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Stefan Zogg schien der Einzige zu sein, der sich auf der Dienststelle herumdrückte. Jedenfalls hatte Björn ihn schon wieder in der Leitung.
„Kannst du sehen, wo sich der Wagen von Fadel aktuell befindet?“
„Nein. Das macht Michael, aber der ist auf Achse.“
„Ich befürchte, der schwarze Bus, die Dublette, ist unterwegs. Du musst schnell zu diesem Parkhaus fahren“, Björn gab dem Kollegen die Adresse durch, „und sieh nach, ob Fadels Wagen dort parkt. Ich komme auch dorthin. Wenn er da ist, müssen wir eine Observation starten. Aber bleib im Auto und setz dir eine Mütze oder sonst was auf. Er hat dich schon einmal gesehen.“
Björn schaute auf die Uhr, Zogg würde vor ihm die Anschrift erreichen. Ausgerechnet Stefan Zogg, der den Zielpersonen bereits über den Weg gelaufen war, um die Aktion mit dem Peilsender zu retten. Der Kollege war erfahren genug, um sich unauffällig zu bewegen, das wusste er. Aber wie schnell würde ein dummer Zufall alles ruinieren. Er musste so schnell wie möglich Ersatz finden. Endlich, kurz bevor er selbst im Parkhaus eintraf, erreichte er Philipp Wuttke.
„Wir sind zu Fuß hinter Al Mossa her und hatten die Handys auf lautlos“, rechtfertigte der sich.
Hastig sprach Björn mit dem Kollegen das weitere Vorgehen ab. Er selbst würde Stefan Zogg ablösen, damit der so schnell wie möglich aus der Schusslinie verschwand. Jürgen Kurth und Wuttke würden ihn selbst später ablösen, Michael Peschel sollte zur Dienststelle und die Peilsender auswerten und dann hieß es abwarten. Mit etwas Glück würde der schwarze Bus heute noch in der Garage auftauchen und ebenfalls einen Peilsender bekommen. Außerdem erhoffte er sich Aufschluss über den Fahrer und eventuellen weiteren Mittätern.
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Die Fahrt führte zunächst in südliche Richtung, hinaus aus dem Stadtgebiet in ländliche Bereiche. Danach folgte Hussein kleinen Landstraßen in westliche Richtung. Die Gespräche waren in der Zwischenzeit fast völlig verstummt. Jeder der Männer schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, die Frau kauerte zusammengesunken auf der Sitzbank, ihr Kinn lag auf dem Brustkorb. Nur manchmal, bei einer Unebenheit oder einer schärferen Kurve, reagierte sich noch kurz, indem sie den Kopf mit einer fahrigen Bewegung anhob und ein Geräusch von sich gab, das eher einem Grunzen als einem Wort ähnelte. Sie ist völlig betrunken, ist vielleicht auch besser so, dachte Hussein, der seinen Beifahrer Fadel immer missmutiger anschaute. Mit ihm hatte alles begonnen. Instinktiv spürte er, dass die Veränderungen in die Katastrophe führen würden. Bevor er die trüben Gedanken noch weiter spinnen konnte, erreichten sie das Ziel. Kurz vor einer Brücke hielt er den Bus an.
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Björn atmete auf, als er Stefan Zogg mit dem Zivilwagen wegfahren sah. Diese Leute hatten feine Instinkte, wenn sie jemanden, der noch dazu so auffällig wie Bodybuilder Zogg war, zweimal kurz hintereinander sahen, gingen mit Sicherheit alle Warnlampen an. Er richtete sich auf eine längere Wartezeit ein, Philipp musste erst noch einen Peilsender startklar machen, bevor sie ebenfalls in das Parkhaus fahren konnten. In der Zwischenzeit musste er dem Kollegen Zogg Respekt zollen, der ausgewählte Standplatz war kaum zu toppen. Rückwärts eingeparkt, von einer Betonsäule halb verdeckt, konnte er in jedes Auto schauen, das in dieses Parkdeck hineinfuhr. Er hatte einen seitlichen Blick auf den Fahrer, der wegen der Säule den Kopf hätte drehen müssen, um ihn zu sehen. Keiner der bislang einfahrenden Autofahrer machte das, alle waren darauf konzentriert, ihren Wagen durch die enge Gasse zu fädeln.
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Akram Fadel blickte in beide Fahrtrichtungen der schmalen Straße, bevor er ausstieg und die seitliche Schiebetür öffnete. Mahamad zerrte an der Frau, die kaum reagierte. Er zog sie am Arm aus dem Wageninneren heraus. Draußen musste er sie abstützen.
„Du hupst, wie wir es besprochen haben.“
Hussein nickte.
