Karl-Heinz Jakobs
Die Frau im Strom
Kriminalroman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Karl-Heinz Jakobs Die Frau im Strom Kriminalroman Dieses ebook wurde erstellt bei
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vorletztes Kapitel
Letztes Kapitel
Impressum neobooks
Wenn ich nunmehr anhebe, die Geschichte eines Mordes zu erzählen, der unsere kleine Stadt vor mehr als zwanzig Jahren so sehr durcheinanderbrachte und manchen von uns zu unbedachten Äußerungen und Handlungen trieb, daß die Obrigkeit schon einen Aufruhr kommen sah und, fix, wie sie immer ist, Anweisungen gab, zuerst örtliche Polizeitruppen, später eine kleinere Armeeformation zusammenzuziehen, wenn ich also nach so langer Zeit von Vorfällen berichte, deren Zusammenhänge damals keiner von uns richtig begriff, sogar ich nicht, der das alles doch zum Greifen nah erlebte, so geschieht das nicht, weil ich die Sache für begraben und vergessen halte und glaube, man. könne nun in Ruhe drüber plaudern. Vielmehr erzähle ich von den Geschehnissen damals in Traun, wo sich der Fall abspielte, uns allen zur Warnung, denn ich glaube, daß sie sich jederzeit wiederholen können. So grundlegend haben sich die Verhältnisse seit jenen Tagen nicht gewandelt. Es brauchen nur einige äußerliche Dinge zufällig aufeinanderzutreffen, ein tatenfroher und erfolggewohnter Täter, ein von Angst und Gläubigkeit getriebener geistiger Urheber und eine dünkelhafte Obrigkeit. Bei dem Mord an Liesbeth Koslowski, von dem ich erzähle, wurde kein Blut vergossen. Das Mädchen war nicht erwürgt worden und nicht vergiftet. Die Leiche wurde nach zehn Tagen mühseliger Suche ohne Hautabschürfung, ohne blauen Fleck weit vom Tatort entfernt aus der Elbe?geborgen, und Doktor Feininger bescheinigte am Ende Untersuchung Tod durch Ertrinken und, was uns alle verblüffte, Schwangerschaft im sechsten Monat. Polizeileutnant Stein aber, der die Ermittlungen leitete, war nach langwierigen Verhören und Befragungen der Überzeugung, daß es ein Unfall gewesen sei. Das war im Juni. Einen Monat später, als .in der Stadt das Gerücht umging, Liesbeth Koslowski habe sich das Leben genommen, bekam Stein Briefe vom Vater der Verunglückten.
Max Koslowski war Schmied von Beruf und dem Glauben nach Adventist. Er schrieb, daß er den Direktor unserer Grundstücksverwaltung, Gustav Sasse, beschuldige, sich der Liesbeth entledigt zu haben, weil sie von ihm schwanger war. Den von Koslowski so schwer Beschuldigten .kannte Stein seit Ewigkeiten, und da auf dem Freund nicht der leiseste Verdacht ruhte, weil er sich zur Tatzeit weit vom Tatort entfernt aufgehalten hatte, was von vielen Zeugen bestätigt worden war, besuchte er Sasse eines Abends in der Wohnung und machte ihm Vorwürfe.
Wieso erfahre ich erst jetzt, daß Liesbeth .Koslowski von dir ein Kind erwartete?
Sasse, knapp vierzig, hochgewachsen, grau meliertes Haar, sagte mit wohltonender Stimme, in der Leid und Zerknirschung mitschwangen:
O Gott, o Gott, was hab ich getan.
Stein war verärgert über den Freund und ließ ihn jammern.
Ausgerechnet mir muß es passieren, rief Sasse, immer bin ich moralisch und politisch und moralisch sauber gewesen.
Hör auf zu lamentieren, sagte Stein unwirsch.
Ich hab alle belogen, die mir vertrauten, rief Sasse, zerknirscht allem Anschein nach.
Wir wissen jetzt, sagte Stein, daß du Liesbeth Koslowski geschwängert hast, aber das interessiert uns nicht mehr, denn der Alte behauptet, du hast seineTochter umgebracht.
Ich? rief Sasse erstaunt. Ich? Wie hätte ich das anstellen können? Ich war ganz woanders zu der Zeit, als Lieschen, er hielt einen Augenblick inne und verbesserte sich, als Liesbeth Koslowski verunglückte.
