„Wie hat die das geschafft? Scheidung im Ausland?“
„Müsste man hier eigentlich auch zu den Akten geben… hat sie vielleicht vergessen. Wir fragen sie einfach. Um zwei sollen wir dort sein. Wer will mit?“ Liz gewann, vielleicht weil sie richtig getippt hatte.
„Und mit wem hast du gesprochen?“, versuchte Ben sich wieder aus der Vollpfostenecke hervorzuarbeiten.
„Mit einer Tochter namens Patricia.“
„JetSet-Name“, murrte Ben.
„Vorsicht! Die Älteste von Thomas Waldmann heißt genauso – aber mit z. Also hüte deine Zunge…“
„Mit z ist der Name auch nicht mehr so affig“, sekundierte Maggie.
„Leute!“, tadelte Andi mit langer Routine, „Haben wir nichts Wichtigeres zu tun?“
Alle verzogen sich an ihre Schreibtische und versuchten, die bisherigen eher dünnen Fakten in wunderbar aussagekräftige Kästchen an der Tafel zu verwandeln. Die Ergebnisse waren allerdings nicht allzu überzeugend und sich dafür recht ähnlich.
Andi spottete über den fruchtlosen Eifer. „Vielleicht brauchen wir doch noch das eine oder andere Faktum? Ich fahre jetzt mit Liz nach Waldstetten – und ihr hört euch bei Perflers Nachbarn um. Die wissen doch garantiert was!“
„Waren wahrscheinlich alle bei der Arbeit“, brummte Ben, der anscheinend noch nicht lange genug in Leisenberg arbeitete, jedenfalls kannte er die örtlichen Slums wohl noch nicht.
Liz grinste im Hinausgehen über die Schulter. „Am Kreuz West? Die haben Zeit. Die reinste Hartz-4-Community. Und die schauen aus dem Fenster, wenn auf RTL 2 noch nichts kommt, was doof genug wäre.“
„Welche differenzierte Aussage“, lobte Andi. „Ab jetzt!“
Ihnen öffnete in Waldstetten eine sehr junge Frau, die nach einem verdutzten Moment ein breites Lächeln aufsetzte. „Sie sind bestimmt die B-Polizei?“
„Gut erkannt“, lobte Andi. „Und Sie sind Patricia Martens?“
„Pat genügt. Das bringt Mama immer sehr nett auf die Palme. Sie ist übrigens da, aber ich habe sie nicht vorgewarnt. Durch die Tür ins Kaminzimmer und dann links die zwei Stufen runter. Wenn Sie mich brauchen sollten, einfach rechts in den Gang rufen.“
Sie hüpfte davon, offenbar sehr erfreut bei dem Gedanken an den Schrecken, den der Besuch der Polizei ihrer Mutter gleich einjagen würde.
„Ein echtes Herzchen“, murmelte Liz.
„Aber erfrischend“, kommentierte Andi, der sich an die Familie seiner Freundin Katja erinnert fühlte.
Sie folgten der Anweisung und betrachteten sich beeindruckt das gewaltige Wohnzimmer, in dem eine sehr gepflegte Dame auf einem der ausladenden Sofas saß und in einer Zeitschrift blätterte, ohne die Besucher zu bemerken. Vielleicht tat sie auch nur so?
Andi räusperte sich und die Dame hob den Kopf, dann erhob sie sich langsam. Liz erhaschte noch einen Blick auf die Zeitschrift: Ambiente. Aha, gehobener Wohnstil? Wir sind jetzt wohl etwas Besseres?
„W-wer sind Sie? Ich rufe die Polizei!“
Andi zückte seinen Ausweis und Liz tat es ihm gleich: „Nicht mehr nötig – Kripo Leisenberg. Ihre Tochter hat uns hereingelassen.“
„Patricia? Also, was fällt ihr bloß immer ein…“
„Hätte sie uns die Tür vor der Nase zuknallen sollen? Das hat die Staatsmacht nicht gar so gerne, Frau Martens.“
Sie schien zu resignieren, setzte sich wieder und wies mit müder Geste auf das Sofa gegenüber. Liz zog ihr Tablet heraus, sobald sie saß, und rief ein neues Dokument auf. Dann musterte sie Claudia Martens aufmerksam. Ein makellos gepflegtes Gesicht, diskret geschminkt, ein Kaschmir-Twinset in zartem Rosa, dazu ein schmaler dunkelgrauer Rock, feinste Strümpfe und halbhohe dunkelgraue Pumps. Liz überlegte, dass sie beim Lesen auf ihrem Sofa garantiert keine Schuhe anhätte. Schon gar nicht solche! Übertriebene Damenhaftigkeit oder bewusste Inszenierung? Sie schrieb sich das etwas verklausuliert auf.
