Jardins Überraschung spiegelte sich in seinem Gesicht wider.
»Liefert ihn freiwillig aus; dann können wir uns und Euch die Durchsuchung ersparen.« Jardin faßte sich. Als Vertragspartner der Kompanie war er verpflichtet, sich den Anweisungen aus Kalkutta zu beugen. Aber waren nicht der Pfeifer und Ojo auch Vertragspartner? Und sie hatten den Radscha vor der Kompanie gerettet. Andererseits hatte Jardin in erster Linie die Verantwortung für sein Schiff. Er war ratlos. Jetzt fehlte ihm — wie so oft — der verehrte Senor Doktor, der eine solche Situation sicherlich mit Leichtigkeit gemeistert hätte. »Nun, wie habt Ihr Euch entschlossen?«
»Sucht« sagte Jardin barsch. »Ihr werdet nichts finden. Eure Annahme, der Radscha sei hier an Bord, kann nur der Phantasie eines Verrückten entsprungen sein.«
Bate fühlte auf einmal etwas wie Sympathie für den kleinen Kapitän aufsteigen. Im Weitergehen beugte er sich dicht zu dessen Ohr nieder.
»Oder dem Mund eines Verräters«, flüsterte Bate. »Ihr müßt Euch Eure Leute besser ansehen, vor allem die Maats.«
Jardin zuckte zurück. Verflucht! Sollte Sterling deshalb auf Landurlaub gegangen sein? Die Polizisten hielten sich nicht mit einer Visitation der Kajüten auf. Sie wußten, wo man an Bord am besten einen Menschen verstecken konnte. Sie öffneten die Luke des Kielraums und riefen hinunter:
»He, kommt rauf, macht Euch bemerkbar. Wir wissen, daß Ihr da unten sitzt.«
Es rührte sich nichts.
»Eine Leiter«, befahl Bate.
Es war weit und breit keine zu finden.
»Nehmt das Seil dort. Haltet es fest. Ich lasse mich daran hinab.«
Unten konnte man kaum die Hand vor Augen erkennen. Aber einer der Beamten hatte eine Lampe bei sich. Er ließ sie am Seil hinunter.
Jardin biß sich auf die Lippen. Aus!
Dann hörte man Stimmen von unten.
»Gegenwehr ist zwecklos«, sagte Bate.
Ein Gegenstand schwirrte durch die Luft. Ein dumpfer Schlag. Ein Stöhnen. Bate hatte sein Leben ausgehaucht.
Der kleine Jardin sah, daß die Lage ernst wurde. Es konnte jetzt nur noch kurze Zeit dauern, bis die Polizei Siegerin blieb. Wenn es nicht anders ging, würde man einfach schießen. Bate war tot. Grund genug für Jardin, sich die Folgen zu überlegen, die für ihn daraus erwachsen konnten. Es gab nur eine: Verhaftung wegen Beherbergung eines Verbrechers und Versäumnis der Kapitänspflichten.
Alfonso Jardin zog sich Schritt für Schritt von den Beamten zurück. Sie waren viel zu eifrig beschäftigt, als daß sie ihm in diesem Dämmerlicht auch noch ihre Aufmerksamkeit schenken konnten.
Er hielt sich nicht in der Kapitänskajüte auf, raffte nur eilig seine Barmittel an sich, nahm einen bequemen Landanzug aus seiner Kiste, verstaute die Dinge in einem Tuch und begab sich dann an Deck.
Er befahl, ein Boot klarzumachen und ihn zur »Dimanche« hinüberzurudern. Es dauerte nur wenige Minuten, bis das Boot vom Schiff abstieß. -
Tscham war von den Polizisten unterdessen überwältigt und in Ketten gelegt worden. Sein weißer Anzug war zerrissen und beschmutzt. Aber seine Augen waren stolz zum Himmel emporgerichtet.
Die Ketten waren lästig; konnten aber seine Seele nicht umschließen. Und was waren für einen Hindufürsten schon gefesselte Arme? Waren sie nicht alle gefesselt, die Maharatten, Radschas und Peschwas, die von Gnaden der Kompanie und als deren Vasallen lebten? Tscham hatte ihnen eins voraus. Er war nie ein Vasall gewesen und würde auch nie einer werden. Daß seine Freiheit nun am Galgen in Kalkutta enden würde, was machte das der Seele aus? Tscham lächelte.
