Leben in der Spur des Todes
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Pamela Katharina Körner
Leben in der Spur des Todes
Der Unfalltod meiner Familie
und die Reise ins Leben danach
Mein Sohn Karl
† 13. August 2005
Mein Lebensgefährte Kai
† 13. August 2005
Mein Bruder Stephan
† 13. August 2005
Ich widme dieses Buch
meinem Lebensgefährten Kai,
meinen Brüdern Stephan und Michael
und meinen Kindern Karl, Lina und Anna
sowie allen anderen Kindern in unserer Familie,
die nicht leben durften.
Überleben Überleben
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Mein Leben vor der Katastrophe
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Heile dein Leben
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Überleben
Fast alles hatte ich an diesem Samstag erledigen können, was an Vorbereitungen für die festliche Taufe von Karl, Lina und Anna am nächsten Tag zu tun war. Es sollte ein großer Tag der Freude werden! Kai, mein Lebensgefährte, unser drei Jahre alter Sohn Karl und mein Bruder Stephan waren am Vormittag von Kais bestem Freund zu einer Auto-Ausfahrt abgeholt worden, mit einem schicken Jaguar mit fast 400 PS.
Jetzt, am späten Nachmittag, war ich zwar etwas geschafft, aber zufrieden und voller Vorfreude. Die Zwillingsmädchen Lina und Anna, die kurz vor ihrem zweiten Geburtstag standen, hielten im Kinderzimmer ihren gewohnten Mittagsschlaf und ich begann, das Abendessen für uns alle vorzubereiten. Kais Freund sollte an diesem Abend natürlich mit am Tisch sitzen.
Es war gegen 17 Uhr, als ich die Türklingel hörte.
„Meine Familie kommt von ihrem Ausflug zurück“, dachte ich und ging zur Tür, „bestimmt haben sie Hunger, und ich bin noch nicht fertig mit dem Abendbrot.“
Es waren nicht meine drei und Kais bester Freund, wie ich erwartet hatte – vor der Tür stand ein Polizist, begleitet von zwei Frauen.
Ängstlich schaute ich den jungen Polizisten an, der etwas hilflos vor mir stand. Er sah zu Boden und sagte leise, es habe einen Unfall gegeben. Einen Unfall? Meine Familie im Krankenhaus? Ich muss sofort hin und mich um sie kümmern!
„Einen schweren Unfall“, sagte der junge Polizist und konnte mir immer noch nicht in die Augen sehen – Panik kroch in mir hoch und ich fragte zuerst nach meinem Sohn Karl.
Er schüttelte den Kopf.
Ich schrie: „Tot?“
„Mein Bruder?“ Wieder schüttelte er den Kopf.
„Mein Mann?“ Und noch einmal schüttelte er den Kopf.
Kopfschütteln hieß also: tot!
Nicht verletzt im Krankenhaus. Tot.
Die beiden Frauen, die den jungen Polizeibeamten begleiteten, stellten sich als Seelsorgerinnen heraus. Ich nahm sie nicht wirklich wahr. Ich rief meine beiden besten Freundinnen an, die sofort zu mir kamen und mich stützten und festhielten, denn von diesem Moment an spürte ich nicht mehr den Boden unter meinen Füßen.
Der Unfallverursacher und beste Freund meines Lebensgefährten hatte den Unfall nahezu unverletzt überlebt. Mein Sohn, mein Bruder und mein Mann hingegen waren tot – verbrannt auf einem Rastplatz, zwischen Holzbänken und Müllbergen.
Ich fiel ins unvorstellbar Bodenlose, ich war entwurzelt. Es war, als hätte mir jemand ein Messer in mein Herz gestoßen und es entzweit. Ich fühlte mich ohnmächtig vor Schmerz und Leid.
Die Zwillinge waren in der Zwischenzeit vom Mittagsschlaf aufgewacht – von dieser Minute an waren sie zu Halbwaisen geworden mit einem toten Bruder und ohne Onkel. Sie würden nie mehr zu dritt spielen, der große Bruder würde sie nie beschützen können und Onkel Stephan würde sie nie mehr spazieren fahren, nie mehr mit ihnen schmusen, lachen und spielen.
Wie in Trance rief ich meinen Vater und Kais Familie an.
Mein Vater kam sofort und wir verbrachten die ganze Nacht in Karls Kinderzimmer. Ich schaute auf die Spielsachen, die Plüschtiere, und ich wusste: Karl würde sie nie mehr berühren. Abwechselnd nahm ich immer ein anderes Tier an mich, vergrub mein Gesicht darin, weil ich meinem Sohn immer wieder nahe sein, ihn riechen wollte. Ich nahm einen Berg voll Kleider an mich, die ich schon zum Waschen bereit gelegt hatte, und legte meinen Kopf darauf. Es roch noch alles nach ihm.
Er konnte doch nicht tot sein! Er darf nicht tot sein!
Ich hätte ihn so gerne noch einmal berührt. Ich versuchte immer wieder, den Kuss zu spüren, den wir uns am Morgen beim Abschied auf den Mund gegeben hatten. Es war unsere letzte Berührung gewesen. Die Sehnsucht nach ihm brachte mich fast um den Verstand. Der Schmerz über den Tod von Karl ließ keinen Raum mehr für anderen Schmerz. Obwohl mich der Tod von Kai und Stephan nicht weniger verzweifeln ließ, war doch der sinnlose Verlust des Kindes für mich, seine Mutter, unerträglich.
Fragen quälten mich unermesslich.
Warum?
Hatte mein Sohn im Todeskampf verzweifelt nach mir, seiner Mama geschrieen? Haben sie alle noch gelebt nach dem Aufprall?
Waren Karl, Kai und Stephan so schwer verletzt, dass sie den Flammen des todbringenden Feuers, das von hinten immer näher kam, nicht entfliehen konnten?
Waren sie eingeklemmt?
Haben sie noch etwas sagen können – und wenn ja, was?
Mussten sie leiden?
Wer starb zuerst?
Wenn mir vor Erschöpfung die Augen zufielen, dann hatte ich immer das Bild eines brennenden Autos vor mir.
Mein Kind war gestorben und ich war nicht bei ihm. Ich hatte versagt, nicht genügend aufgepasst. Die Polizei sagte mir später, dass sie unseren Sohn zuerst nicht finden konnten. Sein Vater lag über ihm. So starb Karl wenigstens in den Armen seines Vaters – zusammen sind sie hinübergegangen. Das tröstete mich ein klein wenig.
Mein Vater und ich hielten uns die ganze Nacht gegenseitig, drückten uns aneinander. Wir konnten nicht verstehen, was passiert war, dass uns Gott nicht wenigstens einen unserer Lieben zurückgebracht hat. Ich fluchte auf Gott, wo war seine schützende Hand? Er hatte mich verlassen.
Wo war er, der gute, der gütige – der liebe Gott?
Rasch tritt der Tod den Menschen an, es ist ihm keine Frist gegeben. Es stürzt ihn mitten in der Bahn, es reißt ihn fort vom vollen Leben.
Friedrich Schiller
Das war also der Tag, als der Tod mein Leben berührte. Endgültig.
Ich konnte nicht begreifen, wie ein ganz normaler Tag sich von einer Sekunde auf die andere in ein schwarzes Loch hatte verwandeln können, das unerbittlich und unumkehrbar alles verschlang.
Hatten wir nicht einen angenehmen Morgen gehabt an diesem Tag? Ich hatte – warum, weiß ich nicht mehr – unsere Kinder besonders hübsch angezogen und sogar noch ein Foto von allen dreien gemacht.
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