Baum Des Todes langer Schatten
Jost Baum
Des Todes langer Schatten
Mecklenburg-Krimi mit Rezepten
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© 2014 Oktober Verlag, Münster
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Satz: Henrike Knopp und Kathleen Schulze
Umschlag: Thorsten Hartmann
unter Verwendung von Fotos von vincentrozenberg/istockphoto.comund
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Rezepte: Jost Baum und Roland Tauber
Herstellung: Monsenstein und Vannerdat
ISBN: 978-3-944369-20-4
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
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Richard Gilford, Major des CIC und Leiter des Entnazifizierungslagers »Markus W. Orr«
Martin Goldmann, Rechtsanwalt
Josef Kaltenbrunner, Oberleutnant der Luftwaffe
Max Mühlbauer, Obersturmbannführer und Lagerkommandant in Rechlin
Peter Duncan, britischer Spion
Petersen, Zimmergenosse von Duncan, Ex-Nazi und Ex-Polizist
Chaim Miller, Privatdetektiv
Major Fontanelle, britischer Spitzel
Hanna Reitsch, Naziheroe und Vorzeigepilotin
Heinrich Liebesam, Funker der Brasilienexpedition
Ernst Udet, Generalluftzeugmeister der Wehrmacht
Suzanne Donovan, Freundin von Duncan und Tochter von Sir Reginald Donovan
Sir Reginald Donovan, Leiter des britischen diplomatischen Corps
Erwin Keller, Gerätewart in Rechlin
Heather Smith, Studienkollegin von Suzanne Donovan
Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter und Mitglied des Ministerrates für Reichsverteidigung
Rex Leepers, Offizier des britischen Geheimdienstes
Salzburg, Militärgefängnis Glasenbach, März 1946
Der Mord an Kaltenbrunner geschah an einem nasskalten Donnerstag. Sein Richter, Richard Gilford, Major des Counter Intelligence Corps – kurz CIC genannt – starrte durch das Fenster auf die Schneeflocken, die ein eisiger Ostwind vor sich hertrieb. Der hagere Mann mit den kurz geschnittenen grauen Haaren hielt seine Hände über den bulligen Kohleofen der Baracke, die als Offiziersmesse diente. Gilford hasste seinen Job. Er war Chef des größten Internierungslagers für ehemalige Nazigrößen in Oberösterreich. Vor dem Krieg war er Professor für deutsche Philosophie in Princeton, New Jersey, der viertältesten Universität der USA, gewesen. Er hatte Kant, Hegel, Fichte und Feuerbach im Original gelesen. Ein anerkannter Wissenschaftler und begeisterter Hobbygolfer, jedenfalls kein Jurist. Jetzt musste er das Gesetz zur »Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus« umsetzen, das seit dem 5. März 1946 in Kraft war.
Das Lager »Markus W. Orr« war Teil der Gemeinde Elsbethen und lag mitten in Salzburg im Bereich Ginskeyplatz und Alpenstraße. Es hatte seinen Spitznamen »Glasenbach« von der Bahnstation erhalten, die den Baracken direkt gegenüberlag. Strategisch günstig, denn bald sollten mehrere tausend österreichische SA, SS und Gestaposchergen zur Entnazifizierung in dieses Lager eingeliefert werden. Wies man ihnen Kriegsverbrechen nach, hatten sie mit dem Strang zu rechnen. Bei seinen Studenten galt Gilford als liberaler Humanist. Der Krieg hatte ihn verändert, jetzt wollte er sie hängen sehen, die Krauts, die für den millionenfachen Tod an Juden und Zivilisten verantwortlich waren. Von den Kant’schen Postulaten zur Befreiung aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit war nichts mehr übrig geblieben, im Gegenteil, die Deutschen waren den Rattenfängern auf den Leim gegangen, in der Hoffnung, ihr eigenes Schäfchen ins Trockene zu bringen. Gilford wandte sich ab. Er griff in die Seitentasche seiner Uniformjacke und holte ein Päckchen Luckies hervor. Er steckte sich einen Glimmstängel an und inhalierte tief, bevor er den Raum verließ. Draußen wartete Martin Goldmann auf ihn. Ein deutscher Jude aus Frankfurt, dessen Eltern vor der Machtergreifung der Nazis in die USA ausgewandert waren. Goldmann war sein verlängerter Arm, er sprach genug Deutsch und Englisch, um ihm als vordergründiger Übersetzer zu dienen. Während Goldmann mit den Gefangenen sprach, konnte Gilford sie genau beobachten, er verstand ja jedes Wort, das sie sagten. Gilford hatte schließlich nicht umsonst in Germanistik promoviert.
