Er rief das Programm auf und gab Claudia Oktober 1971 ein. Toll, ungefähr zwanzig Treffer. Er las sich alles durch und seufzte. Vier waren mittlerweile schon tot – Drogen, Autounfälle, Krebs.
Drei andere saßen ein… nun, die konnte man nicht unbedingt ausschließen, wer sagte denn, dass Claudia Perfler nicht auf die schiefe Bahn geraten war? Andererseits hießen die Knastfrauen nicht Perfler, sondern Müller, Ofcek und Stadlbauer.
Blieben noch dreizehn, verstreut über die ganze Bundesrepublik und das angrenzende Ausland. Gott, wie mühsam…! Vielleicht hatte diese rätselhafte Person aber auch im November Geburtstag? Mit der Suchoption November kamen noch sechzehn neue Claudias dazu…
„Scheiße!“, verkündete er dann lautstark. Maggie hob den Kopf von ihrem eigenen Bildschirm und sah ihn fragend an.
„Zweiunddreißig Claudias, die Skorpion sein könnten – ich Trottel! Wann genau ist Skorpion?“
„Puh! Schätzungsweise vom zwanzigsten Oktober bis zum zwanzigsten November. Kannst du dann welche ausschließen?“
„Danke! Was täte ich ohne dich…“
Damit fielen tatsächlich sieben Claudias weg. Toll, noch fünfundzwanzig… Er schob die Tastatur ein Stück von sich. „Vielleicht habe ich ja Glück und in Perflers Wohnung findet sich ein uralter Geburtstagskalender?“
Maggie brummte ermutigend, starrte aber weiter auf ihren Bildschirm.
„Was schaust du gerade?“
„Was über Perfler noch so im Netz steht. Und mit wem er in der Zelle gesessen hat.“
„Sehr gut!“ Andi kopierte die Informationen in ein neues Dokument, wandelte das Ganze in eine Tabelle um und sortierte nach Geburtsdaten. Vielleicht half das später ja irgendwie weiter… bei seinem Glück wahrscheinlich nicht.
Ben und Liz hatten sich in einer eher kleinen und ausgesprochen seltsam geschnittenen Wohnung am Norderneyweg umgesehen und alles, was sie selbst und das übrige Durchsuchungsteam an Interessantem gefunden hatten, in einer großen Plastikwanne gesammelt.
Viel war es nicht, stellten sie schließlich fest. Kein Rechner, ein winziges Adressbuch, eine Handvoll Briefe, so gut wie keine Wertsachen, wenig Garderobe (diese allerdings von einigermaßen guter Qualität) und ein Firmenausweis von XAM!
„Ist das nicht eine total schicke Werbeagentur?“, fragte Ben leicht verblüfft. Liz bestätigte ihm das. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, was der da gemacht hat, er war doch kein Werbefuzzi? Was hat der gleich wieder gemacht, bevor er eingefahren ist?“
„Buchhalter, oder? Na, sowas braucht man ja wohl überall…“
„Würdest du einen vorbestraften Betrüger als Buchhalter einstellen?“
„Eher nicht. Vielleicht fegt er die Büros aus.“
„Superjob… naja, was macht er auch Schmu und lässt sich obendrein noch erwischen… Warum macht so einer sowas?“, überlegte Liz.
„Weil er Geld braucht und wie alle Gauner glaubt, dass man ihm nie draufkommt. War wohl nix.“
„Fragen wir bei XAM! Nach. Oder noch besser – lassen wir nachfragen. Der Kriminalrat ist doch mit dem Obermotz von XP befreundet, der kann sich ganz zwanglos erkundigen.“
„Und der Obermotz kennt auch den Ausfeger in einer seiner Unterfirmen?“ Ben war skeptisch.
„Nach dem, was Spengler erzählt hat, kennt der jeden. Na, und wenn nicht, weiß er doch, wo er sich erkundigen kann, oder?“
Dazu fiel Ben nichts mehr ein.
„Wieso hat der bloß keinen Rechner?“, überlegte Liz dafür, während sie den ganzen Kram so in der Wanne unterbrachten, dass er unterwegs so gut wie nicht verrutschen konnte.
„Zu arm?“
„Kann doch ein alter sein! Sowas kriegst du nachgeschmissen, du musst bloß rumfragen, wer einen neuen hat und den alten gerne los wäre…“
„Wie lange war der gleich wieder weg vom Fenster?“
„Fünf Jahre oder so? Davor gab´s auch schon Laptops und Smartphones.“
„Für einen Handyvertrag darfst du aber keinen Schufa-Eintrag haben…“
„Ach komm, jeder Hartzer hat doch ein Handy, und der Perfler hat sogar einen Job – gehabt. Da sind die wohl kaum so pingelig.“
„Meinetwegen. Vielleicht hat der, der ihn umgebracht hat, seine Hardware geklaut. Hatte er eigentlich einen Schlüssel in der Tasche?“
Liz stutzte und rief dann im Präsidium an.
