Demonstrativ drückte Messalina ihre halb gerauchte Zigarette aus, stand auf und sagte leise: „Raus!“
Max war beeindruckt.
Als sich die beiden Amerikaner verständnislos ansahen, wurde Messalinas Stimme schneidend: „Jetzt reicht’s irgendwie! Schlimm genug, was da passiert ist, aber für diese Art Unerotik sucht euch jemand anderen!“
Temperamentvoll, aber mit Würde, knallte sie ihren Gin-Tonic auf den Glastisch und ging aufrecht – ohne sich noch einmal umzudrehen – hinaus. Etwas weniger würdevoll war ihr Sprung in den Swimmingpool – in voller Versace-Montur.
Es wurde ein langer Abend. Auf der Terrasse der Traumvilla saßen sie beieinander. Betretenes Schweigen. Keiner wusste so recht etwas zu sagen. Messi drehte gedankenverloren an einem Joint. Normalerweise begleitete Max diese Prozedur mit kritischen Worten. Heute aber streckte er ganz unerwartet die Hand aus. Der erste Zug ließ ihn schrecklich husten, und weil beide darüber so lachen mussten, war das Eis gebrochen.
„Okay,“ sagte Messalina schließlich, „ich glaube, wir haben uns gegenseitig nichts vorzuwerfen!“
Nach dem dritten Zug fühlte Max ein leichtes Schwindelgefühl.
„Ich weiß nicht, warum du das Zeug immer rauchst, ich merke gar nichts,“ lehnte er sich wohlig im Liegestuhl zurück. Messalina schenkte ihm nur einen verächtlichen Blick. „Das ganze war doch wirklich nicht nötig, oder?“
„Ich hab´s eigentlich nicht mal richtig gewollt,“ entgegnete er träge.
„Was hast du gewollt?“
„Ich weiß auch nicht, ich glaube, mir fehlte was, was ich wollen kann. Verstehst du, wenn man alles haben kann, kann man sich nichts mehr wünschen.“
„Geht mir auch so!“
„Jeden Tag Weihnachten ist langweilig.“
„Und Langeweile ist grässlich!“
„Furchtbar!“
„Unerträglich!“
Irgendwie fanden die beiden das nun entsetzlich lustig. Dann schwiegen sie eine Weile.
„Kannst du mir verzeihen?“
„Die Frage ist: Kann ich mir verzeihen?“
„Das könnte jetzt von mir sein!“
Wieder Schweigen.
Plötzlich kichert Messalina. Natürlich fragt Max:
„Was isses, sag!“
„Wenn ich mir vorstelle, wie sie dir ins Ohr lithpelt: Makth, du bitht unwiderthtehlich...“
Messalina schüttelt sich vor Lachen.
„Das ist mir viel zu ernst, als dass ich es komisch finde!“
„Und nu?“
„Nu hab ich Durst! Aber mal im Ernst, wie geht’s jetzt weiter? Werden wir uns ganz klassisch scheiden lassen?“
„Was verbindet uns denn? Rastlosigkeit, die Angst, was zu versäumen, und die innige Einigkeit, dass wir uns uneinig sind.“
„Ist das alles, nach 23 gemeinsamen Jahren?“
„Von den 23 Jahren hab ich dich höchstens drei gesehen, du warst ja immer auf Achse!“
„Mindestens vier!“
„Wie immer. Jetzt hab ich dich jeden Tag 24 Stunden am Hals, wie soll man das aushalten?“
„Ich dich auch! Vergiss das bitte nicht!“, lacht Max. „Du hast ganz schön spitze Kanten, meine Liebe.“
„Vielleicht wär’ ich glatter, wenn ich nicht an der kurzen Leine hängen müsste, mein Lieber! Freiheit ist’s, die ich meine.“
„Freiheit ist innen! Wie frei bist du denn, wenn du in den Laden gehst, um ein Fläschchen Bier für den armen, durstigen Max zu kaufen, und du kommst mit zehn prallen Plastiktüten wieder, in denen alles ist – nur kein Bier!? Von den Einkaufsorgien, die du in letzter Zeit veranstaltest, wollen wir lieber gar nicht reden. Mit dem Geld, das du allein für Body-Lotion ausgibst, könnte man ein mittleres Waisenhaus ein ganzes Jahr unterhalten. Macht es dich frei, wenn in deinem Pullover ein Etikett von Gaultier klebt?“
„Nur wenn’s außen klebt, wo’s jeder sehen kann!“, lacht Messalina. „Aber vielleicht darf ich dich in diesem Zusammenhang an deine heiß und innig geliebte Rolex erinnern!“
„Hat keinen Sinn, sich Vorwürfe zu machen.“
„Was hat Sinn? Was wollen wir? Wir leben doch im Grunde sorgenfrei...“ Messalina dreht am nächsten Joint.
