. Das alles hatte ihn bei vielen verhaßt gemacht.
Als Liesbeth Koslowski verunglückt war, hatten alle in der Stadt Mitleid empfunden. Jetzt, da es hieß, Sasse habe sie umgebracht, empörten sie sich. Sasse oder die Obrigkeit, das war ihnen nun legal. Edith spürte die Gefahr unaufhaltsam auf sich zukommen, und sie sah sich außerstande, sie abzuwenden. Doch je bedrohlicher die Gefahr, desto größer ihre Entschlossenheit, .sich zu wehren. .
Es war unruhig in der Stadt. Man stand und beobachtete, was vorging ringsum, und redete aufeinander ein. Leise besprachen sich in der Frühstücksbude Tiefbauarbeiter, leise und ernst, als stehe Schweres bevor. Unruhe auch unter den Studenten der medizinischen Fachschule, nicht viel hätte gefehlt, und durch ein beherztes Wort ermutigt wäre ein Spruchband entfaltet worden. Es war ein Zustand erreicht, bei dem alles noch leise blieb, aber wenn nicht bald etwas geschah, würden Unmut und Verdrossenheit zu Tätlichkeiten führen; Und wiederum kurvte unverhofft ein Motorradschwarm durch die Straßen, flößte Angst ein, und die Unruhe in der Stadt wurde größer. Damals kamen noch mehr Polizisten nach Traun. Sie wurden in der Lagerhalle der stillgelegten Möbeltischlerei untergebracht, und wenn sie im Einsatz waren, standen sie durch Sprechfunk miteinander in Verbindung.
Morgens war an der Hauswand gegenüber dem Grünen Salon Mörder! in den Putz geritzt, ein Wort, das Polizisten im Sondereinsatz, die früh um fünf schon die Straßen nach Aufschriften durchstreiften, unleserlich machten, und einmal entstand Aufregung in der Stadt, als bei Tageslicht noch an der Brauereiwand zu lesen war: Der Mörder ist unter uns. Mit Blaulicht und Martinshorn kam um halb neun ein Mannschaftswagen mit Polizisten, die kampfmäßig ausgerüstet absprangen, die Umherstehenden abdrängten und in großer Eile die Inschrift übertünchten. Vor Richter Pinthus mit dem Todesurteil in der Hand wird sich Edith wundern, auf wie einfältige Weise ihre Tat aufgedeckt wurde, ihr unenthüllbarer Plan von einer Gewalttat ohne Werk-zeug und ohne Motiv.
So ein Unfug, rief sie verzweifelt in den Versammlungsraum des Gewerkschaftshauses, Sasse ist unschuldig, sechs Zeugen-gibt es, die es bestätigen können, Bardeck, Horowitz, Debasse, Kotarski, Bürgermeister Herbert Kahn aus Wiesenthal und mich.
Dir glauben wir, Edith, rief aus der Formerei einer.
Bardeck, Horowitz, Debasse, Kotarski und Bürgermeister Herbert Kahn, rief Edith verzweifelt, waren die ganze Zeit mit Sasse zusammen.
Daß du die Wahrheit sagst, Edith, das wissen wir, rief eine aus der Waschanstalt.
Hinten im Saal aber sah Edith Leutnant Stein, angetrunken, ungewaschen, mit rotgeränderten Augen vor Übermüdung, der sie fragend anstarrte. Ja, dachte sie da in aufkeimender Besorgnis, die noch keine Angst war, einer, der so sehr sucht wie Stein, wird eines Tages finden.
Zwei Tage vor ihrer Verhaftung schließlich wurde eine Armee-Einheit nach Traun verlegt. Sasse war längst mit Herzinfarkt im Krankenhaus. Hat sich davon-geschlichen, Gott sei Dank, dachte Edith. Stein, dem die Vorgesetzte Behörde alle Schuld an der Unruhe in der Stadt gab, war degradiert worden. Wie ein Schlafwandler irrte er tatenlos durch die Straßen, drehte Zeitungsseiten um, die verrottet auf der Straße lagen, lauschte in Kneipen auf trunkenes Lallen, sah zu, wie sich am Himmel die Kondensstreifen der Düsenjäger auflösten, und lugte hinter Büsche, wo Unrat lag und wo es nach Urin stank. Die Mordkommission war in Traun eingetroffen, zwei Männer, der eine groß, der andere klein, der eine massig, der andere dünn. Stein hatte den Schreibtisch ausräumen müssen, zur Eile ermahnt von Markschat, dem großen Mann mit schmalen Lippen und randloser Brille, warte Bürschchen, dir zeig ich's, dachte Stein. Der kleine Dünne hatte ein wehleidiges Gesicht, wahrscheinlich Magengeschwüre, dachte Stein. Den Namen des kleinen Dünnen hatte er zuerst nicht verstanden, Bahr oder Behr oder Buhr, meine Güte, dachte Stein, wie mag so einer wohl heißen?
