Jost Baum - Schrebergarten Blues

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Die Schrebergärten mit dem klangvollen Namen «Ruhrfrieden» werden platt gemacht. Sie sollen einem Golfplatz weichen. Der Rentner Rudi Vollmer «hat da wat gegen …» Er tritt in den Hungerstreik und stirbt an einem Flintenschuß. Lokalredakteur Eddie Jablonski recherchiert in einem Sumpf aus Habgier, Verrat und Eifersucht …

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Jost Baum

Schrebergarten-Blues

© 2015 Oktober Verlag, Münster

Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung der

Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster

www.oktoberverlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Satz: Roland Tauber

Umschlag: Thorsten Hartmann unter Verwendung eines Fotos von korionov/iStockphoto.

Herstellung: Monsenstein und Vannerdat

ISBN: 978-3-944369-32-7

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Zugegeben, der Gang der Handlung und die

darin vorkommenden Personen

sind frei erfunden.

Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß es sich so zugetragen haben könnte.

Statt eines Vorworts

Es ist eine Forderung der Natur ,

daß der Mensch mitunter betäubt werde ,

ohne zu schlafen. Daher der Genuß

im Tabakrauchen, Branntweintrinken, Opiaten .

Goethe, Maximen und Reflexionen,

Aus Kunst und Altertum 1821

Mann mit zugeknöpften Taschen ,

dir tut niemand was zulieb .

Hand wird nur von Hand gewaschen .

Wenn du nehmen willst, so gib .

Goethe: Wie du mir, so ich dir.

Erstes Kapitel

Exitus, dachte Eddie Jablonski und starrte ungläubig auf die Ölpfütze, die sich, groß wie ein Leichentuch, über den Beton des Werkstattbodens ausbreitete und nur durch eine Handvoll Sägespäne daran gehindert wurde, auf ihn zuzufließen. Der blutige Auswurf eines waidwunden Tieres. Resigniert blickte er auf den Motorblock der Giulietta, den er mit ausgestreckten Armen gerade noch erreichen konnte, und zog heftig an seinem Glimmstengel, bevor er sich umdrehte und die Kippe durch das geöffnete Tor in den Innenhof der Werkstatt schnippte, in dem eine Ansammlung vergammelter Rostlauben auf einen vertrauensseligen Käufer wartete.

»Soll ich ihn wieder runterlassen?« fragte Fred, ein bleicher, hagerer Kerl in einem roten, dreckverschmierten Overall, und schickte sich an, einen Elektromotor in Gang zu setzen, der das Autowrack wieder auf den Hallenboden befördern sollte.

»Nee, laß mal, du solltest mir lieber die Löcher im Bodenblech zeigen«, entgegnete Eddie und vergrub seine Hände in den weiten Taschen seines Trenchcoats.

Fred nickte. An den schwarzen Ringen unter seinen Augen hätte man bequem eine Gardinenstange aufhängen können. In seinem ansonsten leichenblassen Gesicht regte sich keine Miene. »Der is’ total im Eimer, den kannste echt vergessen«, erwiderte er und stocherte wie zur Bestätigung des soeben gesprochenen Todesurteils mit einem langen Schraubendreher in den Eingeweiden der Giulietta herum. Ein feiner Regen aus Hundekot, Rostplacken und Farbresten prasselte auf ihn nieder. Fred hustete trocken, klopfte den Dreck von seinem Drillich und warf den Schraubendreher mit routinierter Zielgenauigkeit in den Werkzeugkasten, der neben der Hebebühne auf einem wackligen Holzstuhl stand.

»Ein Künstler wie du …«, begann Eddie hoffnungsvoll und ließ seinen Blick über die kantige Form der feuerroten Karosserie schweifen.

»Geschenkt«, unterbrach ihn Fred. »Das Ding ist eine Sparbüchse ohne Boden. Da drüben der Spider, ein Schnäppchen, nur zehn Mille, das wär was für dich. Geht in zwei Tagen durch den TÜV.«

»Bin ich Krösus? Meine pekuniäre Situation ist im Moment etwas angespannt …«, entgegnete Eddie mit einem Achselzucken. Ein Schicksal, das ich wahrscheinlich mit neunzig Prozent seiner Kunden teile, überlegte er noch, begann dann aber, fieberhaft zu rechnen: Zehn Riesen Kredit zu fünfzehn Prozent jährlich plus Steuern und Versicherung, das macht … Ein Schuldengebirge von ungeahnten Ausmaßen türmte sich vor seinem geistigen Auge. Der Spider würde das Zeitliche segnen, noch bevor er die Kiste abgestottert hatte.

»Und deine Frau? Die verdient doch auch ganz gut«, warf Fred ein, als er merkte, daß ihm das Geschäft seines Lebens durch die Lappen zu gehen drohte.