„Dann wollen wir wohl die Sorgen haben. Aber Sicherheit...Aber keine Langeweile, also besser nicht zu sicher. Aber behaglich, das macht so unzufrieden, das wollen wir auch nicht. Menschen sind verdammt irrationale Wesen!“
„Das mag ich nicht. Das ist eine oberflächliche Plattitüde! Nur weil wir den Grips nicht benutzen, sind wir noch lange nicht doof!“
„Na dann benutze mal!“, fordert Max sie auf und atmet den Hanfrauch tief ein.
„Du sitzt da wie 'ne Made im Speck und lässt mich alleine denken. Du weißt, das ist gefährlich!“
„Wieso?“ Max’ Augenlider wurden immer schwerer.
„Nun hör mal genau zu: Als du noch deine Filmchen gemacht hast, da hast du Feedback gehabt.“ Bei dem Wort „Filmchen“ zuckt Max zusammen. „Man hat dich über den ultravioletten Klee gelobt, oder auch nicht. Jetzt muss eine einzige Frau dir Millionen von Zuhörern und Sehern ersetzen. - Und die lithpelt auch noch!“ kicherte sie.
„Messi, bitte!“ warf er ein.
„Nein, unterbrich mich nicht. Deine Macho-Triebe sind durch und durch unbefriedigt. Du weißt, dass du jetzt wegen deines Geldes geachtet wirst. Aber das reicht dir nicht. Geld ist immer nur so viel wert, wie das, was man damit macht! Und meistens macht man damit, dass man so tut, als hätte man noch viel mehr Geld. Damit die Leute denken, dass man noch viel toller sei, als man sowieso schon ist. Aber wo bleiben die inneren Werte, wo bleiben Liebe, Güte, Verständnis? So was hat heute keinen Marktwert. Das ist nicht 'in'. Und nicht 'cool'. – Max, wir müssen was tun!“
„Ja, da werden Menschen geboren und sterben, und merken nicht mal, dass sie gelebt haben...Und was soll’n wir machen?“
„Na ja, irgendwas Richtiges. Vielleicht brauchst du 'ne Aufgabe!“
„Das ist schon 'ne dolle Aufgabe, dir alles recht zu machen! Wenn ich nur daran denke, dass du an jedem – wirklich jedem einzelnen Hotel - was auszusetzen hattest! Fürchterlich!“
„Es ist aber auch fürchterlich, dass es dort, wo ein Spiegel ist, keine Steckdose für den Haarstyler gibt. Oder da ist eine, aber kein vernünftiges Licht zum Lesen. Die Klimaanlage bläst dir Eiswolken direkt ins Gesicht, und die Betten sind so kurz, dass deine Füße raushängen. Und wenn du keine Suite hast, summt und gurgelt dich die Minibar unsanft durch die Nacht.“
„Na, mach’s erst mal besser!“, gähnte Max gedehnt.
Nach einem Moment des Schweigens schrie Messalina plötzlich: „Na klar! Das machen wir auch!“
Max schreckt auf aus seiner Behaglichkeit: „Was machen wir?“
„Das perfekte Hotel. Die absolute Superabsteige! Max, hör mal zu...“
Während Messalina ekstatisch die Vollendung aller Hotelstandards schilderte, fielen Max die Augen zu. Aber erst nachdem sie lange und begeistert geredet hatte, bemerkte Messi, dass Max schlief wie ein satter Säugling.
Nach einer kurzen, harmonischen Nacht flogen sie in einer kleinen Propellermaschine nach Barbados. Und ohne langen Aufenthalt reisten sie weiter nach London. Messalina hatte nicht schlafen können über dem Atlantik. Die Stewardess war unfreundlich, der Service miserabel und - natürlich – war es ein Nichtraucherflug. Am nächsten Morgen in der Londoner Transithalle steuerte Messi zielstrebig auf die Lounge zu. Die Zigarette schon im Mundwinkel, suchte sie vergeblich nach ihrem Feuerzeug. Als Max sich auf den Weg machte, Messalina auszuhelfen, kam ein kleiner kaffeebrauner Mann mit einem brennenden Feuerzeug auf sie zu. Er erlöste Messalina und zündete sich selbst auch eine Zigarette an. Schon nach ein paar genussvollen Zügen waren die beiden Raucher in ein Gespräch verwickelt, das weitreichende Folgen haben sollte.
„Eine schreckliche Sucht ist das – aber schön,“ sagte der kleine Mann, der eine Sonnenbrille trug, obwohl die Sonne in der Transithalle gar nicht schien. Sein Englisch ließ Messalina auf einen Inder schließen. Besonders, als er davon schwärmte, dass ihn der Zigarettenrauch an die Tempel in seiner Heimat erinnerte. „Wo ich zuhause bin, ist die Luft erfüllt vom Rauch des Sandelholzes.“
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