Jemand rührt sich an meiner Seite, dreht sich, murrt und setzt sich dann auf. Mit dem Rücken zu mir sitzt er auf der Bettkante und fährt sich durchs Haar. Das grüne Licht der Monitore beleuchtet ihn und ich kann etwas schwarzes auf seinem nackten Rücken ausmachen.
Sind das Flügel? Eine Zeichnung von Flügeln? Ein Tattoo? Gerade geht mir durch den Kopf, dass es echt riesig ist und höllisch wehgetan haben muss, da dreht er den Kopf. Mein Blick gleitet langsam von seinem Rücken zu seinen Augen. Selbst im Dämmerlicht kann ich sehen, dass sie hellgrau sind. Sie leuchten fast.
„Hey Kleine“, spricht er wirklich leise und dermaßen liebevoll, dass es mir sofort wieder eine Welle von Wärme durch den Körper schickt.
Hi ... ja hi wer? Wer ist er?
Er erhebt sich, zieht einen Stuhl heran und setzt sich dann frontal zu mir ans Bett. Seine Hand greift meine, er senkt seine Lippen darauf und schließt kurz die Augen.
Wer bist du? , will ich fragen, aber mein Mund tut nicht, was ich will. Stattdessen kommt wieder nur ein merkwürdiger Laut.
Sein Blick fliegt hoch und mustert mich, dann hebt er denn Kopf und flüstert: „Wie geht’s dir? Brauchst du was? Hast du Durst?“
Ich habe keine Ahnung, wie es mir geht. Seltsam stumpf beschreibt es wohl am besten. Was ich brauche? Ja, im Moment nichts. Aber Durst habe ich tatsächlich. Das würde ich ihm gern sagen, doch wieder kommt nur ein aghghh aus meinem Mund.
Schöne Scheiße . Er erhebt sich trotzdem, kommt näher zu mir und hebt meinen Kopf vorsichtig an, um einen Arm darunter zu schieben, dann hält er mir einen Becher mit Schnabel oben an die Lippen. Ganz sachte hilft er mir, winzige Schlucke zu nehmen.
Wie konnte er aus meiner Buchstabenkotze raushören, dass ich Durst habe? Langsam legt er meinen Kopf wieder ab und sitzt dann erneut in meinem Sichtfeld. Seine Augen glitzern und ich meine, es sind Tränen, die darin schimmern.
Du musst nicht traurig sein. Ich bin ja jetzt wach , denke ich, als sich eine der Tränen löst.
„Du hast keine Vorstellung, wie glücklich du mich gerade machst“, sagt er dann ganz leise.
Ah, keine Trauer. Glück. Weil ich wach bin? Okay. Er ist leicht zufriedenzustellen.
„Kannst du sprechen?“, will er wissen und legt den Kopf schief.
Vogel. Hab ich nicht gerade bewiesen, dass es nicht geht. Aber gut. Ich probier’s noch mal. Noch hab ich genug Kraft , denke ich. Doch mehr als ein hagrgr kommt wieder nicht.
„Okay. Gut. Streng dich nicht zu sehr an. Alles okay. Du verstehst mich, das ist gut.“
Ja, irgendwie beruhigt mich das auch. Auch wenn es schöner wäre, könnte ich sagen, was ich denke. Und es wäre nicht ganz so peinlich.
„Weißt du, wo du bist?“
Nope. Kein Plan. Du weißt es. Sag es mir. Meine Augen halten seine fest und, ehrlich, der Junge ist talentiert. Entweder kann er Gedanken lesen oder er macht einfach zufällig das Richtige.
Jedenfalls antwortet er auf meine stumme Frage: „Du bist im Krankenhaus. Schon eine ganze Weile. Weißt du warum?“
Ehm ... nee. Verrate mir auch das .
Wieder klappt die Sache mit dem Blick, denn er sagt: „Du hattest eine schwere Verletzung am Kopf. Es hat sehr lange gedauert, bis du wieder zu dir gekommen bist. Erinnerst du dich?“
Nein man! Ich schließe die Augen. Ich hab keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, wer ich bin und ich weiß nicht, wer du bist, obwohl du mich ganz offensichtlich kennst. Moment. Du kennst mich! Wieder suche ich seinen Blick und probiere die Augen-Nachricht-Sache. Wie ist mein Name?
