Aber sollen wir deshalb aufhören, Antworten zu suchen?
Hoffentlich nicht! Theologie, Gemeindearbeit und allemal auch die Predigt haben keine andere Aufgabe als diese: Den Menschen zu helfen, auf die Frage nach Gott und dem Glauben Antworten zu finden. Und gemeint sind Antworten, die sie auch verstehen und die sie für das Evangelium und Gottes Wirken öffnen. Mit den nächsten Überlegungen möchte ich ein wenig dazu beitragen.
Eine irreführende Frage
Vorweg noch ein Gedanke für euch Fragende.
»Was habe ich von Gott?« So berechtigt die Frage ist, so irreführend kann sie auch sein. Sie kann sich ins Gegenteil verkehren: Ich scheine nach Gott zu fragen, aber in Wahrheit frage ich nach dem, was mir nützt. Ich will meinem Leben etwas Gutes hinzufügen, ich will mich bereichern: Will einen Halt, und wenn es nur der berühmte Strohhalm ist; oder ich will eine neue Qualität für mein Leben, vielleicht eine religiöse; oder ich suche einen Helfer und Heiler; oder ich will geliebt werden und endlich einen Vater, eine Mutter, Schwestern und Brüder haben ... Vermutlich ahnen Sie, worauf ich hinaus will?
Wer nach Gott fragt, aber einen persönlichen Diener meint, einen Qualitätsoptimierer, einen Wunderdoktor oder Wünscheerfüller – der fragt nicht wirklich nach Gott.
Gott als Additiv meines Lebens, als ein gewisses Plus würde von mir auf die Stufe eines neuen schicken Autos, eines Lottogewinns, einer tollen Urlaubsreise usw. gestellt werden.
Wenn ich etwas von Gott haben will, dann mache ich letztlich mich selbst zum Herrn über Gott: Ich entscheide, wann und was ich von ihm habe. Ich nutze ihn für meine Zwecke.
Vor vielen Jahren habe ich mit großer Begeisterung Erich Fromms »Haben und Sein« gelesen. Ich finde, der Therapeut arbeitet unsere Haben-Haltung wirklich prima heraus und ertappte auch mich selbst als darin oftmals gefangen.
Auch wenn es sich fromm anhört: »Ich habe meinen Gott!« und wenn ich eine lange Liste aufzählen kann, was er mir alles schenkt und gibt. Am Ende könnte sich herausstellen, dass ich Gott für meine Zwecke instrumentalisiert habe. Die Frage nach dem, was ich vom Glauben an Gott habe, hat sich dann als völliger Irrweg erwiesen. Ich habe gar nicht Gott gesucht, sondern meinen eigenen Vorteil und somit mich selbst.
Krass wird es dann, wenn mir »Gott nichts bringt«. Dann wende ich mich ab und suche mir andere Hilfsmittel, die mir mehr bringen. Und dann kommt nach Jesus eben ein bisschen Buddhismus, dann ein Schuss Esoterik und zum Schluss vielleicht die große Materialismus- und Konsumsause oder »Ist ja doch alles umsonst« - Resignation.
In Indien habe ich mehrfach Hindus mit mehreren Gottheiten auf dem Regal oder bei Taxifahrern auf dem Armaturenbrett getroffen. Einer sagte einmal: »Ich bete jeweils zu dem, der mir Erfolg verschafft!« Na toll. Gott, mein Instrument zum glücklichen und erfolgreichen Leben.
Ich muss ja wohl nicht lange erklären, dass »Gott« der Name für jenes Gegenüber ist, der alles geschaffen hat, für den Ursprung des Seins, für den Allmächtigen, die letzte Instanz, den Herrn über den Kosmos ... und Gott zu instrumentalisieren entspricht weder seiner Größe und Unverfügbarkeit noch ist es überhaupt möglich.
Und noch einen zweiten Gedanken zu der Frage, die einerseits berechtigt ist, andererseits auch völlig daneben liegen kann.
»Was habe ich von meiner Frau?« Ihr spürt, dass auch diese Frage verständlich, aber extrem irreführend sein kann. Hier wird meine Frau instrumentalisiert. Was bei Sachen oder beim Beruf oder bei den Wahlen noch angebracht ist, verliert bei Beziehungen seine Berechtigung. Wenn ich da immerzu nach dem »Ertrag« frage, dann wird es nicht nur anstrengend, sondern dann wird möglicherweise sogar die Beziehung zerstört oder zumindest belastet.
Ich bin Vater. Was habe ich von meinen Kindern? Sie rufen nicht an. Sie besuchen mich nicht. Sie unterstützen mich nicht. Sie fragen nicht nach mir – wenn ich solche Vorhaltungen mache, geht der Schuss mit Sicherheit nach hinten los. Meine Kinder habe dann keine Lust mehr, mit mir zusammen zu sein. Und wenn sie, nun erwachsen, mich nur unter der Frage »Was bringt uns der Kontakt zu unserem Vater?« abbuchen würden, ginge es mir ebenso.
