Wesentlich ist, was dem Wesen unseres Daseins entspricht. Dazu gehört für mich nicht nur geboren werden und sterben, sondern vor allem die Bindung an den Gott, der mich geschaffen hat, an den Ursprung und das Ziel allen Lebens. Wir Menschen sind ja nicht ein Zufallsprodukt oder einfach nur ein aus Zellen und Biologie aufgebauter Lebend-Computer. Wir sind in Materie umgesetzte Gedanken Gottes, Wunschkinder unseres himmlischen Vaters. Das ist für mich »wesentlich«.
Wichtig ist dann vieles andere: Unsere soziale Einbindung, Gesundheit, Nahrung, Wohnraum, Bildung, gesunde Luft, Verantwortungsbewusstsein usw.
Und sekundär ist alles, worauf wir auch verzichten können oder was wir nicht wirklich brauchen, wenn wir darauf verzichten müssen. Dazu gehören vermutlich sogar der Fußball, das Smartphone und die Urlaubsreise.
III.Mein drittes Beispiel eines Erlebnisses, das durch Reflektion zur Erfahrung wurde, ist die Scheidung meiner Ehe. Versuchen, die Trennung zu verhindern folgten weitere, sie zu verkraften und dann sie zu verstehen. Manche von Ihnen haben vermutlich ähnliche Prozesse durchgemacht. So eine Trennung ist eine schmerzhafte Lebenserfahrung. Es ist, als ob ein wertvolles Gefäß zerbricht. Egal wie man es nennt, Scheitern, Schuld, Versagen, Schicksal usw. Das Gefäß ist kaputt und es wird nie sein wie vorher.
Ich versuche einmal anhand einer humorvollen Szene zu beschreiben, warum mich diese Krise dankbar macht:
Inmitten schlimmer Wochen und Monate sitze ich auf meiner Terrasse und grüble. Ich verstehe nicht, warum mir das passieren musste. Ich fühle mich einsam und schlecht.
Da fällt mein Blick auf einen flachen Stein mit einer Mulde, in der sich Regenwasser gesammelt hat. Eine kleine Meise sitzt dort, trinkt und badet. Immer, wenn sie einen Schluck genommen hat, wendet sie ihren Schnabel in meine Richtung und schaut mich herausfordernd an. Die Meise lacht mich an, oder aus? Dann schüttelt sie sich die Tropfen vom Federkleid, so als ob sie losprustet vor Lachen...
Und plötzlich muss auch ich lachen.
Ich sitze dort allein, ein leeres Haus hinter mir, und lache lauthals los. Darf ich das überhaupt? Mir geht es doch so schlecht. Ich fühle mich nur mies. Was lache ich denn da?
Und dann reflektiere ich das Erlebnis. Ich denke und am Ende danke ich. Ich habe einen Vogel (das hatten andere auch schon gesagt ...). Da hat mir Gott eine Meise geschickt! Und die zeigt mir, was Hoffnung ist, Lebensfreude und Vertrauen. Mir fällt die Bibelstelle mit den Vögeln ein (Mt. 6,26): »Sehet die Vögel unter dem Himmel an. Sie säen nicht und ernten nicht. Sie sammeln nicht in Scheunen und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?«
Krisen als Chance
Eine neue Qualität im Umgang mit meiner Krise beginnt. Ich begreife sie als Chance. Ich hänge mich neu an Gottes Zusagen und Verheißungen. Ostern als Fest der Perspektiven unter allen Umständen rückt in den Blick. Heute, über zwanzig Jahre danach, kann ich dankbar sagen, dass Gott einen Weg findet, dass solche Verluste, Trennungen, Brüche usw. am Ende in die Segensgeschichte Gottes passen. So sind auch die Brüche Israels und der Kirchengeschichte Teil der Heilsgeschichte Gottes geworden.
Mir fällt der wunderschöne »Hundertwasserbahnhof« in Uelzen, unserer Kreisstadt, ein. Genau genommen besteht der Charme des ganzen Kunstwerkes von Friedrich Hundertwasser darin, dass er zerbrochene Gefäße oder Fliesen zusammengesetzt hat. Aus dem Zerbruch wurde etwas Neues, schöner und einmaliger als zuvor. Ist doch toll, oder?
Aus Denken und Erinnern wird Danken. Aus Erlebnissen werden Erfahrungen. Und wie schön, wenn man diese an jemand anders weitergeben kann. Diese drei mögen als exemplarisch für meine Biografie einmal genügen.
