Gute Arbeit, Moretti , dachte er kurz, dann stand er vor der Eingangstür zur Mühle und schloss sie auf.
Im Inneren roch es muffig nach altem Staub und abgestandener Luft. Durch die Seitenfenster fiel genügend Licht ein, um den Raum in ein diffuses Halbdunkel zu tauchen, das ein wenig gespenstisch wirkte.
Kuja jedoch schenkte dem wenig Beachtung, sondern durchmaß mit schnellen, kräftigen Schritten das ehemalige Sägewerk. Die Mühle war durch riesige Wasserräder angetrieben worden. Mächtige Sägemaschinen hatten das Holz der heimischen Bäume zerschnitten und damit genügend Baustoff geliefert. Vor siebzig Jahren hatte sie einen wesentlichen Beitrag bei der letzten großen Stadterweiterung Alimantes nach Südwesten geleistet. Heutzutage aber wurde nur noch selten mit Holz gebaut, sodass sie nicht mehr genutzt wurde. Ein Umstand, der Kuja jetzt zupasskam. Während er auf die Tür zum Lagerraum zuging, wurde sein Blick fast wie magisch von einem großen, verblichenen Bild an der Wand angezogen, das den Bau einer Kirche zeigte, und dort von der Zeichnung des Herrn in der rechten oberen Ecke, der die Arbeiten wohlwollend beobachtete. Als er in sein Antlitz sah, flehte Kuja ihn um Gnade für sich an, doch gleichsam wusste er, dass der Herr seine Freveltaten kannte und so blickte er verlegen und voller Scham zu Boden.
Dann hatte er die Tür erreicht und öffnete auch sie. Bevor er jedoch eintrat, schloss er seine Augen und atmete einmal tief durch.
Ein durchdringender Geruch nach Schweiß, Exkrementen und gammelnden Essensresten schlug ihm entgegen. In dem Raum brannten etwa ein Dutzend Kerzen und tauchten ihn in ein dämmeriges Zwielicht.
Neben der Laboreinrichtung aus vielerlei Gerätschaften, die einen Großteil der Fläche einnahm, konnte er ein Bett an der rechten Wand erkennen. Laken und Decke waren zerknittert, es war also benutzt worden. Daneben befand sich ein kleiner Tisch mit einem Stuhl davor. Auf dem Tisch standen einige Teller, auf denen vielfach noch Essensreste zu finden waren, und Krüge.
An der hinteren Wand konnte Kuja einen provisorischen Donnerbalken mit einem Eimer darunter erkennen. Dem Geruch nach zu urteilen war er heute wohl noch nicht geleert worden.
Auf den weiteren Tischen, auf denen etliche Laborgeräte standen, von denen nicht wenige gerade in Betrieb waren - es zischte, dampfte, kochte und blubberte schier überall - konnte Kuja Glasschälchen, Schneidebretter, Pipetten, Reagenzgläser und vieles andere mehr erkennen.
Alles hier sah nach großer Geschäftigkeit aus, doch was Kuja nicht sehen konnte, war… Djurko!
Der Fürst machte einen weiteren Schritt in den Raum hinein, als er plötzlich mit dem rechten Fuß gegen einen Widerstand stieß, der daraufhin leise rasselnd über den Boden glitt. Kuja konnte dieses Geräusch sofort zuordnen: Die Sicherungskette! Der Fürst blickte hinab und konnte tatsächlich die massive Eisenkette erkennen, mit der Moretti den Sträfling gesichert hatte. Doch nicht nur das! Nur allzu deutlich sah er auch den Eisenring, der eigentlich an Djurkos Fußknöchel befestigt sein sollte, aufgesprengt und ohne Inhalt am Boden liegen. Augenblicklich schoss ihm das Blut ins Gesicht, weil ein derber Schreck in seine Glieder zuckte, als ihm klar wurde, was das bedeutete. Djurko war geflohen, seine Hoffnungen zerstört, sein Flehen nicht erhört worden!
"Ach das!" hörte Kuja plötzlich Djurkos Stimme vom anderen Ende des Raumes. Als er dorthin blickte, konnte er Bewegung im Halbdunkel wahrnehmen. "Das verdammte Ding wurde mit der Zeit echt lästig!" Der Sträfling kam näher und endlich konnte ihn der Fürst erkennen.
Djurko sah bemitleidenswert aus. Die Kleidung war zerknittert und an vielen Stellen fleckig von Arbeit, Essen und Schweiß. Das Gesicht wirkte eingefallen, die Haut farblos. Seine Haare waren fettig und klebten wirr am Kopf, seine Augen glänzten wässrig, die Pupillen waren deutlich gerötet.
Kuja erwiderte nichts, sondern starrte den Sträfling nur mit großen Augen an.
