Der Wolf ist mir abermals gefolgt und nimmt nun meine bescheidene Bleibe in Augenschein. Er schnüffelt alles ab und halb befürchte ich, er könnte irgendwo hinmachen, doch er hält sich zurück und legt sich nach seinem Rundgang vor das alte Sofa, das mein Schlafplatz ist. Seine Augen folgen meinem Tun, als ich die fast fertige Mixtur auf den Kaminsims stelle, die Sanduhr daneben umdrehe und mich zu ihm umwende.
„Hast du Hunger?“, frage ich, auch wenn ich keine Antwort erwarten kann. „Tja, ich hab Hunger“, füge ich an und hole Brot und geräucherte Wurst aus einem Schrank in der Ecke. Morgen muss ich dringend auch den wieder etwas auffüllen. Ich gehe zum Sofa und lasse mich fallen. Der Wolf steht auf und setzt sich dann so, dass er mich beobachten kann. Einen Moment lang mustere ich ihn und überlege, warum er so zutraulich ist.
Er muss Menschen gewohnt sein , denke ich und halte ihm das Ende der Wurst hin. Vorsichtig und nur mit den vordersten Zähnen, zieht er es mir aus der Hand und verspeist es dann recht gemütlich und ohne Hast.
„Willst du hierbleiben?“, frage ich in die Stille. Ein Mitbewohner wäre nicht schlecht. Es kann ziemlich einsam hier draußen sein. Außerdem könnte ich ihn richtig zähmen und vielleicht könnte er so was wie mein Schutzwolf werden. Der Kleine lässt sich nicht von seinem Futter ablenken. „Du kannst hier wohnen, wenn du willst“, rede ich weiter. „Wir könnten ein Team werden.“
Der Welpe hebt den Kopf, um den letzten Rest Wurst zu verschlingen, und schaut mich dann an, während er versucht, mit der Zunge die Fleischfetzen zwischen den Zähnen hervorzuholen.
„Jetzt hast du bestimmt Durst, was?“ Ich stehe auf und hole eine Schüssel, in die ich Wasser aus meiner Flasche für unterwegs kippe. Gierig trinkt er sie komplett leer und schaut mich dann bittend an. „Sorry, mehr hab ich nicht. Ich geh heute auch nicht noch mal raus. Wenn du mehr willst, musst du selbst zum Fluss.“
Ein letzter Blick und der Wolf wendet sich ab. Doch, statt rauszugehen, lässt er sich vors Sofa plumpsen. Einen Moment später schließt er die Augen und schnieft kurz aber laut. Ich beobachte ihn eine ganze Weile, dann fällt mir die Mixtur wieder ein. Ein stechender Schmerz in der Seite hat mich erinnert.
Kurz bevor ich die Salbe verwenden kann, muss die letzte Zutat rein. Der Saft aus den Dornen einer schwarzen Rose. Ich krame in meiner Tasche nach dem kleinen Fläschchen, das ich heute unter Mühen erstanden habe, kann es aber nicht finden. Eine gefühlte Ewigkeit suche ich danach, kippe sogar alles aus und wühle mich penibel durch den wenigen Inhalt, doch die kleine Phiole bleibt verschwunden.
„Scheiße! Wo ist sie?!“, entfährt es mir, woraufhin der Welpe mich wieder ansieht. Mein Blick schweift im Raum umher, auch wenn ich sicher bin, dass sie nur in der Tasche sein kann. „Verdammter Dreck!“ Ohne den Saft wirkt die Salbe nicht so, wie sie soll. Die Infektion wird nur bedingt aufgehalten und die Entzündung breitet sich aus. Ich weiß das, weil ich es schon erfahren musste. Damals, als Cècilia mir gezeigt hatte, wie man die Salbe herstellt, gleich das erste Mal.
Sie hatte nur eine Phiole Rosensaft gehabt und mir die Salbe gemacht. Danach hatte ich mir die Zutaten selbst besorgen müssen, aber genau jenen Saft nicht bekommen. Ich hatte es ohne versucht und war kläglich gescheitert. Cècilia hatte mich dann aufgeklärt, dass der Saft die Komponenten zusammenbringt. Er sorgt dafür, dass die einzelnen Kräuter richtig miteinander harmonieren. Ohne, ist es nichts Halbes und nichts Ganzes. Und jetzt fehlt dieser wichtige Teil. Sicher hab ich ihn irgendwo verloren.
So ein verfluchter Mist! Das heißt, ich werde eine schmerzhafte Nacht haben und muss morgen noch mal losziehen, um neuen zu besorgen. Ich hole also die angefangene Mixtur vom Kaminsims, fülle sie in eine Dose und verschließe sie gut. Zum Glück tut diese Art der Aufbewahrung der Wirkung keinen Abbruch.