Das weiß ich, sagte Stein ungeduldig, glaubst du, ich würde nachts in Zivil zu dir kommen, wenn ich nicht wüßte, daß du der Täter nicht sein kannst?
Täter, sagte Sasse traurig, ich dachte immer, solche Worte kommen nur in Kriminalromanen vor.
Hätte ich Zweifel an deiner Unschuld, sagte Stein, so würde ich dich vorladen.
Unschuld, Schuld, sagte Sasse, auch so schreckliche Wörter.
Außerdem würde ich den Fall wegen Befangenheit abgeben, sagte Stein.
Sasse, dem die Tränen kamen, streckte beide Arme aus, die Handgelenke übereinandergelegt, und rief:
Nimm mich fest. Sperr mich ein.
Obwohl Stein wütend auf den Mann war, der ihm erst jetzt seine Beziehung zu der Verunglückten eingestand und der sich nun lächerlich aufführte, konnte er ein Auflachen nicht unterdrücken, und er sagte:
Keiner denkt daran, dich festzunehmen, außerdem legt man die Handgelenke nicht übereinander bei der Festnahme, das tat man früher, als die Polente den Verbrecher mit Stricken fesselte, heute haben wir Handschellen, und dann liegen die Handgelenke nebeneinander.
Sasse korrigierte sofort die Art, wie er die Hände dem Polizisten entgegengestreckt hatte, und rief:
Ich habe mein Leben verpfuscht.
Sie behaupten in ihren Briefen an uns, sagte Stein eine Woche später zu Koslowski, den er vorgeladen hatte, daß Herr Sasse Ihre Tochter umgebracht hat.
Koslowski schwieg verstockt.
Haben Sie mich verstanden?
Koslowski antwortete nicht, er blickte zu Boden, als ob es da Wer Weiß was zu entdecken gäbe.
Soll das bedeuten, sagte Stein, daß Sie eine Anzeige aufgeben wollen?
Wegen was? fragte Koslowski.
Wegen Mord, sagte Stein gereizt.
Meine ermordete Tochter, .sagte Koslowski aus-weichend, ohne den Kopf zu heben.
Was ist mit Ihrer Tochter? rief Stein.
Wird jetzt beleidigt, sagte Koslowski vorwurfsvoll, nicht genug, daß sie sie ermorden, jetzt beleidigen sie sie noch.
Wer? rief Stein, wer sind die, von denen Sie sprechen?
Jetzt kommen sie alle und sagen, sie hat sich das Leben genommen, sagte Koslowski, und das ist nicht wahr, ein gläubiger Mensch bringt sich nicht um.
Sie bleiben also bei Ihrer Beschuldigung gegen Herrn Sasse? sagte Stein.
Es kann nur er gewesen sein, sagte Koslowski.
Warum, Herr Koslowski, sagte Stein, haben Sie Ihren Verdacht nicht schon beim ersten Verhör geäußert?
Meine Tochter ist tot, sagte Koslowski, außer Gott, dem Herrn, kann keiner sie lebendig machen, aber jetzt sag ich lieber die Wahrheit und laß mich einsperren.
Warum sollte Sie jemand einsperren wollen? fragte Stein ungeduldig.
Ich weiß nicht, sagte Koslowski ausweichend.
Bei uns wird keiner eingesperrt ohne Grund, sagte Stein.
Koslowski schwieg.
Dann werden wir jetzt die Anzeige aufsetzen, sagte Stein, Hetty, rief er, .und aus dem Nebenzimmer kam eine kleine Frau, auch sie in Leutnantsuniform, wir haben ein Protokoll aufzunehmen, und er diktierte:
Am Soundsovielten, da setzen wir das heutige Datum ein, um zehn Uhr fünfzehn, erschien vor dem Revier soundso der Schmied soundso, Religion evangelisch. Nein, sagte Koslowski; adventistisch.
Das ist dasselbe, sagte Stein, Religion evangelisch, und erklärte, daß er den Bürger Gustav Sasse, von Beruf Direktor der hiesigen Grundstücksverwaltung, beschuldigt, Liesbeth Koslowski ermordet zu haben. Als Grund dafür brachte er vor , seine Tochter habe ein Kind von Herrn Sasse erwartet, was der bestätigte.
Stein wandte sich an Koslowski:
So, und nun den Beweis.
Letzten Sommer, sagte vor sich hin brütend Koslowski, wollte er mit meiner Tochter in den Westen.
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