Plötzlich blieb Djurko stehen. "Moment!" Ein Grinsen huschte über seine Lippen. "Ihr dachtet, ich wäre ausgebüchst!?"
Wieder brachte der Fürst kein Wort heraus, sondern nur ein unterdrücktes Stöhnen.
"Ja, eigentlich hatte ich das auch vorgehabt!" Djurkos Grinsen verflog. "Aber dann wurde mir klar, dass ich eurem Vater noch etwas schuldig bin. Schließlich war er es, der meine Todesstrafe in eine Haftstrafe umgewandelt hatte. Und weil ich es ihm nicht mehr vergelten kann, habe ich mich entschlossen, es bei seinem Sohn zu tun!" Er verzog die Mundwinkel.
"Ich…!" Kuja gewann erst langsam wieder die Fassung. "Okay…!" Er atmete einmal tief durch. "Und…?" Er sah Djurko in einer Mischung aus beinahe flehender Hoffnung und einer großen Portion Angst an. "Wart ihr erfolgreich?"
Der Sträfling blickte den Fürsten mit ernster Miene an. Dabei verzog er erneut die Mundwinkel und rümpfte zusätzlich noch die Nase. Kuja Herz sackte zusehends in seine Hose. "Das war ein hartes Stück Arbeit!" Djurko nickte. "Ein verdammt hartes Stück Arbeit!" Er fuhr sich durch das fettige Haar. "Ich habe seit zwei Tagen nicht mehr geschlafen, seit Tagen kaum noch gegessen…!" Er schüttelte den Kopf. "Ich glaube, ich werde allmählich alt!" Sein Körper erstarrte für einen Augenblick, dann blickte er Kuja direkt an. "Ich fürchte, ich habe zunächst eine schlechte Nachricht für euch!"
"Nein!" Es war nur ein Flüstern, doch Kuja hatte Mühe, nicht die Besinnung zu verlieren. Seine Gesichtszüge entglitten, das Blut wich aus seinem Gesicht, seine Augenlider flackerten, ihm wurde schwindelig. Plan B! schoss es ihm in den Kopf. Oh Gott, bitte nicht! Mit Mühe konnte seine rechte Hand einen Stuhl ertasten, auf den er sich sinken ließ.
"Trotz größter Mühen war es mir nicht möglich, die Krankheit, die euch befallen hat, zu bestimmen!" erklärte Djurko mit fester Stimme. "Ich habe den Wurm, den ich aus eurem Körper entfernt habe, eingehend untersucht. Doch ich konnte weder sein Blut, noch seine Gewebestruktur, noch sein Skelett - soweit überhaupt vorhanden - analysieren!"
"Was…?" Kuja war bemüht, den Ausführungen des Sträflings zu folgen. "…heißt das?"
"Das heißt, dass sowohl im Blut, im Gewebe und auch im Knorpelskelett und der Haut des Wurms Bestandteile zu finden waren, die ich noch niemals zuvor gesehen habe und folglich auch nicht bestimmen konnte!"
"Wie ist das möglich?"
"Na ja…!" Djurkos Gesicht zeigte Unsicherheit. "Ihr sagtet, ihr habt euch in dieser Höhle verletzt!?" Kuja nickte. "Vielleicht hat vor euch noch nie Jemand einen Fuß dort hineingesetzt. Vielleicht war sie Jahrhunderte, ja möglicherweise sogar Jahrtausende lang unberührt. Entsprechend also auch das Ökosystem dort. Es kann sein, dass ihr euch einen uralten Virus eingefangen habt, den die Menschheit noch nie zuvor gesehen hat!" Djurko sah den Fürsten an, doch hatte er das Gefühl, dass er damit nicht die Wahrheit getroffen hatte. "Oder…!" hob er daher an. "…dort in dieser Höhle befindet sich etwas, dass nicht…!" Er wartete, bis Kuja ihn ansah. "…von dieser Welt ist!"
"Nicht von…?" Ein unsicheres Grinsen huschte über seine Lippen. "…dieser Welt?"
Djurko nickte. "Außerirdischen Ursprungs!"
"Was?" Kuja war sichtlich geschockt. "Oh Gott!" Verzweiflung war in seinem Gesicht zu sehen.
"Nun gut!" hob Djurko wieder an. "Meine Analysen waren also nicht erfolgreich. Allerdings habe ich bei dem Wurm bereits deutliche Anzeichen einer bevorstehenden Metamorphose erkennen können!"
Kujas Kopf zuckte in die Höhe und in seinem Gesicht stand echte Panik, denn er wusste nur zu genau, was der Sträfling damit andeuten wollte.
"Aufgrund dieser Ergebnisse…!" hob Djurko wieder an. "…wollte ich eigentlich schon aufgeben!"
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