Bin ich unter Wasser? Plötzliche Panik ergreift mich, als mir einfällt, dass man unter Wasser gar nicht atmen kann. Doch fast sofort schwindet die Angst, zu ertrinken, denn es ist, als würde mir stetig ausreichend Luft in die Lungen gepumpt werden. Das kann ich nur dankend annehmen, denn ich habe keine Kraft, irgendetwas selbst zu tun. Nicht mal meine Augen kann ich öffnen. Ich glaube, ich liege.
Oder schwebe ich? Die Geräusche nehmen zu und ab. Werden lauter und leiser. Verstummen ganz und pochen dann wieder monoton in meinem Schädel. Ich habe Kopfschmerzen. Dann nicht mehr. Dann doch wieder und dann wieder nicht.
Es ist merkwürdig. Alles ist seltsam weit entfernt von mir und doch spüre ich eine Präsenz, die nie verschwindet.
Was ist das? Nur bruchstückhaft fließen diese Eindrücke auf mich ein. Aber die Präsenz ist stetig da. Alles andere verschwindet und wenn die Schwärze, die sich ab und zu einstellt, wieder geht, ist die Präsenz das Erste, was ich bemerke.
Zu Anfang hatte ich furchtbare Angst, weil das alles hier so merkwürdig war. Doch was es auch immer ist, dass stetig da ist, es beruhigt mich. Ich kann mich daran festhalten, um nicht fortzutreiben. Ein paar mal habe ich den Halt verloren, doch dann war wer auch immer wieder da und hat mich aufgefangen.
Was ist das hier? Wo bin ich? Wer bin ich? Dann ist etwas anders.
War es schon mal so? In meinen Ohren rauscht es laut und es fühlt sich an, als würde mein Blut träge und zäh durch meine Adern pumpen. Panik steigt in mir auf, denn der stetige Luftstrom, der meine Lungen mit Sauerstoff versorgt, versiegt nach und nach.
Nein. Nein! Ich kann nicht atmen, wenn er mir nicht hilft! Ich werde sterben! Oder bin ich schon tot? Ich habe keine Ahnung, wie lange ich hier bin. Wie viel Zeit vergangen ist, seit ... seit ...
... seit was? Weil ich darüber nachdenke, bemerke ich erst jetzt, dass ich es selbst schaffe, genug Luft in meine Lungen zu bekommen, um nicht zu ersticken. Ich kann atmen und es tut nicht weh, wie vorher immer. Es ist anstrengend, aber okay.
Ob ich jetzt auch meine Augen aufbekomme? Nein. Egal wie sehr ich es auch versuche, meine Lider sind zu schwer.
Oh man. Also bleibe ich, wie ich bin. Ich muss liegen. Schweben wäre sinnfrei. Stehen unmöglich. Schwimmen tue ich ganz sicher nicht, denn ich kann ja atmen. Himmel, wie sehr mich das erleichtert. Weil ich sonst nichts tun kann, versuche ich die Geräusche um mich herum zuzuordnen. Bisher hatte ich weder Interesse daran, noch genügend Kraft oder Konzentration. Aber wenn atmen geht ...
Ich glaube, Stimmen zu hören, also bin ich nicht allein. Ihr Gerede ergibt keinen Sinn. Es ist, als wäre eine dicke Wand zwischen mir und ihnen. Es sind viele Stimmen, aber mehr als gesummte Gespräche, kann ich nicht erkennen. Das ist anstrengend, also lasse ich es erst mal wieder.
Wenn ich liege, dann sicher auf einem Bett. Ich versuche, die Finger zu krümmen, um zu ertasten, aus welchem Stoff das Bettzeug ist.
Verdammt. Noch anstrengender. Lass es lieber. Der Geräuschpegel nimmt ab und es wird still. Doch wer auch immer schon die ganze Zeit hier ist - es kann ja nur eine Person sein, wie ich mir immer sicherer werde -, bleibt. Ich kann sie spüren. Keine Berührung oder so. Es ist eher die Tatsache, nicht allein zu sein. Ich weiß, da ist jemand und ich bin mir sicher, es ist immer die gleiche Person.
