„Halt mal, nicht so eilig, erst mal dageblieben, jetzt wird erst gefrühstückt.“ Aus den Augenwinkeln sah er dass sie in der Essecke, die nach Südwesten lag und großzügig verglast war den Frühstückstisch schön gerichtet hatte. Er spürte ganz exakt den Widerwillen den er immer empfand, wenn er auf diese Form des Kleinbürgeridyll stieß.
„Must du eigentlich nicht auch zur Arbeit?“ fragte er sie im Vorbeilaufen
„Ich hab Spätschicht und fange erst um zwei an, und Du wartest jetzt einen Moment“ dabei erreichte sie die Tür vor ihm und baute sich mit ihren ganzen 1,75 Metern vor ihm auf und schubste ihn mit sanfter Gewalt in Richtung Tisch.
„Du Schätzchen, ich habe wirklich keine Zeit, ich werde an einem Tatort erwartet.“ Doch bevor er das letzte Wort ausgesprochen hatte saß er bereits auf dem Stuhl und seine „Ehefrau in spe“ goss ihm frisch gebrühten Kaffee ein. Als er sie so musterte, wie sie ihn bediente schien sein Widerstandswille zu seinem eigenen Erstaunen einzubrechen und er fügte sich ihren Anweisungen. Den Kaffee nahm er schwarz mit einem Stück Zucker, aber als sie ihm noch ein Brötchen aufnötigen wollte – woher auch immer das kommen mochte, protestierte er
„Du das ist furchtbar lieb von dir aber ich esse morgens nichts und muss jetzt wirklich weg.“
„Komm, nimm das Brötchen mit und trink aber wenigstens deinen Kaffee in Ruhe!“
So tat er wie ihm geheißen. Während ihm seine „Angebetete“ ein Brötchen mit Butter schmierte und mit etwas rohen Schinken belegte, den sie irgendwo in den Untiefen des Kühlschranks gefunden hatte, wobei er sich wieder fragte, wie sich wohl überhaupt irgendetwas in seinen Kühlschrank verirren konnte, kaufte er doch eigentlich kaum etwas ein, dennoch genoss er seinen Kaffee. Solchermaßen versorgt und mit einem Abschiedskuss an der Türe von seiner unbekannten Freundin versehen, fuhr er mit dem Fahrstuhl nach unten, stieg in die Garagenebene hinunter, lief ans Auto und machte sich auf zum Tatort. Als er in seinem neuen Auto, einem schneeweißen VW Scirocco saß und den Motor startete schien er langsam wieder aus seinem bürgerlichen Idyll ins hier und jetzt zu finden. Was war da eigentlich gerade abgelaufen ? Unglaublich. Er hatte zu Hause gefrühstückt ? Unverständlich. Er sollte heiraten? Unmöglich. Er kannte nicht einmal die Frau die er da heiraten sollte? Unerträglich. Andererseits, hübsch war sie ja und ein bisschen Ordnung in seinem Leben könnte eigentlich nicht schaden – aber gleich heiraten? Nein, das hieße doch das Kind mit dem Bade ausschütten. Vor allem sollte ich mal was über die Frau in Erfahrung bringen, z.B. wie sie heißt, wer sie eigentlich war und wie verdammt noch mal sie auf die Idee kommen konnte, dass er sie heiraten solle, überlegte er. Der Kriminalhauptkommissar in ihm erwachte langsam. Nachdem er genussvoll sein Brötchen gegessen hatte und diesen Gedanken nachgehangen hatte, beschloss er also methodischer an das Problem heranzugehen. Wieder versuchte er den Donnerstagabend zu rekonstruieren, kam aber nicht weiter. Plötzlich drängten sich Erinnerungen an einen Abend auf dem „Fest“, einer großen dreitägigen Konzertveranstaltung in Karlsruhe ins Gedächtnis, ohne dass er sagen konnte welcher Tag und welche Uhrzeit das war. Viele fremde Menschen, einige bekannte Menschen viele fremde Gesichter die gleichsam auf ihn einfluteten. Eine Ordnung, oder gar Chronologie in diesen Wust von Erinnerungen zu bringen schien unmöglich. Das Merkwürdige war, dass er selbst den bekannten Gesichtern keinen Namen zuordnen konnte. Da! Da war auch ihr Gesicht, das ihn anlächelte. Unwillkürlich lächelte auch er. Nach und nach kehrten mehr Erinnerungen an sie zurück, leider war ihr Name nicht dabei – also musste sie jetzt Schätzchen heißen bis er irgendwie sich ihres Namens erinnerte, oder ihn sonst wie in Erfahrung brachte. Sie sagte sie sei Krankenschwester am Städtischen Klinikum in Karlsruhe, das war ein Anfang.
