Wölfchen scheint zu merken, dass was nicht stimmt und bleibt jetzt bei mir. Immer wieder huscht sein Blick zu mir. Dann kommen die Ruinen endlich in Sicht und wieder mal atme ich erleichtert auf. Nicht mehr lange und ich kann die Salbe fertigstellen. Dann werde ich auch diese Schmerzen wieder los.
Ich betrete die Straße, die einst der Hauptweg vom Dorf gewesen sein muss und passiere die ersten Häuser, als Wölfchen die Ohren aufstellt und stehen bleibt. Alarmiert halte auch ich an und folge seinem Blick geradeaus. Um die Ecke eines alten Hauses kommt eine Person herum und lehnt sich dann mit der Schulter gegen die Hauswand. Sie steht mir zugewandt und hat die Arme vor der Brust verschränkt.
Wo sie steht, ist es dunkel, sodass ich nur die Umrisse erkenne. Was ich aber trotzdem ausmachen kann, sind die Waffen. Ein Elf. Und ich habe eine Ahnung, dass es der von vorhin ist. Ich schlucke und weiß für den Moment nicht, was ich jetzt tun kann, als Wölfchen den Kopf senkt und vor mich tritt.
Der Elf schubst sich lässig von der Wand ab und lässt die Arme sinken. „Das ist mein Wolf“, dringt seine Stimme zu mir. Überraschend ruhig.
Ich kann nichts erwidern, denn meine Gedanken rasen, genau wie mein Herz. Hinter ihm kann ich meinen Hof sehen, aber ich muss an ihm vorbeikommen, um ihn zu erreichen.
„Ich will ihn wiederhaben“, meint er und macht einen Schritt auf mich zu, den ich spiegele, allerdings rückwärts.
Ohne den Elfen aus den Augen zu lassen, suche ich einen Fluchtweg und sehe im Augenwinkel eine Gasse zwischen zwei Häusern zu meiner Linken. Ich weiß, dass dieser Weg eng ist, aber wenn ich den Elf noch ein Stück zu mir bekomme, ist sein Weg zum Hof in jedem Fall länger als meiner. Wenn ich Glück habe und sich er in dem kleinen Gewirr von Wegen hinter den Häusern nicht auskennt, bin ich hoffentlich auch schneller in meinem Schutz. Und hoffentlich ist der doch noch aktiv. Langsam mache ich einen weiteren Schritt zurück und Wölfchen tut es ebenso. Der Elf folgt, wie am Faden gezogen.
Wenigstens das klappt . Dann habe ich die Gasse genau so neben mir, dass ich schnell darin verschwinden kann. Ohne weiter abzuwarten, renne ich los. Wölfchen folgt mir natürlich. Ich höre den Elf fluchen und dann seine Schritte, als er mir ebenfalls nachjagt.
Ohne weiter auf ihn zu achten, renne ich, so schnell es die Enge ermöglicht, das winzige Labyrinth von Wegen entlang. Der Vorteil der Enge ist, dass der Elf keine seiner Waffen gegen mich nutzen kann. Trotzdem höre ich, wie er schnell näherkommt.
Die Schmerzen um meine Taille machen meine Flucht nicht einfacher und schließlich lässt mich ein Stich heftig zusammenfahren und in die Knie gehen. Ein Keuchen dringt mir aus der Kehle und Wölfchen prallt rutschend in meinen Rücken.
Ich muss weiter, denn die Schritte des Elfen kommen stetig näher. Am Zaun neben mir ziehe ich mich hoch und schleppe mich vorwärts. Kurz drauf folgt ein zweiter Stich und lässt mich abermals in die Knie gehen. Diesmal hält mich keine Wand und ich falle in eine Abzweigung. Hastig ziehe ich meine Beine hinterher und lausche auf meinen Verfolger. Dann höre ich, wie der Elf auf den Weg einbiegt, den ich gerade verlassen habe.
Mein panischer Blick fällt auf Wölfchen, der noch auf dem Weg steht. Doch statt mir in die Abzweigung zu folgen, dreht er ab und rennt vor dem Elf weg. Wieder flucht dieser laut und schon höre ich ihn rennen. Ich halte den Atem an und drücke mich gegen die Wand, mache mich so klein wie möglich und hoffe, sein Gehör ist nicht so gut, dass er meinen rasenden Herzschlag hören kann.
Ein Schatten fliegt an der Abzweigung vorbei und die Schritte entfernen sich schnell. Dem Himmel sei Dank. Ich atme vorsichtig aus und kneife Augen und Lippen zusammen, als ein dritter Stich durch mich fährt. Ein leises Keuchen später zwinge ich mich, aufzustehen.