Die beiden Männer nahmen die Frau in ihre Mitte und bewegten sich auf die Brücke zu. Die Frau wurde von ihnen angehoben, ihre Schuhspitzen schliffen über den Asphalt. Vor der Brücke verließen sie die Straße, gingen über den mit Gras bewachsenen Fahrbahnrand, bis sie zur Böschung kamen. Hier führte ein schmaler Tritt mit schräg abgestuften Betonsteinen nach unten. Sie erreichten den Rand der Brückenkonstruktion. In ihrem Sichtschutz blieben sie stehen. Niemand sagte ein Wort. Der Kopf der Frau bewegte sich ein paar Mal baumelnd, auch sie blieb völlig ruhig. Mahamad fing plötzlich an, mit seiner freien Hand seine Taschen abzusuchen, bis er ein Päckchen Zigaretten in der Hand hielt.
„Lass das“, herrschte ihn Akram Fadel an. „Willst du deine DNA hinterlassen? Reiß dich gefälligst zusammen.“
Ohne sichtbare Reaktion steckte der Angesprochene die Zigaretten zurück in die Tasche. Katja Bergmann schien während der Wartezeit wieder etwas durchzukommen. Ihr Oberkörper straffte sich und der Kopf kam nach oben.
„Was ist denn? Wo ist denn Gerrit?“
Die Worte klangen völlig verwaschen.
„Gleich, keine Sorge. Gleich.“
Sie drehte den Kopf und schaute von einem zum anderen.
„Ihr verarscht mich doch, glaube ich.“
„Ach was. Keiner verarscht dich. Alles gut. Wirst sehen. Gerrit kommt gleich.“
Oben hupte das Auto.
Fadel schob den Kopf minimal vor, um am Betonsockel vorbeischauen zu können.
Auf sein Kopfnicken hin gaben beide Männer der Frau einen kräftigen Schubs. Ihr überraschter Schrei wurde vom Lärm des durchrasenden ICE verschluckt.
16. Ultimatum
Hussein betrat leise die Wohnung. Der Flur lag im Dunkeln. Als er die Beleuchtung anschaltete, sah er, dass alle Türen, die von dem schlauchartigen Raum abgingen, geschlossen waren. Er horchte kurz, ob er irgendwelche Geräusche wahrnehmen konnte, aber alles blieb still. Keine Stimmen oder Gelächter, keine Musik, die auf ein Fernsehprogramm hingedeutet hätte. Seine Familie war schlafen gegangen, die Kinder schon längst, aber auch Süreyya, seine schöne Ehefrau, hatte nicht auf ihn gewartet. Es war bereits kurz nach Mitternacht. Er hatte absichtlich getrödelt, war noch in einer Dönerbude gewesen, ein spätes Mahl, mit dem Mann hinter dem Tresen ein Gespräch, gemeinsames Fußballschauen, alte Aufnahmen, die in der Nacht liefen. Alles nur, um der Konfrontation aus dem Wege zu gehen. Aber sie würde nicht locker lassen, früher oder später würde das Gespräch wieder in die Richtung gehen, in die es immer ging. Wann er endlich dafür sorgen würde, dass es vorbei sei. Wann er endlich nicht mehr für diese schlechten Menschen arbeiten würde. Sie sagte nie Verbrecher oder Ganoven, immer waren es schlechte Menschen für sie. Menschen, die einen schlechten Einfluss auf die Kinder hatten und dafür sorgten, dass man Ausländer mit einem ganz anderen Blick betrachtete. Er hatte ihr versprochen, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien, in der er sich befand, seit er sein kleines Geschäft schließen musste. Bilal Al Mossa war der Einzige gewesen, der ihm eine Arbeit angeboten hatte, mit der er seine Familie ernähren und die Kinder auf die Schule schicken konnte. Arbeit als Fahrer, ganz einfach und kein Problem, eigentlich. Aber Süreyya war nicht dumm, sie stellte Fragen. Wollte wissen, wie es kam, dass Al Mossa diesen Lebensstil führen konnte, obwohl er nur ab und zu Fleisch verkaufte, das aus dem Osten kam. Sie sagte es ihrem Mann auf dem Kopf zu und er fand keine andere Möglichkeit, als ihren Verdacht zu bestätigen. Drogenhandel. Mit Akram Fadels Auftauchen änderte sich alles. Plötzlich musste er mit ihm zusammen ein kleines Mädchen durch die Stadt fahren, von einer Wohnung, wo man sie anscheinend festhielt, zu Adressen von Kunden. Er war auf einmal viel öfter unterwegs als vorher und seine Frau nahm an, dass der Drogenhandel intensiviert worden war. Von dem Mädchen erzählte er ihr nichts. Dann hätte sie ihm das Leben zur Hölle gemacht oder ihn vielleicht sogar mit den Kindern verlassen. So aber schimpfte sie jeden Abend auf seine neuen Arbeitgeber und verlangte, dass er dem ein Ende bereite, wenn er weiter seinen Kindern unter die Augen treten wollte. Auf einer der Fahrten, bei der sie den Kühlwagen, der mit Fleisch und verstecktem Haschisch beladen war, begleiteten, wurde der Laster von der Bundespolizei kontrolliert, Bundespolizei, so stand es auf dem Streifenwagen. Gefunden worden war nichts.
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