Oberleutnant Beer, rief Markschat, wo bleibt die Akte von der Spurensicherung?
An diesem Abend fiel Stein eine blasse Frau auf, die ihn grüßte, scheu und mit ausweichendem Blick, und er überlegte, woher er sie kannte. Bis es ihm einfiel. Er rannte ihr hinterher, und als er ihr die Hand auf die Schulter legte, zuckte sie zusammen.
Sie sind Sonja Herbert, sagte er.
Ja.
Ich habe Sie vor zwei Wochen- mit Herrn Sasse zusammen gesehn.
Ja.
Sie machten ihm Vorwürfe.
Nein, ich sagte ihm, daß ich zur Polizei gehen werde.
Weil Sie wissen, wie Liesbeth Koslowski umkam? .
Ja.
Warum sind Sie nicht zu mir gekommen? fragte er.
Weil er mich bat, es nicht zu tun, sagte sie.
Sie sind in der Grundstücksverwaltung.
Sachbearbeiterin, sagte sie.
Verheiratet?
Und ein Kind, sagte sie.
Ach so, sagte Stein.
Ja, sagte sie.
Ihr Mann ahnt nichts, sagte Stein.
Nichts, sagte Sonja.
Er wird es erfahren, sagte Stein.
Natürlich, sagte Sonja, denn ich werde als Zeuge aussagen.
Warum? fragte Stein.
Weil ich glaube, daß ich jetzt alles sagen muß, was ich weiß.
Sie sahen sich nach der vorbeiflanierenden Streife um, zwei Polizisten mit Maschinenpistolen.
Nicht mehr lange, sagte Stein, dann patrouilliere ich wie die.
Gerne? fragte Sonja.
Lieber ginge ich zur Müllabfuhr, sagte Stein.
Ein ehrenwerter Beruf, sagte Sonja.
Vor allem sauber, sagte Stein. '
Dann gehen Sie doch, sagte Sonja.
Ich hab noch meinen Fall, sagte Stein.
Sasse war Ihr Freund, sagte Sonja.
Eben, sagte Stein. '
Und da wundern Sie sich, daß ich keine Lust hatte, zu Ihnen zu kommen, sagte Sonja.
Gehen wir jetzt zum Kommissariat? fragte Stein.
Es eilt nicht, sagte Sonja.
Im Stadtpark setzten sie sich auf die Bank.
Fällt es Ihnen schwer, zu erzählen? fragte Stein.
Jetzt nicht mehr, sagte Sonja.
Was haben Sie gesehen? fragte Stein.
Alles, sagte Sonja.
Wie? fragte Stein.
Durchs Schlüsselloch, sagte Sonja und wurde rot.
Was haben Sie gesehen? fragte Stein.
Ich habe gesehen, sagte Sonja, wie Herr Sasse den Schreibtischsessel herumrückte und wie sich Edtih vor ihm hinkniete.
Ach, sagte Stein.
Ich habe gesehen, sagte Sonja, wie sie seinen Hosenschlitz aufmachte. Dabei war sie so erregt, daß sie einen Knopf abriß, Worauf Herr Sasse sagte: Paß doch auf.
Das haben Sie gehört? fragte Stein.
Ja, sagte Sonja, das habe ich gehört.
Auch gesehen? fragte Stein.
Ja, sagte Sonja, auch gesehen.
Alles, fragte Stein.
Alles, sagte Sonja.
Und das wollen Sie aussagen? fragte Stein.
Ja, sagte Sonja.
Auch, daß Sasse mit anderen Frauen in der Grundstücksverwaltung Verhältnisse hatte? fragte Stein. ' Auch das, sagte Sonja.
Mit allen? fragte Stein.
Mit allen, sagte Sonja.
Auch mit Ihnen, sagte Stein.
Stimmt, sagte Sonja.
Und mit ratsuchenden Hausfrauen, sagte Stein.
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