✪ Ich bin sicher, Sie können jetzt auch eigene Erfahrungen ergänzen. »Danke Gott, dass ich und wir immer wieder neu beginnen können und es immer irgendeine Perspektive gibt.«
Durch Gott werde ich also dankbar. Und nicht nur weil er mir so wertvolle Erlebnisse schenkt. Ich werde vor allem dankbar, weil ich in ihm eine Adresse für meinen Dank bekomme.
Mein Dank hat eine Adresse
»Da kann man nur dankbar sein!« Immer wieder begegnet mir dieser Satz. Manchmal überlege ich dann, wem diese Person denn nun dankbar ist. Na ja, vielleicht kann man ja auch einfach so für sich dankbar sein. Weil eben alles gut läuft. Aber will mein Dank nicht hinaus? Will er nicht ausgedrückt werden? Sucht er sich nicht eine Adresse?
Ich würde sagen, ja. Ohne eine Adresse werde ich meinen Dank nicht los. Und letztlich kann man dann nicht mehr von Dankbarkeit sprechen. Stellen Sie sich vor, Sie finden tausend Euro im Briefkasten. Das ist nicht schlecht. Aber das Geld wird Sie vermutlich verunsichern. Wozu? Gehört das überhaupt mir? Was soll ich damit machen? Und vor allem: Von wem kommt es? Wem kann ich dankbar sein?
Dank sucht immer eine Adresse. Und ich bin so froh, dass ich für meinen Dank eine Adresse gefunden habe. Ich muss nicht einfach nur »dem Leben« oder »dem Zufall« oder »meinem Glück« dankbar sein. Wie sollte ich meinen Dank da zum Ausdruck bringen?
Ich bin meinem Gott dankbar, meinem Schöpfer, meinem Vater im Himmel. Ich habe ein Gegenüber, dem ich das sagen kann und dem ich meinen Dank auch zeigen kann. Das finde ich großartig.
Deshalb sage ich, ich brauche Gott zum Danken. Er beschenkt mich unermüdlich, er rettet und bewahrt mich und er schenkt mir immer wieder neue Perspektiven. Wie gut, dass ich für meinen Dank bei ihm an der richtigen Adresse bin!
✪ Jeden Tag ein Dankeschön!
Wie wäre es, wenn Sie sich so etwas wie eine Spardose anlegen: Sie schreiben jeden Tag einen Dank auf einen Zettel und stecken ihn in die Dose. Zu Silvester, wenn Sie auf das Jahr zurückblicken – oder auch wenn es Ihnen schlecht geht und Ihnen kein Dank einfällt, nehmen Sie Ihre Dose, schütten die Zettel aus und stöbern darin herum ... Versuchen Sie`s und lassen sich überraschen, was passiert.
3.3. Ich brauche Gott … zum Wählen
Während ich dies zu Papier brachte, hatten viele Länder die »Qual der Wahl«.
Für einige mag die Qual einer eigenen Entscheidung und Verantwortung zu übernehmen so groß sein, dass sie lieber einen »starken Mann« hätten, der ihnen alle Entscheidungen abnimmt. Andere wählen, was sie immer schon gewählt haben, ganz egal, welches Programm. Viele schauen sich die Gesichter und das Auftreten der Kandidaten an und machen, ähnlich einer Miss-Wahl, einen Sympathie-Event daraus. Und je nach Bedeutung einer Wahl oder nach »Lage der Nation« gehen manche gar nicht an die Urne, sondern überlassen es anderen, zu entscheiden.
Für mich sind das keine Optionen. Ich danke Gott, dass ich wählen kann und so viele Wahlmöglichkeiten habe. Nicht nur im politischen Bereich, sondern in allen anderen auch. Ich lebe in einem freien Land, kann sagen, schreiben, essen, wohnen, kaufen, reisen und machen was und wo ich will. Auch wenn es immer wieder gewisse Begrenzungen gibt, wenn meine Gesundheit nicht mitspielt, Geld und Zeit knapp sind und sich mir auch Wege verstellen – ich kann wählen und entscheiden.
Das ist ja nicht selbstverständlich.
In vielen Bereichen unserer Welt kämpfen die Menschen ums blanke Überleben und für das »tägliche Brot«. Da bleiben ihnen keine Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten. Kein Wunder, dass die westliche Welt mit ihrem reichhaltigen Angebot solchen Menschen wie ein Paradies erscheint.
Wählen zu können hat tatsächlich etwas Paradiesisches. Gott setzt den Menschen in jenen Garten, den wir Erde nennen, und stattet diesen unendlich reich aus (1. Mo. 2). Er lässt ihn wählen, wenn auch immer im Rahmen der vom Schöpfer gesetzten Möglichkeiten. Er lässt mich entscheiden. Ich muss Verantwortung übernehmen – aber ich darf es eben auch.
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