Andreas setzte ein mitfühlendes Gesicht auf. „Frau Martens, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass wir Oliver Perfler tot aufgefunden haben.“
Frau Martens runzelte kurz die Stirn, entfaltete sie aber schnell wieder. Angst vor Falten? Botox?, überlegte Liz boshafterweise sofort. „Oliver Perfler?“
„Ihr Ex-Mann“, half Andi nach.
„Danke, ich weiß, wer Oliver Perfler ist – war. Das ist nur alles schon so weit weg… zwanzig Jahre, wenn ich mich recht erinnere. Ja, Patricia ist ja auch schon achtzehn – und Leander sechzehn… zwanzig Jahre dürfte stimmen.“
Liz nahm ihr auch das mütterliche Lächeln nicht so recht ab, jedenfalls nicht, wenn sie an die recht rotzige Patricia, „Pat“, dachte.
„Wann haben Sie denn Herrn Perfler zum letzten Mal gesehen?“
„Oh! Lassen Sie mich nachdenken… das muss auch gut zwanzig Jahre her sein, fast noch länger. Er sagte damals, er habe einen Job in Hamburg in Aussicht und er werde mich anrufen, wenn ich nachkommen könnte. Aber dieser Anruf kam nie… ich dachte, er hätte vielleicht jemand anderen gefunden. Glücklicherweise hatte ich ja meinen Beruf, so dass ich nicht auf seinen Verdienst angewiesen war. Ja, und ein halbes Jahr später kam Michael in die Firma, bei der ich arbeitete, und wir haben uns auf der Stelle ineinander verliebt.“ Schwaches Lächeln.
Sonntagsfilm im Zweiten… Liz unterdrückte mit Mühe ein hämisches Schnauben.
„Sie waren mit Herrn Perfler nur liiert?“
„J-ja, das stimmt. Ich dachte, es sei etwas Ernsteres, aber Olli dachte das ganz offensichtlich nicht…“
„Eigenartig“, überlegte Andi mit unschuldiger Miene, „in unseren Akten steht, dass er mit einer Frau namens Claudia verheiratet ist – war. Eine Heirat spricht ja nun doch eher dafür, dass man es ernst meint, denken Sie nicht?“
„Verheiratet… nun, dann sind Ihre Akten wohl nicht ganz auf dem neuesten Stand, nicht wahr?“
Claudia Martens warf Andi einen tadelnden Blick zu und wurde mit einem entsprechend frommen Blick bedacht. „Das halte ich zwar für sehr unwahrscheinlich, aber natürlich kann es immer einmal Pannen geben… Sie haben doch Ihre Scheidungsurkunde? Meine Kollegin, Kommissarin Zimmerl, würde sich dann einfach das Datum Ihrer Scheidung notieren und unsere Informationen entsprechend updaten.“
„Ap – was?“
„Auf den neuesten Stand bringen“, erläuterte Liz nachsichtig. Hatte diese Society-Zicke nicht mal ein Smartphone?
Die spätpubertäre Tochter kam herein und fiel, natürlich mit einem Smartphone in der Hand, auf das dritte Sofa.
„Patricia, bitte! Würdest du uns wohl alleine lassen?“
„Warum? Ist etwas Peinliches über deine Vergangenheit herausgekommen? Sowas ist doch spannend!“
Sie warf einen schlauen Blick in die Runde und scrollte dann weiter durch ihre Nachrichten.
„Frau Martens, es ist leider nicht üblich, Gruppenbefragungen vorzunehmen.“
„Poirot macht das schon. Kennen Sie diese Serie?“
„Klar“, sagte Liz, „aber wie bei allen Fernsehkrimis gilt: In echt ist alles ziemlich anders. Wir werden Sie nachher auch noch befragen, Sie haben uns ja den Weg schon beschrieben.“
Pat rappelte sich gehorsam auf und verschwand.
Andi sah Frau Martens nachdenklich an. „Ihre Familie ist über Ihre erste Ehe informiert? Wenn nicht, sollten Sie das umgehend nachholen, bevor wir das übernehmen.“
„Also bitte, das hat doch mit meiner Familie gar nichts zu tun! Das müssen Sie hier doch nicht herumposaunen!“
„Ob Ihre Ehe mit Oliver Perfler nichts mit Ihrer jetzigen Familie zu tun hat, wissen wir doch noch gar nicht. Immerhin ist Herr Perfler tot aufgefunden worden.“
„Ach ja, der Arme…“
Ohne eine Miene zu verziehen! Das mit dem Trauervortäuschen sollte die Alte aber noch üben…
„Können wir dann jetzt ihre Scheidungsurkunde bitte einmal sehen?“ Andi klang mittlerweile ausgesprochen amtlich.
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