„Danke, Frau Oberlehrer. Und was machen wir dort?“
„Wir mieten uns ein im exklusivsten Bungalow mit Koch und Diener. Und sehen mal zu, was dann passiert.“
„Und wie lange?“
„Weiß der Henker,“ antwortete sie und marschierte schnurstracks aufs Hotel zu.
Am nächsten Morgen beim Frühstück erwähnte Max beiläufig das Reisebüro um die Ecke, das auf Fernreisen spezialisiert war. Und weil die Latein-Amerika-Abteilung mit einem außergewöhnlichen Angebotspaket lockte, flogen Max und Messalina gleich weiter in die Karibik. Die zwei Zentimeter dicken Tickets enthielten ein knappes Dutzend Flugziele. Die Abflugzeiten und -Tage blieben offen.
Weil Messalina noch nie zuvor den Regenwald erlebt hatte, reisten sie zuerst nach Costa Rica. Die satt-grüne Üppigkeit des Djungels, Lockrufe und Angstschreie unsichtbarer exotischer Kreaturen im undurchdringlichen Blätterwald und die warmen, überfallartigen Regengüsse, die den Einbruch der Abend-Dämmerung begleiteten, waren Hochgenüsse für Messalinas stets voll ausgefahrene Sinnesantennen. Dass sie dabei nasse Füße bekam, störte sie nicht im geringsten.
Max war vor allem von den Vulkanen begeistert. Stundenlang konnte er am Fuß des Arenal ausharren. Das rumorende Grollen aus der Tiefe, der Rauch und der Schwefel über ihm, der leuchtend rote Schein am nächtlichen Himmel und die Ungewissheit, ob der Nervenkitzel vielleicht doch umschlagen würde in Angst und Schrecken – das kostete er wieder und wieder aus.
Fast jeden Abend drängte Max: „Lass uns zum Arenal fahren!“ Und Messalina ging darauf ein – sowohl, als sie an einem pech-schwarzen Strand der Karibik wohnten als auch in ihrem Luxushotel am weiss-sandigen Pazifik-Ufer. „Ihr habt ja auch viel gemeinsam, der Arenal und du," spottete Messalina.
Mit Schlauchbooten furchten sie durch Wildwasser flussabwärts. Auf Pferden, über deren Zähmungsgrad sie noch heute rätseln, galoppierten sie über Stock und Stein und durch wild-rauschende Bäche. Die sagenumwobenen Maya-Ruinen von Palenque und Tulum und die Pyramiden von Chichen Itza waren wie Magneten, die Messalina und Max magisch anzogen und so schnell nicht wieder losließen. Stundenlang schwammen M und M in Zenoten und in unterirdischen Flüssen, in denen die Mayas früher Menschen geopfert haben - um die Götter bei Laune zu halten. Ihr Erlebnishunger überwand all ihre Schauder. Aus den zwei Wochen, die Max für die Etappe in Mexiko veranschlagt hatte, wurden locker vier.
Und so ging’s weiter – Jamaika und Puerto Rico. Dort unternahmen sie ausgedehnte Touren im Jeep. Sie reisten erst ab, wenn sie keine Lust mehr hatten, länger zu bleiben. Als Messalina vorschlug, die Reiseroute zu verlassen und zunächst auf die Cayman-Inseln zu fliegen, „weil wir ja so dicht dran sind - wer weiß, wann wir mal wieder in die Gegend kommen?-, da handelte Max einen Kompromiss aus. „Gut, wenn ich mit dir nach Georgetown fliege, begleitest du mich nach Havanna.“
Nur die Woche in Kuba verlängerten sie nicht. Die Flugdaten mussten präzise eingehalten werden. Und Messalina wollte diesmal auch pünktlich abreisen, weil Max überall auf der Zuckerinsel so tat, als müsse er für seine Firma recherchieren.
Einen traumhaften Segeltörn erlebten sie rund um die Jungferninseln. Dann ließen sie sich in Santa Lucia und danach auf Barbados verwöhnen. Sie stiegen nur in Nobelherbergen ab. Überall waren die Leute freundlich – besonders, wenn sie noch nicht wussten, ob Max mit den Trinkgeldern großzügig sein würde oder nicht.
„Wir benehmen uns wie Neureiche vom Jetset. Gottseidank stellen uns keine Fotografen nach", kommentierte Messalina lachend.
Die kleine Grenadinen-Insel Mustique war dann der Höhepunkt an Luxus. M und M wollten ihn auskosten. „Wer Super-Luxus nicht am eigenen Leib erfährt, kann sich kein Urteil darüber erlauben,“ sinnierte Max. Auf dem Mini-Eiland blieben sie, bis sich nicht nur klimatische Turbulenzen über den „Inseln vor dem Winde“ zusammenbrauten.