Ich wache auf, ohne die Augen zu öffnen. Es ist das unzähligste Mal, dass ich einschlafe, obwohl ich ja offensichtlich sowieso nicht ganz wach bin. In der vergangenen Zeit habe ich mir angewöhnt, immer zuerst zu versuchen, die Augen aufzumachen, wenn ich aus diesem einen Schlaf in den anderen wechsle.
Einen Moment lang atme ich einfach ruhig und konzentriere mich auf mein Vorhaben. Dann teste ich, was ich schon so oft versucht habe. Es kostet mich unglaubliche Mühe, diese winzige Bewegung zu tun, doch dann wird es hell. Nicht sehr viel, nur ganz wenig. Als hätte jemand das Licht hinter einem Schleier angeknipst. Träge blinzle ich, doch der Schleier verschwindet nicht. Oh man. Ich dachte, es würde besser werden, wenn ich nur endlich die Augen aufbekäme. Aber das hier ist nicht besser. Die verschwommene, matte Dunstschicht macht mich schwindelig, also schließe ich die Augen wieder.
Warte, ich darf nicht aufgeben. Komm schon, reiß sich zusammen! Das ist nur Licht! Mühevoll hebe ich meine Lider erneut und blinzle wieder.
Wie bekomm ich diesen blöden Nebel weg? Ein Geräusch lenkt mich ab, dumpf und leise. Dann klickt es seltsam aufgeregt im Takt.
„En? Bist du wach? Wölfchen dreht gerade durch. Du musst ... Ty!“
En? Wölfchen? Ty? Was?!
Es ruckelt, als würde mein Bett verschoben werden. Jemand lacht und es schickt mir eine Welle von Wärme, Zuneigung und Zuhausegefühl durch den ganzen Körper.
Wer ist das? Ich mag ihn. Er soll weiterlachen. Das Licht hinter dem Schleier wird heller und plötzlich wird es auch lauter. Viel mehr Stimmen schallen durch den Raum, was mir Kopfschmerzen verursacht.
Licht aus! Macht das Licht aus! Ich kann gerade so einen merkwürdig gequälten Laut von mir geben.
„Sie hat Schmerzen! Macht was!“
„Dimmt das Licht wieder.“
„Sie ist wach?“
„Schafft den Wolf raus!“
„Hörst du mich, Ty?“
„Bringt den verdammten Wolf aus dem Raum!“
„Kleine.“
„Wölfchen komm schon.“
Jemand zieht erst mein rechtes dann mein linkes Augenlid nach oben. Schmerzhaft helles Licht blendet mich. Am liebsten würde ich das Licht wegschlagen, doch meine Arme hören nicht auf mich.
Ich konnte stöhnen, also wiederhole ich diesen Laut.
„Weg damit!“
Das Licht verschwindet und ich kann meine Augen ausruhen.
„Nein! Bitte bleib wach!“
Der Mann klingt so besorgt. Fast panisch. Mit Mühe blinzle ich wieder, damit er sieht, dass ich wach bin.
„Bei allen Göttern, mein Mädchen!“
Eine ganze Weile lang ist es laut und unruhig um mich herum. Ich halte meine Aufmerksamkeit an dem fest, der die ganze Zeit mit mir spricht. Seine Stimme ist beruhigend. Irgendwann merke ich auch, dass er meine Hand hält, doch ich kann den Druck nicht erwidern. Ab und zu wird seiner fester. Ich habe das Gefühl, er hat Angst.
Ich würde ihn gern ebenso beruhigen, wie er mich beruhigt. Leider kann ich aber nichts anders tun, als hier zu liegen und zu versuchen, die Augen offen zu halten. Das ist wohl das Einzige, was seine Angst abnehmen lässt. Aber es ist so anstrengend ...
Als ich die Augen das nächste Mal öffne, ist es wieder dunkel um mich. Dämmerungsdunkel. Ich kann kleine Lichter ausmachen und wie sie sich bewegen. Im Zickzack immer auf und ab. Ziemlich lang verfolge ich diese kleine Linie, bis ich realisiere, dass sie meinen Herzschlag darstellt. Und erst da wird mir richtig klar, dass der Schleier teilweise verschwunden ist. Zumindest ist er irgendwie nur noch auf dem linken Auge. So richtig zuordnen kann ich es nicht. Aber ich sehe was. Sehr viel mehr als vorhin.
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