Beim Abschied drohte Ibrahim dann auch noch „Verlängerung gibt’s nicht! Diese Frist ist die letzte.“
Das Telefon klingelt. Wrickremasinghe greift nach dem Hörer. Vom anderen Ende kommt nur ein knappes
„Ja!“
Die Stimme ist unverkennbar.
Wickremasinghe nennt seinen Namen.
„Ich erwarte Sie – in einer halben Stunde!“ Es klingt wie ein Befehl.
Wickremasinghe seufzt.
Den Junior weist er ungewöhnlich schroff an:„Kümmern Sie sich um die Japaner! Machen Sie es so dringend wie möglich. Drohen Sie, wenn es sein muss.“
Bald darauf rollt der Jaguar die Galle Road hinunter nach Süden. Wickremasinghe fährt selbst. Der schleppende Verkehr macht den Anwalt nervös. Erst jenseits der Stadtgrenze kommt der Wagen schneller voran. Der Geldverleiher wohnt in der Nähe des ehrwürdigen „Mount Lavinia Hotels“ am Meer. Sein Grundstück ist durch eine wuchtige Mauer gesichert, auf deren Krone Glassplitter nach oben ragen. Ein Wächter öffnet das hohe, quietschende Eisentor. Der Jaguar biegt in den dämmrigen Kasuarina-Wald ein. Gleißend helle Scheinwerfer flammen auf, als das Auto vor die Villa rollt. Ein Boy führt den Besucher durch die geräumige Halle in den hinteren Teil des Hauses, eine Treppe hinab, einen langen, engen Gang entlang durch eine Tür in einen düsteren Raum. Im Lichtkegel einer halbhohen Lampe sieht der Anwalt ein paar Männer an einem runden Tisch versammelt. Wickremasinghe erkennt in einem schwarzen Anzug die massige Gestalt Ibrahims hinter den Rauchschwaden seiner Zigarre.
„Na, wen haben wir denn da? Komm, mein Freund, setz’ dich zu uns, mach ein Spielchen mit uns...“ Die feiste Eunuhenstimme bricht ab.
Wickremasinghe bleibt fast die Luft weg. Nur mühsam unterdrückt er seine anschwellende Wut. „Ein Glück, dass meine Brüder das nicht mit ansehen,“ rast es ihm durch den Kopf. Doch er tut wie geheißen. ‚Ein Spieler muss ein Optimist sein,’ fasst er sich.
„Wie hoch ist der Einsatz?“
Die Antwort ist schallendes Gelächter. Denn alle in der Runde wissen, dass der honorige Herr aus besseren Kreisen pleite ist.
„Lächerlich,“ sagt Ibrahim, „Minimum Fünfhundert.“
Der korpulente Mann mit Mittelscheitel beugt sich aus dem Dunkel in den Lichtkegel.
„Hier hast du für den Einsatz!“ Und achtlos schiebt er – wie wenn er einem Hund einen abgenagten Knochen gibt – einen kleinen Turm roter Chips über die blanke Tischplatte.
„Jeder Fünfhundert.“
Beim ersten Spiel passt Wickremasinghe. Er hat miese Karten und will kein Risiko eingehen. Er will nur dann mithalten, wenn er wirklich eine gute Hand hat. Auch das zweite und dritte Spiel machen Ibrahim und seine Freunde unter sich aus. Chips werden hin- und hergeschoben. Ibrahims Haufen wird immer größer.
„Bist du zu feige mitzugehen, Staranwalt?“, fragt Ibrahim krächzend nach dem Geben.
„Warten Sie nur ab.“
Wickremasinghe schaut auf sein „Full House“, legt die Karten verdeckt auf den Tisch und mustert die Gesichter in der Rabauken-Runde. Die Spieler grienen amüsiert. Nur Ibrahims Grinsen wirkt finster und bedrohlich. Wickremasinghe geht kein Wagnis ein. Er passt.
Ibrahim gewinnt mit drei Damen. Wickremasinghe hat ein paar Tausender verloren. ‚Hätt’s mir denken können. Hier wird doch mit gezinkten Karten gespielt.’ Wickremasinghe hat dann aberGlück beim nächsten Spiel. Von Anfang an hat er vier Könige. Er kauft nichts dazu. Als er aufdecken muss, ist das Glück verflogen. Er verliert an vier Asse. Ibrahim streicht auch den letzten vorgeschossenen Chip ein.
„Du schuldest mir zwei Lakh Rupies, mein Lieber.“
Wickremasinghe beisst die Zähne zusammen. Wie von Ferne hört er Ibrahims Gekrächze: „Gib mir einen Scheck!“
Wickremasinghe greift in die Brieftasche, schreibt einen Scheck aus. Als er das Papier über den Tisch schiebt, johlt die Kartenrunde.