»Na ja, lange nicht gesehen, würde ich sagen …«, erwiderte Eddie, wobei er mit der Stiefelspitze einen Halbkreis in das Sägemehl zeichnete.

»Das ist kein Fehler!« lachte der hagere Mechaniker, der schon seit Jahren nicht mehr mit einem weiblichen Wesen an seiner Seite gesichtet worden war und in einer schlecht gelüfteten Kammer neben der Werkstatt wohnte. »Wie wär’s mit einem kosmischen Dieselbenz, zwei Mille, weil du es bist. Den Schrott da oben auf der Bühne nehme ich als Anzahlung.« Er deutete mit seinem ölverschmierten Daumen über seine Schulter.

»Wieso, ist der auch im Eimer?«

»Quatsch, ich bin eben ein Vollidiot und hab ein Herz für mittellose Penner«, feixte Fred. »Gib mir ’ne Zigarette und verschwinde, ehe ich mir’s anders überlege. Hier sind die Schlüssel!«

Jablonski nestelte eine Packung Roth Händle aus seiner Brusttasche und klickte mit dem Feuerzeug.

»Die Papiere sind im Handschuhfach«, ergänzte Fred zwischen zwei Lungenzügen, wandte sich grußlos um und stapfte mit hochgezogenen Schultern, dicke Rauchwolken hinter sich herziehend, eine Eisenstiege hinauf, die zu einem kleinen fensterlosen Büro im Dachgeschoß der Halle führte.

Der pechschwarze Benz hatte Heckflossen wie ein Haifisch und parkte neben einem Stapel abgewetzter Autoreifen unter einer baufälligen Pergola. Nur ein Kenner hätte dieses Kleinod automobilistischer Baukunst für fahrbereit erklärt. Wider Erwarten ließ sich die Fahrertür gewaltlos öffnen. Der abgestandene Geruch nach Schweiß, kaltem Zigarettenrauch und altem Maschinenöl, der ihm aus dem Wageninnern entgegenschlug, raubte Eddie fast den Atem. Dennoch schwang er sich beherzt hinter das wuchtige Lenkrad und ließ sich in die speckigen Lederpolster plumpsen. Er glühte den Motor vor, der, nach zwei vergeblichen Startversuchen, schließlich doch noch zum Leben erwachte. Direkt hinter dem verchromten Hebel der Lenkradschaltung erhob sich der kastenförmige Dom des Armaturenbretts. Dreiviertelvoll, registrierte Eddie befriedigt den Stand des Spritanzeigers. Mit einem asthmatischen Stöhnen verschwand die Seitenscheibe in einer Versenkung, als Jablonski die zierliche Kurbel drehte. Vorsichtig bugsierte er den Koloß auf den ungeteerten Feldweg und rumpelte im Schrittempo auf einen Bahnübergang zu, dessen Schranke geschlossen war. Das letzte Fossil einer aussterbenden Gattung ölfressender Dinosaurier, diagnostizierte Eddie seinen fahrenden Untersatz. Mit sich und der Welt im reinen, fingerte er einen Glimmstengel aus der zerknitterten Packung, zerrte den überquellenden Aschenbecher aus seiner Halterung und kippte den Inhalt achtlos auf die Straße. Ein laues Frühjahrslüftchen rieselte durch die Fensteröffnung und ließ ihn kräftig durchatmen. Er steckte die Zigarette an, inhalierte tief und blies den Rauch in den klaren, blauen Aprilmorgen. Nach zwei weiteren Lungenzügen widmete er sich dem Handschuhfach. Neben einer Rolle Blumendraht, zwei Biluxbirnen und einer vergammelten Packung Kondomen, Marke London superfeucht, deren Verfallsdatum vermutlich seit Jahren überschritten war, lagen, wie Fred versprochen hatte, die Fahrzeugpapiere.

Jablonski ließ die Gummis links liegen und kramte statt dessen die Geburtsurkunde des Benz hervor. Baujahr 68, vier Zylinder, 55 PS. Nicht die Welt, aber genug Kraft, um die Kiste jeden Berg hinaufzuziehen. Der erste Besitzer, ein Metzgermeister aus Wattenscheid, hatte seine Wurstfinger acht Jahre lang um das schwarze Lenkrad mit dem riesigen Hupenring gekrallt, bevor er den Benz an eine dieser Vorstadtmuttis übergab, die damit vermutlich ihre mißratenen Sprößlinge zur Schule brachte. Schließlich und endlich hatte Fred die Dieselkutsche übernommen und sie in einen fahrenden Dreckstall verwandelt, in dem er seine ramponierten Kotflügel, leckenden Öldosen und verbogenen Kurbelwellen zum Schrottplatz karrte. Dennoch erschien es Eddie, als habe ihm der Mechaniker seine liebste Freundin zum Geschenk gemacht.

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