Zurück auf dem Sofa schließe ich resigniert die Augen und seufze. „So ein Dreck.“
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„Wo ist der verdammte Wolf?!“, entfährt es mir und ich spüre, wie die Wut überhandnimmt. Es ist nicht das erste Mal, dass er weggelaufen ist, aber bis jetzt war er nie so lange verschwunden.
„Ich hab dir gesagt, behalte ihn auf dem Grundstück“, kommt es tadelnd aber leise von meiner kleinen Schwester.
Mein Blick fliegt zu ihr und sie wird merklich kleiner. „Deine dämlichen Ratschläge kannst du dir sonst wo hinstecken!“, fahre ich sie an und weiß im selben Moment, dass ich unfair bin. Aber gerade ist mir einfach nicht danach, irgendwelche blöden Reden darüber zu hören, was ich hätte besser machen können.
Ich habe den Wolf noch nicht lange, dachte allerdings, dass ich ihn mittlerweile gut im Griff hätte. Dem scheint nicht so zu sein, denn ich stehe hier ohne ihn. Basil, mein nächstältester Bruder, den meist alle Bay nennen, grinst blöde hinter Cara und nimmt meinen wütenden Blick ohne weitere Regung hin. Sie wissen zum Glück alle, was sie tun dürfen und lassen sollten, wenn ich in dieser Stimmung bin.
Jeder der weiß, dass ich um meine Unzulänglichkeiten weiß, würde sagen; änder es doch . So einfach ist das aber gar nicht. Ristan, der älteste von uns und Regent der Stadt, hatte mal einen guten Vergleich. Meine Wutausbrüche sind wie Alkoholiker sein. Man kann nicht einfach damit aufhören. So ist das eben auch bei mir. Wenn ich wütend bin, bin ich es. Da hilft auch durchatmen nicht mehr.
„Geh raus und such ihn. Was anderes bleibt dir nicht übrig“, baut sich nun Bent, auch mein Bruder und zweitältester Sohn meines Vaters, ein. Er hebt die Schultern und fügt an: „Oder du wartest ab, ob er zurückkommt.“
„Und wenn nicht?“, fauche ich und versuche es nun doch mit durchatmen.
„Dann hast du keinen Wolf mehr“, grinst Bay dämlich und bringt meine Wut damit wieder zum Kochen. Ohne Vorwarnung fliegt das Buch, das eben noch neben mir auf dem Tisch gelegen hat, in seine Richtung. Im Flug klappt es auf und wird so gebremst.
Bay kann es abwehren und lacht. „Das hast du auch schon mal besser hingekriegt, En.“
„Halts Maul!“, blaffe ich ihn an. „Halt einfach dein scheiß Maul, Bay!“
„En?“ Cara klingt eingeschüchtert und wieder zwinge ich mich dazu, durchzuatmen. „En, er kommt sicher wieder. Lass ihn eine Nacht laufen. Daròn hat das auch gemacht, als er klein war.“ Daròn ist Ristans Wolf und der Vater von meinem. Und Cara hat vermutlich recht. Es könnte ihm einfach im Blut liegen.
Ich seufze: „Okay. Eine Nacht. Aber morgen werde ich ihn suchen.“
Sie lächelt zufrieden und erleichtert zugleich. „Du findest ihn sicher.“
Ich hebe die Hand und winke ab, dann verlasse ich die Bibliothek. Bays bescheuertes Grinsen muss ich mir nicht weiter antun.
Die Nacht war lang und schlaflos, denn ich weiß, wenn ich den Wolf nicht wiederbekomme, habe ich ein Problem mit Ristan.
Der Winzling war der letzte Welpe, den sein Daròn hervorgebracht hat. Er wird ihn nicht noch mal zur Zucht freigeben, denn der Wolf ist alt und schwach geworden. Meiner ist also sein letzter Erbe.
Normalerweise hätte Ristan ihn selbst behalten und hat ihn mir auch nur höchst widerwillig überlassen. Es war der letzte Wunsch unseres Vaters, dass ich einen Welpen aus der Linie seines Wolfes bekomme und das ist nun mal dieser Winzling gewesen. Der letzte Wurf, der letzte Welpe. Er sollte die Blutlinie der Elbwölfe von Maén fortsetzen und nun ist er weg.
Ich habe die Stadt lange nicht so verlassen gesehen, aber das liegt neben der letzten Jagd wohl auch am Wetter. Früh am Morgen hat es zu schütten angefangen und sämtliche Jäger waren noch vor Sonnenaufgang zurück. Nicht ein Elf ist mir bisher über den Weg gelaufen, dafür aber tatsächlich ein paar wenige, mutige Menschen. Zwei haben mich als Elf erkannt und sind im Dauerregen untergetaucht. Ein anderer war ein Bote, der sich ehrfürchtig verneigt hat und dann lautlos verschwunden ist.
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