Ich lasse den Blick schweifen. Kein rankommen, nirgends. Doch dann sehe ich sie. Eine Rosenpflanze hat einen langen Trieb gebildet und der ragt Richtung Zaun. Ohne Zögern gehe ich an die Stelle, an der der Trieb am nächsten ist. Ein Kontrollblick und ich bin mir sicher, wenn jetzt einer aus einem Fenster vom Anwesen guckt, sieht er mich. Zumindest wenn derjenige ein Elf ist. Die können eben alles besser. Sehen, hören, riechen, laufen.
Mir wird ein bisschen warm, als ich daran denke, dass sie sicher auch besser im Bett sind als Menschen. Mein letzter Freund ist eindeutig zu lange her.
Ich schüttle den Kopf und hocke mich hin. Vorsichtig stecke ich einen Arm durch den Zaun und drücke mich dagegen. Mit gestreckten Fingern versuche ich, den Trieb zu fassen zu bekommen, meine Fingerspitzen streifen die letzten Blätter. Ich dränge mich noch ein bisschen mehr an den Zaun und spüre, wie sich das Metall auf meine Entzündung drückt.
Ein stechender Schmerz lässt mich zurückzucken. „Verfluchte Rose! Blödes Mistding!“, fluche ich leise vor mich hin, während ich sachte meine Seite halte, wo der Zaun gegen mich gedrückt hat.
„Ich krieg dich“, drohe ich der Pflanze und wage einen zweiten Versuch. Wieder streifen meine Fingerspitzen die Blätter und wieder drücke ich mich enger an den Zaun. Diesmal reicht es und ich bekomme zwei Blätter mit den Fingerkuppen zu fassen. „Geht doch.“
Doch meine Freude währt nicht lang, denn als ich daran ziehe, um den Trieb näher zu mir zu holen, reißen die Blätter ab und die Pflanze schnellt zurück. Mit so viel Schwung, dass der Trieb sich an einem anderen verfängt und in für mich unerreichbarer Ferne hängenbleibt. Von mir selbst enttäuscht, lasse ich mich auf den Hintern fallen und vergrabe das Gesicht in den Händen. Wölfchen stupst mich an und ich schaue auf.
„Ein Satz mit X, oder was sagst du?“ Er murrt nur. Ich schaue zu der Pflanze und dann zum Himmel. „Es tut mir leid“, hauche ich und hoffe, mir wird vergeben, weil ich die Rose beschädigt habe, ohne einen Nutzen davon zu haben.
„Lass uns gehen, bevor uns noch so ein Freak sieht.“ Ich stehe auf und mache mich auf den Weg zurück zur Hauptstraße. Diesmal schützt mich keine Staubwolke, weshalb ich wachsamer sein muss. Der Schmerz in meiner Seite, lenkt mich aber immer wieder ab. Die Aktion hat mir nichts außer die fiesen, stechend-brennenden Schmerzen gebracht, die mit der Krankheit zusammenhängen.
Ich erreiche die Straße und muss einen Block lang auf ihr gehen, erst dann kommt eine Einbiegung zu einer Nebenstraße. Schnellen Schrittes gehe ich auf die Einbiegung zu, als ich jemanden rufen höre. Ich schaue mich um und sehe einen jungen Mann hinter mir. Mir wird heiß und kalt, denn der Bogen auf seinem Rücken und das Schwert an seiner Seite verraten mir, was er ist.
„Ach du ...“, rutscht es mir raus. Ich drehe mich zurück und setze gerade zur Flucht an, als er wieder ruft.
„Warte mal. Der Wolf ...“
Mehr verstehe ich nicht, denn ich renne los und mein Blut rauscht mit einem Schlag viel lauter durch meinen Körper. Hinter mir höre ich ihn ein drittes Mal rufen, dann hab ich die Einbiegung erreicht.
Bitte, bitte, bitte, lass mich schneller sein , flehe ich innerlich und renne wie schon lange nicht mehr. Ich kenne diese Gegend nicht allzu gut, weiß aber, ich welcher Richtung die U-Bahn liegt. Jetzt darf nur keine Sackgasse kommen.
Wölfchen rennt neben mir und scheint das Ganze lustig zu finden. Er hält locker mit mir Schritt und springt ab und zu an mir hoch, als würde er mich zum Spielen auffordern wollen.
„Lass das!“, fahre ich ihn an, als er mich fast umschubst. Er hört auf zu springen, folgt mir aber weiterhin mühelos. Ich habe keine Ahnung, ob der Elf mir folgt, drehe mich aber auch nicht um. Die U-Bahn ist nicht mehr weit, denn endlich habe ich den Teil der Stadt erreicht, in dem ich mich besser auskenne. Meine Lungen brennen und mein Herz rast, dann sehe ich die Treppe zur Haltestelle unter Tage.