Sein Lächeln stand als er am Tatort eintraf immer noch in seinem Gesicht. Als er seinen älteren Kollegen Reinhard Kaiser sah, der mit seinen 1,70 m und seinem drahtigen, aber schmächtigen Körperbau zu ihm trat konnte der sich auch ein, aber diesmal eher spöttisches Lächeln nicht verkneifen.
„Tut mir leid, dass ich dich an deinem freien Tag aus dem Bett habe rausscheuchen lassen. Aber ich habe gedacht, dass du dir das nicht entgehen lassen willst, um einen ersten Eindruck selbst zu gewinnen, aber wenn ich mir dich so ansehe glaube ich hätte ich dich doch noch in den Armen eines deiner Betthäschen lassen sollen. Insbesondere nachdem du ja wohl einen neune Style gewonnen hast.“
„Nein, nein...“ wehrte Fuhr fast erschrocken ab „...ich bin froh dass ich da raus gekommen bin. Irgend was läuft da ganz grandios an mir vorbei und ich durchblicke nichts. Bevor ich meiner neuen Flamme wieder gegenübertrete muss ich erst mal herauskriegen was die wohl in mein Bett und meine Wohnung geführt hat. Insbesondere was ich wohl wieder angestellt habe damit die auf das schmale Brett kommt ich könnte sie heiraten wollen – ich meine stell dir das mal vor ich und heiraten, das geht doch gar nicht.“
Der Ältere Nickte mit einem Schmunzeln nach dem Kurzbericht, seines jungen Kollegen den er so, oder ähnlich schon öfters gehört hatte und war sofort wieder zu dem Fall zurückgekehrt.
„Also ein 61- jähriger Mann, nach seiner Ident -Card zu urteilen ein Herr Dieter Vogtländer, Versicherungsvertreter, wie sich aus seinen Visitenkarten ergibt, die überall im Fahrzeug rumlagen. Dort drüben steht übrigens sein Auto, da der Jaguar XF. Keine sonstigen Auffälligkeiten. Da liegt er mit einer Kugel in der Brust. Was die SpuSi soweit sagen kann ist eigentlich offensichtlich. Dort, wo er die asphaltierte Fläche verlassen hat sieht man seine Fußspuren, die mit kurzem Schrittabstand bis zu seinem Fundort schnurstracks hinüber-führen.“
Fuhr betrachtete die Fußspuren, welche von der Spurensicherung bereits markiert und fotografiert wurden, aus den Augenwinkeln registrierte er, dass gerade ein Gipsabdruck davon ausgegossen wurde.
„Wie´s aussieht ist er dort langsamer gegangen, kurz bevor es ihn erwischt hat. Kann man schon sagen aus welcher Richtung der Schuss gekommen ist?“
Sein älterer Kollege trat zu ihm und meinte:
„Schwer zu sagen, da, das Opfer wie´s aussieht von einer ziemlich kleinkalibrigen Waffe erschossen worden ist, andererseits das Opfer doch ein Stück zurückgeschleudert hat, ist von einem Schuss aus nächster Nähe auszugehen. Leider haben wir im Umkreis von 500 m keine Patronenhülse gefunden. Fußspuren vom Täter – Fehlanzeige, aber es sieht dennoch so aus, als ob die Spuren bewusst verwischt worden wären. Die Erde um die Bäume herum ist zu gleichmäßig verteilt. Wir haben auch schon die anderen Rastplatzbesucher befragt, ins-besondere den, der uns den Fund des Opfers gemeldet hatte. Insgesamt ist kein Schuss gehört worden, aber auch niemand der aus dem Gebüsch kam beobachtet worden.“
Fuhr runzelte die Stirn und versuchte einmal das ganze Rastplatzgelände zu überblicken.
„Dass sich das Opfer hier geradewegs auf die Baumgruppe zubewegt hatte ist wohl nur damit zu erklären, dass er dort die Person gesehen, oder gehört hatte, wegen der er überhaupt hierher gekommen war, hätte er etwas gesucht, wäre er nicht so direkt auf das Ziel zugegangen. Vielleicht wurde er auch schon bedroht, oder er war sich seiner Sache nicht ganz sicher. Auf jeden Fall handelte es sich nicht unbedingt um eine bekannte Person, auf die er unbefangen zugegangen ist. Zeugen für mindestens Teile des Geschehens zu finden dürfte schwer sein, da hier ein reges Kommen und Gehen herrscht.“
Kaiser beobachtete Fuhr mit unverhohlener Neugierde und warf nun ein
„Und warum vermutest Du das?“
Fuhr wusste dass sein älterer Kollege immer wieder ihn solche Mutmaßungen anstellen ließ um seine Qualitäten zu prüfen und das Geschehene auf sich wirken zu lassen und so fuhr dieser unbeirrt fort:
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