„Schlüssel?“, fragte Andi. „Gute Frage… Maggie? Maggie sagt nein, sie hat die Liste vor der Nase. Kein Schlüssel. Gute Idee, ihr beiden!“
„Also kann gut jemand hier eingebrochen haben“, stellte Ben fest und sah sich um. „Keine Einbruchsspuren… logisch, wenn er einen Schlüssel hatte. Aber das Geld hat er nicht mitgenommen, denk an die vierzig Euro unter dem Glas auf dem Tisch.“
„War ihm vielleicht zu poplig?“
„Deshalb kann man es doch mitnehmen! Ein möglicherweise ältlicher Rechner und ein vielleicht auch nicht mehr ganz frisches Telefon sind doch auch nicht gerade solche Schnäppchen.“
„Du meinst, um Geld ging es nicht?“
„Könnte doch sein, oder? Aber warum dann?“
„Rechner weg, Telefon weg – Daten von jemandem?“
„Aber wir haben noch dieses kleine Adressbuch. Da könnte doch auch etwas Verräterisches drinstehen, die Nummer von dem, der ihn zu dieser Unterschlagung angestiftet hat oder so… warum hat der Dieb und Mörder das nicht auch eingesackt?“
Liz angelte das winzige Ding aus der Plastikwanne und besah es sich von allen Seiten. „Kann er es für etwas anderes gehalten haben? Mit diesem Pseudo-Lederumschlag?“
„Ich weiß es nicht. Es war unter einem Tischbein, vielleicht, damit der Tisch nicht wackelt.“
Liz schätzte die Grundfläche der Tischbeine ab und nickte. „Er hat es übersehen, weil es so klein ist. Komm, im Präsidium schauen wir es uns an, wenn die KT damit durch ist. Es schaut ja aus wie ein besseres Streichholzheftchen…“
Einer vom Durchsuchungsteam brachte noch eine Handvoll Briefe; Ben sah sie schnell durch und seufzte. „Telefonrechnung… Kontoauszug… Kreditangebot? Ist die Bank denn lebensmüde? Hier, schau dir den Kontoauszug an!“
Liz staunte pflichtgemäß: „Hui, das nenn ich aber mal überzogen! Wieviel hat er Dispo? Dreitausend? Und verdienen tut er - ach, geht ja eigentlich. Neunzehnhundert… dann kann er bei XAM! ja wohl nicht nur die Büros ausfegen. Wieso hat er so überzogen? Vier-drei im Minus, da müsste die Bank doch allmählich die Notbremse ziehen?“
Ben nahm ihr den Auszug wieder weg. „Ziemlich viel online eingekauft… Was sind das für Firmen, kennst du da was?“
Liz holte sich den Auszug zurück. „Only Bags… kenn ich. Vintage-Handtaschen, zum Teil Sammlerstücke.“
„Es gibt Leute, die Handtaschen sammeln?“ Ben schien fassungslos.
„Sammeln kann man doch alles! Taschen, Schuhe, Briefmarken, alte Handys…“
„Alte Handys kann man doch nur wegen der seltenen Metalle verkaufen?“
„Aber wenn ein Modell echt selten ist? Ist ja auch wurscht, jedenfalls hier sind es Handtaschen. Da kann eine schon mal bis zu fünfhundert Euro kosten. Die Überweisungsbeträge passen dazu. Brit Chic kenne ich nicht, aber der Name spricht ja für sich. Klamotten für den Landadel. Hui, einmal über achthundert? Ich schätze, zwei schicke Blazer oder ein richtig guter Trenchcoat. Mir wäre das zu teuer. Und Lord & Lady geht in die gleiche Richtung, denke ich. Insgesamt fast zweieinhalbtausend… ja, so geht es schnell mit dem Dispo.“
„Entweder hatte er eine teure Freundin oder er war Transvestit“, überlegte Ben. „Teure Freundin dürfte näher liegen, was meinst du?“
„Hast Recht. Außerdem hab ich im Schrank seine Schuhe gesehen, echte Kähne. In der Größe gibt es für Frauen nichts mehr. Und die feine Lady spielen, aber Turnschuhe in sechsundvierzig oder so tragen? Sähe doch bescheuert aus!“
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