„Ist der Scheck auch gedeckt?“, fragt Ibrahim fröhlich. Wieder wird gelacht. Wickremasinghe bringt kein Wort heraus. Der feiste Mann mit dem Mittelscheitel hebt die Augenbraue, und seine Freunde verstummen abrupt. Eine Weile summt nur der Ventilator oberhalb der Deckenlampe.
„Zur Sache, Schätzchen,“ hört Wickremasinghe wie von sehr weit her.
Die schwarzbetuchte Masse Mensch beugt sich wieder ins Licht.
„Schau mir in die Augen, Kleiner!“ Die Eunuchenstimme lässt den Anwalt schaudern.
„Da ist noch eine andere Kleinigkeit, die wir begleichen müssen, nicht wahr, Staranwalt?“
„Können wir das nicht nebenan besprechen?“
„Nur heraus damit, vor guten Freunden habe ich keine Geheimnisse.“
„Aber...“
„Nein, Freundchen. Heute ist Zahltag. Sag uns doch mal, warum du hierher gekommen bist!“
Wickremasinghes Magen dreht sich um. Er kann die bohrende Krächzstimme nicht länger ertragen. Er macht sich noch kleiner als er schon ist und hofft, dass dieses Martyrium bald zuende geht.
„Hörst du nicht, Staranwalt? Erzähl uns, warum du hierher gekommen bist. Oder ich mach dir Beine.“
Wickremasinghe denkt wieder an den Architekten, den er aus dem Casino kennt. „Ich bin hier, weil ich noch einmal um Aufschub bitten möchte.“
„Aufschub wofür?“ Ibrahim treibt die Beleidigungen auf die Spitze. “Meine Freunde wollen wissen, warum du von mir Aufschub haben willst.“
Wickremasinghe plappert brav, was von ihm erwartet wird: „Ich hab Pech gehabt. Eine Geldsumme, die mir für heute fest zugesagt war, ist nicht eingetroffen. Mit dieser Summe wollte ich meine Schulden bei Ihnen begleichen.“ In einem Anflug von ungeahntem Mut schiebt er trotzig nach: „Es macht Ihnen doch eigentlich gar nichts aus, wenn Sie mir noch mal Aufschub gewähren.“
Als Ibrahim nun spottet: „Um Glück zu haben, muss man n guter Spieler sein, du Niete...“, kontert Wickremasinghe spitz:
„Lassen Sie’s doch mal drauf ankommen, wer von uns beiden der bessere Spieler ist!“
Der Eunuch ist irritiert. Wieder hebt er die Augenbraue. In der Pause, die nun folgt, überwindet der Rechtsanwalt die Schmähungen, mit denen der Geldverleiher ihn, einen Wickremasinghe aus Kandy, vor versammelter Spieler-Truppe überschüttet hat.
„Einem guten Spieler genügt es nicht, nur gut zu sein.“ Wickremasinghe fixiert Ibrahim, sagt dann messerscharf:
„Sie wollen doch nicht, dass man Ihnen zum Munde redet. Sie wollen auch nicht nur 'Champion' genannt werden. Sie wollen Champion sein!“
Wickremasinghe schwillt nun die Brust wie beim Plädoyer im Obersten Gerichtshof. „Das kleine Spielchen, das Sie soeben gewonnen haben, zählt nicht. Poker ist doch nur kalkuliertes Risiko – immer wieder Mischen, Bluffen, Neukaufen – sofern man kann. Wahre Champions gehen aufs Ganze!“
Da niemand widerspricht, schiebt der Anwalt den entscheidenden Satz nach:
„Ich finde, um zu sehen, wer der bessere Spieler mit den besseren Nerven ist, sollten wir beide um den Aufschub meiner Schulden spielen.“
Und da das schwarzumhüllte Fleischpaket noch immer schweigt, zählt Wickremasinghe gleich auch noch die Spielregeln auf:
„32-Karten-Deck, jeder Spieler mischt, jeder Spieler zieht eine Karte, die höchste Karte gewinnt. Kreuz Ass schlägt alle. Gewinnen Sie das Spiel, dann sind Sie der Größte. Ihre Freunde können es bezeugen. Mache ich das Spiel, dann geben Sie mir Aufschub.“
Wickremasinghe tut so, als sei sein merkwürdiger Vorschlag längst beschlossene Sache. Er greift nach einem frischen Karten-Deck, zerreißt das Zellophanpapier. Als er zu mischen anfängt, fragt Ibrahim: „Und wo ist mein Gewinn dabei, Kleiner?“
„Es geht um Ihre Ehre, Ansehen, Größe.“
Wickremasinghe mischt unbeirrt weiter, schiebt das Deck hinüber zu Ibrahim. Das Herz des Anwalts jubiliert, als der Geldverleiher nun bedächtig die Karten aufnimmt, sie noch einmal zählt, und ebenfalls durchmischt, dann auf dem Tisch auffächert.
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