‚Es war damals der Himmel und die Hölle zugleich. Beinahe’, erinnert sich Max jetzt im Taxi, ‚beinahe wäre alles schief gegangen.’ Drei Wochen verbrachten sie in einem hochherrschaftlichen, stilvollen Landhaus an der Ansecoy Bay - auf der Nordseite der Insel. Ein Koch, ein Butler, ein Hausmädchen und ein Gärtner, der auch den Jeep chauffierte, sorgten rund um die Uhr für ihr Wohl. Zu ihrem Tagespensum gehörten Schnorcheln und Tauchen, Segeln, Baden und Faulenzen – und auch Lesen im Liegestuhl am weißen, menschenleeren Strand. Wenn die Sonne unterging, traf man sich im „Cotton House“ oder in „Basils Bar“.
Messalina, die früher nur selten gerne ausgegangen war, überraschte Max dann damit, pünktlich um fünf Uhr ihre Jeans in die Ecke zu werfen, um sich wie für einen Opernbesuch zurechtzumachen. Sie präsentierte sich im langen oder auch im sehr kurzen Schwarzen. In eleganten weißen oder preußisch-blauen Blusen mit tiefem Einblick. Der Gärtner-Chauffeur setzte sie vor „Basils Bar“ ab, rechtzeitig zum Sonnenuntergang. Wenn der Feuerball glutrot im Meer versank, hatten sie den ersten „Whammy“ in der Hand. Der Drink schmeckte nach Marmelade. Die hochprozentige Beigabe merkte man erst später.
Fast jeden Abend trafen sie dort die Johnsons, die sich drüben, hinter der Lagune, in einem nachempfundenen britischen Palast eingemietet hatten. Die Johnsons waren aufgeschlossene, gut aussehende junge Leute, die nicht nur übers Wetter reden konnten. Max und Messalina wussten nicht allzu viel von ihnen. Gründer einer recht erfolgreichen Software-Firma in Kalifornien, und eine Scheidungsanwältin. Weil sich die beiden zehn Monate im Jahr bis über beide Ohren in die Arbeit stürzten, leisteten sie sich ausgefallene Reisen.
Messalina war der breitschultrige, elegante Mann im weißen Dinner-Jacket auf den ersten Blick sympathisch. Ihr gefiel, wie weltgewandt er sich bewegte, wie sachkundig er war, wie höflich er aber andere Meinungen gelten ließ. Und wenn er kleine Schmeicheleien verteilte und zum wiederholten Male ihre Sprachkenntnisse lobte, tat das Messalina gut.„Er erinnert mich an dich – als du jung warst,“ schwärmte sie, „aber – er tanzt wie ein junger Gott.“
Wenn Max Messalina engumschlungen mit dem Amerikaner tanzen sah, regte sich in ihm die Eifersucht. Das glich er aus, indem er besonders charmant zu der jungen Anwältin war.
‚Es waren nicht die Tropen-Drinks. Und es war nicht das Anlehnungsbedürfnis der jungen Frau – nicht nur!’, sagte sich Max danach immer wieder. ‚Es war vor allem unsere Verdrossenheit, unsere verdammte Leere. Und unsere Gier, immer mehr vom Leben haben zu wollen.’
Max war willig auf den Vorschlag der Amerikanerin eingegangen, am Strand spazieren zu gehen, während die beiden anderen beim Blues in sicherer Entfernung tanzten. Die junge Frau legte sogleich ihren Arm sanft um seine Hüfte. Im tiefen weißen Sand streifte sie nicht nur die Stöckelschuhe ab, sondern auch gleich Bluse, Rock und Höschen. Sie lief in die Brandung und ermunterte Max, ihr zu folgen. Bevor er sich im Klaren war, was er da tat, rannte er ihr nackt über den Strand hinterher. Er genoss die Kämpfe in der Brandung. Ihre Umarmungen, die auseinandergerissen wurden, wenn die nächste Welle über ihnen zusammenschlug. Die neu begannen, wenn sie, im nassen Sand liegend, wieder zueinander fanden. Messalina schwebte im höchsten Himmel. Die Musik, der Rhythmus, die feinsinnigen Komplimente, die breiten Schultern, die starken Arme, in die sie sich fallen lassen konnte.
Messalina plagten keine Gewissensbisse – und Max auch nicht. Bis die Johnsons eines Tages einen Vorschlag machten:
"Ist doch Blödsinn mit der Geheimnistuerei. Jeder von uns weiß, dass Messalina und ich miteinander schlafen", sagte der Amerikaner. „Und Max und meine Frau treiben’s in der Brandung. Warum tun wir’s nicht alle miteinander, alle vier?“, fragte er dann wie beiläufig.
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