Er nickte ihm zu: »Are you ready?«
»Yes Sir«, beeilte sich Goldmann zu antworten.
Sie verließen die Baracke und stapften durch das dichte Schneetreiben, bis sie einen weiteren Flachbau aus Holz erreichten, der aus einem großen Raum mit vergitterten Fenstern bestand, der mit einem Schreibtisch und zwei Stühlen aus Metall möbliert war. Einer der Stühle stand mitten im Raum, der andere war hinter dem Schreibtisch postiert, auf dem eine frisch geölte Olivetti darauf wartete, bedient zu werden. Goldmann setzte sich an den Schreibtisch und spannte ein Blatt Papier in die Walzen der Olivetti ein. Die Tür öffnete sich und zwei Militärpolizisten stießen einen Mann in Handschellen vor sich her.
»Oberleutnant Kaltenbrunner, Sir«, bellte der größere der beiden Polizisten, bevor er ihm mit dem Gummiknüppel bedeutete, sich auf den freien Stuhl zu setzen.
»Do you stick to what you have told me about Mühlbauer?«, begann Gilford und blickte Goldmann hilfesuchend an. »Translate that, please«, fügte er hinzu.
»Major Gilford will von Ihnen wissen, ob Sie bei Ihren Behauptungen bezüglich Obersturmbannführer Max Mühlbauer bleiben? Und wenn ja, sind Sie gewillt, diese zu wiederholen?«, fragte Goldmann vorsichtig.
»Ja sicher«, nickte Kaltenbrunner, dessen blasses, teigiges Gesicht von zahllosen Aknenarben gezeichnet war.
»Max Mühlbauer war Leiter des Arbeitslagers Rechlin am Müritzsee. Die Gefangenen waren für den Bau und Erhalt der dortigen Flugerprobungsschule zuständig. Mühlbauer galt als gewissenhafter Mann, der jede ihm aufgetragene Arbeit mit Hingabe erledigte. Er erhielt von Reichsmarschall Göring das Eiserne Kreuz erster Klasse und war ein Duzfreund von Ernst Udet.«
Kaltenbrunner streckte ihnen ein Foto hin. Erst jetzt sah Gilford, dass Kaltenbrunner die ganze Zeit das Bild in seinen massigen Pranken versteckt gehalten hatte. Kaltenbrunner reichte es dem dünneren der beiden Militärpolizisten, der es neben die Olivetti legte, sodass es Goldmann genauer betrachten konnte. Goldmann wandte sich entsetzt ab. Major Gilford runzelte die Stirn und trat hinzu. Das Foto zeigte Mühlbauer, den Mann, den sie zusammen mit Kaltenbrunner verhaftet hatten. Beide waren nach dem Beschuss durch eine Mustang P 51 mit ihrer Fieseler Storch notgelandet. Wie ein Großwildjäger hatte Mühlbauer einen Fuß in den Nacken einer Leiche gestellt, die zuoberst auf einem Haufen geschundener Leiber lag. Den rechten Arm hatte er zum Hitlergruß erhoben, den linken in die Hüfte gestemmt. Nicht nur die Uniform, sondern die ganze Situation schien ihm eine Nummer zu groß zu sein. Sein Blick war starr auf die Kamera gerichtet, das Gesicht ausdruckslos wie bei einer Marionette, die man für einen bösen Spaß auf die Bühne gezerrt hatte.
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