Mit der Hoffnung, dass Wölfchen den Elf weiter weggelockt hat, schleppe ich mich Richtung Hof. Eine große, freie Wiese liegt als letzte Hürde zwischen mir und meiner Sicherheit. Wenn sie denn noch sicher ist. Doch selbst wenn nicht, muss ich rein und wenigstens die Mixtur holen. Denn ohne die Salbe brauche ich auch bald keinen Schutz mehr.
Ich habe die halbe Strecke geschafft, als Wölfchen auftaucht und an meine Seite kommt. So froh ich bin, den Welpen heil zu sehen, so sehr erschreckt es mich. Denn der Elf will ihn fangen und er wird ihn sicher weiter verfolgen. Mein Blick fliegt über meine Umgebung und tatsächlich kommt auch der Elf aus dem Dunkel. Als er mich sieht, verfällt er vom Rennen ins Laufen und bleibt dann stehen.
Den Kopf leicht gesenkt, schaut er mich von unten her an, die Hände in die Hüften gestemmt, als will er sagen, du ungezogenes Mädchen schon wieder. Ich schlucke, doch mein Hals ist trocken und brennt. Bis zum Hof sind es nur noch wenige Schritte, aber der Elf ist schneller als ich und ich bin geschwächt.
Trotzdem muss ich da rein, also setze ich mich so vorsichtig in Bewegung, als würde ich einem wilden Tier gegenüberstehen. Der Elf hebt den Kopf und lässt die Arme sinken. Auch er setzt sich in Bewegung und jetzt renne ich. So klein meine Chance ist, schneller als er zu sein, ich muss es versuchen.
„Bleib stehen!“, ruft er, aber ich denke wieder nicht dran, dieser Aufforderung nachzukommen. Stattdessen hole ich alles aus mir raus, was noch möglich ist. So kurz der Weg für mich ist, der Elf ist auf seinem langen Weg schneller und ich kann ihn dicht hinter mir hören. Dann ein Fluch, gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Wenig später überholt Wölfchen mich und ich ahne, dass er den Elfen zu Fall gebracht hat, denn dessen Schritte folgen mir nicht mehr.
Zumindest habe ich so einen winzigen Vorsprung bekommen, doch schon höre ich ihn wieder und meine sogar, seine Hand gespürt zu haben, da übertrete ich die Grenze und ein Stöhnen entfährt ihm. Entgegen all meiner Vorsätze drehe ich mich doch um, gerate ins Straucheln und falle. Sofort schießt mein Blick zum Elf, doch er steht vor der Mauer und funkelt mich böse an.
Wölfchen steht neben mir und hechelt laut. Mein Herz kann er aber nicht übertönen. Es pocht so heftig gegen meine Brust, dass ich sicher bin, selbst der Elf hört es jetzt. Sein Blick fliegt zwischen Wölfchen und mir hin und her, dann flucht er leise, fährt sich durch die Haare und wendet sich für einen Moment ab.
Fast glaube ich, er will gehen, doch da dreht er sich zurück und holt aus. Mit flachen Händen schlägt er wütend nach vorn und ein dumpfes Geräusch, als würde jemand von außen gegen ein Fenster schlagen ertönt, als seine Hände den Schutzwall treffen.
Mir entfährt ein Keuchen. Der Schutz hält ihn draußen. Dann fliegt mein Blick zu Wölfchen. Wenn er zu dem Elf gehört, hätte er ebenso nicht über die Grenze gehen können. Doch er sitzt hier neben mir, den Kopf leicht schräg gelegt und beobachtet seinen vermeintlichen Herren neugierig.
Meine Taille sticht erneut und diesmal muss ich dem Schmerz mit einem Stöhnen nachgeben. Ohne weiter auf meinen Verfolger zu achten, stehe ich mühsam auf und schleiche zum Haus. Sobald ich die Schmerzen los bin, kümmere ich mich um meine weitere Flucht. Wölfchen bleibt draußen und hält ein Auge auf den Feind. Ein bisschen hoffe ich, der Elf geht vielleicht doch, aber da sein Wolf auf meinem Grundstück hockt, wird er wohl nicht so schnell abrücken.
Drinnen hole ich die Dose mit der Salbe und verschütte die Hälfte, weil eine neue Schmerzwelle mich trifft, genau als ich die Dose öffne. Ich stelle sie auf den Boden und hocke mich davor. Die Jacke fliegt aus der Tasche und wieder krame ich in den wenigen Habseligkeiten, die ich immer mitschleppe, nach der kleinen Phiole. Wieder beginnt mein Herz zu rasen, denn ich wieder kann ich sie nicht finden.
Das kann doch nicht wahr sein! Der komplette Inhalt fliegt einzeln aus der Tasche, bis ich sie schließlich auf links drehe, doch das Fläschchen ist nicht da. Tränen brennen in meinen Augen, nicht nur weil der Schmerz immer schlimmer wird.
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