Ja, wenn Gott eine Ideologie wäre, müsste ich fragen, was sie uns bringt. Wenn er ein Katalog an Werten oder ein Regelwerk wäre, dann muss die Frage nach dem aktuellen Ertrag hier und heute unbedingt gestellt werden. Wenn er eine wie eine Partei wählbare Institution wäre, auch dann entscheidet die Frage, was ich von meiner Mitgliedschaft oder der Wahl dieser Partei habe. Aber wenn Gott eine Person ist?
Wenn Gott eine Person ist, bleibt die Frage, was er mir bringt, fragwürdig. Bei Personen nach Ertrag und Nutzen zu fragen, mag im Arbeitsleben gang und gäbe sein, im persönlichen Umfeld ist es jedoch völlig daneben.
Und wenn er oder sie mir nichts mehr bringt? Dann lasse ich ihn oder sie fallen? Dann trenne ich mich? Dann taugt er oder sie nichts?
Ihr merkt schon: So sehr ich meine, wir brauchen Antworten auf die Frage nach dem, was Gott bringt, so sehr halte ich doch diese Antworten für zweitrangig.
Vater und Mutter, wenn es gut geht, lieben auch ohne Gewinn. Ehepartner lieben (hoffentlich!) ohne Bedingungen zu stellen. Kinder lieben ihre Eltern einfach nur so, auch wenn sie als Erwachsene kein Geld mehr bekommen. Immer wieder wird eine Beziehung begonnen und durchgehalten, weil sich etwas ereignet, was nicht im Bereich »Ertrag« und »Nutzen« messbar ist. Liebe ist nicht mess- und zählbar. Im Gegenteil, sobald du sie messen und vergleichen willst, zerrinnt sie. Liebe ereignet sich wie ein Wunder – sobald du sie machen und produzieren willst, entzieht sie sich. Liebe ist zweckfrei – sobald man sie instrumentalisiert, verschwindet sie. Liebe fragt nach Vertrauen und Treue – sobald alles automatisch laufen soll und selbstverständlich wird, vergeht sie.
Ja – ich frage tatsächlich, was Gott mir, dir und uns gemeinsam bringt. Gerade Menschen, die nach Gott fragen, brauchen ehrliche Antworten auf eben diese Frage.
Nein – ich halte die Frage nach dem, was Gott bringt, für zweitrangig und nicht entscheidend für den christlichen Glauben. Gerade Menschen, die in einer Beziehung zu Gott leben, kommen mit anderen Fragen erheblich weiter ... allemal wenn sie jene Antworten finden, die sich erst und nur durch die Liebesbeziehung zu Gott wundersam ergeben.
2.1. Gott will nicht ohne uns
Die Jünger Jesu wurden von ihm aus sehr unterschiedlichen Situationen herausgerufen. Blättern Sie doch einmal im Lukasevangelium und lesen Sie die Passagen, wo es um die Jünger geht. Jesus ruft sie – und sie folgen.
Die Geschichte von Petrus (Lk. 5,1–11) gibt exemplarisch wieder, was in allen anderen Berufungen ebenfalls enthalten ist: Gott braucht seine Leute! Jesus kommt unerwartet auf den von einer erfolglosen Nacht gezeichneten Fischer zu. Und er schleppt ihn nicht zur Versammlung der Gemeinde. Er kritisiert nicht seinen Lebensstil oder belehrt ihn mit Passagen aus der Bergpredigt. Jesus listet auch nicht auf, wieso Petrus ihn oder Gott braucht und versucht nicht, ihn zu »bekehren«. Nein, Jesus macht nur dies: »Petrus, ich brauche dich mit deinem Boot! Hilf mir!«
Ich habe irgendwann entdeckt, dass diese Haltung Gottes sich durch die Geschichte der Bibel und auch der Kirche zieht. »Ich brauche dich!« »Ich kann und will ohne dich nicht sein!« »Egal ob du, Mensch, mich brauchst oder nicht, ob du das Gefühl hast, dir fehlt etwas oder nicht – ich brauche dich und mir fehlt etwas ohne dich!«
Petrus bekommt dann einen Auftrag und unterstützt Jesus bei dessen Mission. Kurz darauf ruft Jesus Levi in die Nachfolge, den Zöllner. Ohne Levi wäre er kaum mit dessen Kollegen vom Zoll in Berührung gekommen. Frauen schließen sich Jesus an und versorgen ihn und seine Jünger. Sie werden gebraucht. Die Jünger werden gesandt, organisieren größere Versammlungen, ziehen los und predigen, gehen in die Städte und Dörfer und verbreiten die Kunde von Jesus in Palästina und später weltweit. Immer wieder wird deutlich: Nicht nur die Jünger brauchen Jesus, auch und vielleicht besonders braucht er selbst seine Nachfolger, sein »Team«.
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