„Bleib stehen!“, ruft eine Stimme und es ist die gleiche wie vorhin.
Ich denke nicht daran und renne weiter. Die Treppe kommt näher, doch ich höre Schritte hinter mir. Der Elf holt ebenfalls auf. Verflucht, verflucht, verflucht! Ich kann nur hoffen, dass er nicht auf mich schießt oder sein Schwert nach mir wirft. Dann endlich bin ich da und springe die ersten vier Stufen mit einem Satz hinunter. Noch fünf solche Sprünge und eine harte Landung später, drehe ich mich um und schaue atemlos nach oben.
Da steht er, am obersten Absatz und sieht mich an. Sein Gesicht kann ich nicht erkennen, denn es liegt im Schatten, doch er scheint ebenso außer Atem zu sein wie ich. Wölfchen trabt an meine Seite und stupst mich an. Ich wende den Blick nicht vom Elf ab. Der steht einfach da und guckt mich an. Ich weiß, er wird mir nicht folgen, aber er hat auch keine seiner Waffen gezogen.
Da wird mir klar, dass ich noch immer in Schussweite seines Bogens bin. Hastig stehe ich auf und mache einen Schritt zurück, bis mich seine Stimme innehalten lässt.
„Mein Wolf“, kommt es leise bei mir an.
Mein Blick fällt auf Wölfchen, der mich ebenso anschaut. Sein Wolf? Wölfchen ist doch ein Elbwolf? Aber er konnte auf den Hof. Wieder fliegt mein Blick zu dem Elf nach oben. Er tut nichts außer dazustehen.
Dann höre ich den Zug kommen. Meine Fluchtmöglichkeit. Ich drehe mich um und renne zum Bahnsteig. Wenig später sitze ich auf meinem Platz, komme endlich zu Atem und kraule Wölfchen nachdenklich den Kopf.
3
Die Fahrt dauert wie immer lange, denn der Zug hält an jedem Bahnsteig. Zwar bin ich diesmal nicht an der Endstation eingestiegen, aber es war nah dran. Wölfchen liegt quer über den Sitzen und sein Kopf ruht auf meinem Schoß.
Er ist ein Elbwolf , geht es mir durch den Kopf. Aber er hätte nicht auf den Hof gekonnt, wenn er magisch wäre. Hilft der Schutz vielleicht nicht? Oh mein Gott! Was, wenn er wirklich unwirksam ist? Ich muss ihn prüfen und am besten gleich erneuern!
Ich spüre Müdigkeit in mir aufsteigen und meine Seite brennt und sticht, dann kommt die Ansage für die Endstation und ich werde unsanft aus meinen Gedanken geholt. Wölfchen springt auf und ist noch vor mir auf dem Bahnsteig. Diesmal fährt der Zug wieder ab, denn es war nicht Zeez’ letzte Fahrt für heute. Wie immer werfe ich erst einen Blick nach oben, bevor ich die Stufen erklimme.
Die Nacht bricht an, aber es ist noch immer relativ hell. Diese Stadtausflüge kosten mich sonst nur einen halben Tag. Diesmal ist fast der ganze vorbei, wegen der Sache mit Dekka und meinem Ausflug zu den Rosen. Dass ich noch immer klatschnass vom Regen und schon wieder nur knapp einem Elfen entkommen bin, macht den Tag noch perfekter.
Gewohnheitsmäßig zähle ich die Stufen und komme oben an. Einen Rundumblick später, laufe ich los. Wölfchen springt um mich herum, bleibt ab und zu stehen, um zu schnüffeln, und holt mich dann wieder ein. Mittlerweile brennen beide Seiten meiner Taille heftig. Rechts, wo die Infektion kleiner ist, ist es diesmal aber genauso schlimm wie links, wegen der Zaunaktion vorhin.
Kleine und große Stiche, als würde jemand tausend Nadeln gleichzeitig in mich pieksen, lassen mich langsamer als sonst gehen. Ich kann die Stellen nicht halten, denn das würde den Stoff meiner Kleidung darauf drücken, was das Brennen verschlimmern würde. Das Einzige was helfen würde, wäre ausziehen und die kühle Luft daran lassen. Ich werde mich allerdings hüten, das zu tun.
Die Jacke, wenigstens die. Also ziehe ich sie doch aus und stopfe sie in die Tasche. Den Riemen muss ich länger machen, weil sie sonst über meine Taille reibt. Langsam wird mir komisch und wie erwartet, dreht mein Kreislauf wegen der Schmerzen durch. Die Müdigkeit wird stärker und mein Kopf fängt an, wehzutun.
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