Er runzelt die Stirn und bleibt stumm.
Verdammt! Komm schon! Wer bin ich? Am liebsten würde ich ihn schütteln, aber meine Kraft reicht ja nicht mal, um seine Fragen mit einem Nicken oder Kopfschütteln zu beantworten.
„Ist alles gut? Tut dir was weh? Ty!“
Ha! Ty! Das muss mein Name sein. Ich entspanne mich merklich, was auch ihm nicht entgeht.
„Hast du Schmerzen?“, will er trotzdem wissen.
Keine Schmerzen. Ich bin nur müde. Das war anstrengend. Ich schließe die Augen und atme so tief durch, wie es mir möglich ist.
„Okay. Schlaf. Ich bleibe hier.“
Krass. Wirklich beeindruckend, was er tut. Als hätte er einen Draht direkt zu meinen Gedanken. Mir ist kalt. Kannst du mir noch eine Decke holen?
Das Bett ruckelt und dann liegt er wieder neben mir. Seine Wärme greift sofort auf mich über. Irgendwie ist es merkwürdig. Ich hab kein Plan, wer er ist, aber seine Nähe kommt mir so vertraut vor. Er legt einen Arm um mich und ich kann seinen Atem sachte an meinem Hals spüren.
Du bist wunderbar. Dich hab ich gern.
4
Es muss mitten in der Nacht sein, aber ich kann nicht mehr schlafen. Stattdessen liege ich hier und sehe meinem Mädchen dabei zu. Diesmal schläft sie wirklich ganz normal. Ein Funke der Unruhe zuckt dennoch in mir, weil ich den Gedanken einfach nicht loswerde, dass sie doch wieder ins Koma fallen könnte.
Mir wäre es das Liebste, wäre sie auch wach. Wenn sie mit mir reden würde oder irgendwas tun würde. Aber ich weiß genauso, dass sie die Ruhe noch immer braucht. Die Ärzte sagen, es wäre für Tyree, wie einen Marathon zu laufen, und zwar ohne Übung vorher. Selbst die kleinsten Bewegungen wären wirklich anstrengend und es bräuchte Zeit, bis sie genügend Kraft hat, um zum Beispiel zu sprechen.
Aber sie scheint mich zu verstehen und das allein ist schon ein riesengroßer Stein, der mir vom Herzen gefallen ist. Nach der schweren Verletzung und der langen Zeit im Koma, wären alle denkbaren Hirnschädigungen möglich gewesen. Aber sie ist mental da, was schon viel heißt.
Wieder können wir nicht mehr tun, als ihr Ruhe und Zeit zu geben. Aber jetzt fällt es mir sehr viel leichter.
„Hey, kleiner Bruder“, weckt mich Bay wieder.
Wann bin ich denn eingeschlafen?
Er hält mir einen Kaffee hin. „Guten Morgen auch“, grinst er und wirkt viel gelöster, als die ganzen Wochen bisher.
„Morgen“, brumme ich, setze mich müde auf, nehme die Tasse und nippe an dem heißen Getränk. „Wie spät ist es denn?“
„Kurz vor zehn. Die Ärzte waren schon da und haben Ty gecheckt. Du hast gepennt wie ein Stein.“ Er lacht auf. „Du hättest ihre Gesichter sehen sollen. Selbst wenn du schläfst, haben die eine Heidenangst vor dir.“
„Mhh“, brumme ich wieder.
„Und? War sie noch mal wach?“, will Basil dann wissen und mustert uns beide.
„Ja. Kurz. Sie hatte Durst.“
„Hat sie was gesagt?“ Er klingt hoffnungsvoll.
Ich schüttle den Kopf. „Sie hat’s versucht, aber mehr als gestern war’s nicht.“
„Das wird wieder. Also hat sie dich wenigstens verstanden?“
„Ich denke, ja. Zumindest hat sie reagiert.“ Ich reibe mir mit der freien Hand übers Gesicht und sehe dann ehrlich lächelnd meinen Bruder an. „Ich könnte fliegen, so leicht fühle ich mich.“
Читать дальше