»Bei Allah, Sayd, was verschafft uns die Ehre deines Besuchs?« fragte Abu Hanufa, als Jardin auf den Planken der »Dimanche« stand. »Que hay?« fragte Jardin. Ibn Kuteiba kam.
»Ah, Senor Capitan, herzlich willkommen«, sagte er. . Abu Hanufa hatte mit Not und Mühe so viel Pidgin-Englisch gelernt, daß er seinen Matrosen die notwendigsten Befehle geben konnte. Aber auch keine Silbe mehr. Er schüttelte dem kleinen Alfonso die Hand. »Kann ich mich mit euch beiden irgendwo unterhalten, wo uns niemand belauschen kann?« Ibn Kuteiba übersetzte.
Abu Hanufa nickte und lud den Gast mit einer Handbewegung ein, ihm in die Kapitänskajüte zu folgen.
Aufatmend ließ sich Jardin in einen Sessel fallen.
In hastigen Worten gab er seinen Bericht. Ibn Kuteiba konnte mit der Übersetzung kaum folgen. Als der Kleine geendet hatte, blickten sich die beiden Araber an. Hanufa sagte etwas. Und Ibn Kuteiba gab es wieder:
»Er meint, daß nicht nur Euch und uns Gefahr droht, sondern auch dem Pfeifer; denn dieser hat ja Tscham schließlich gerettet. Verhaftet man aber den Radscha, weil er ein Verbrecher sein soll, so wird man auch dem Pfeifer den Prozeß machen.«
»Ganz recht«, nickte Jardin. »Ich bin auch nicht nur zu euch gekommen, um euch die Vorfälle zu erzählen, sondern um von hier nach Einbruch der Dunkelheit an Land zu gehen und dem Pfeifer zu folgen.«
Ibn Kuteiba übersetzte.
Abu Hanufa sah gedankenvoll vor sich hin. Dann ließ er sagen:
»Und was wird aus uns, aus meinem Schiff? Sie werden sich nicht damit begnügen, nur bei Euch eine Untersuchung einzuleiten. Diese Angelegenheit wird sich auf die ganze Flottille erstrecken. Was ratet Ihr uns?«
»Ihr solltet auslaufen, sobald ich von Bord bin und bevor Eure Mannschaft von den Vorgängen etwas erfährt. Ich glaube, die Leute sind uns nicht ergeben. Sie halten in Zweifelsfällen zur Kompanie. Es gibt nur eine Mannschaft, auf die man sich verlassen kann. Das ist die Mannschaft Marinas. Ja, und ohne die »Trueno« sind wir aufgeschmissen.« Abu Hanufa stand auf und winkte den beiden, ihm zu folgen. Sie gingen in das Navigationshäuschen, wo die große Karte auf dem Tisch lag. Der Kapitän der »Dimanche« beugte sich darüber und suchte lange. Dann endlich deutete er mit dem Finger auf eine Stadt. Es war Akjab. Er sagte etwas zu Ibn Kuteiba. Der übersetzte:
»Der Kapitän schlägt vor, daß wir bis nach Akjab fahren. Wir können in zwei Tagen dort sein. Wir gehen aber nicht in den Hafen, sondern kreuzen nur auf der Höhe. Vierzehn Tage wollen wir dort auf Euch warten. Wenn Ihr Euch bis zu diesem Zeitpunkt an Land nicht irgendwo bemerkbar macht, fahren wir weiter an der Küste von Siam entlang und versuchen, Marina und Por-quez zu finden. Marina wird dann schon Rat wissen.«
»Bien, amigos, die Idee ist gut. Nur möchte ich euch bitten, etwas länger zu warten. Vierzehn Tage sind, wenn alles gut geht, vielleicht doch ein wenig knapp. Sagen wir zwanzig Tage. Sind wir bis dahin nicht zurück, so tut, was ihr gesagt habt. Marina wird uns hoffentlich zu finden wissen.«
Sie schüttelten sich die Hände. Ibn Kuteiba erbat für den Rest des Tages Landurlaub. Er wurde gewährt.
»Ich werde jetzt an Land gehen, um ein Pferd für Euch zu besorgen«, sagte er zu Jardin. »Dann braucht Ihr Euch am Abend nicht mehr damit aufzuhalten.« »Danke«, freute sich der Kleine. »Ihr seid famose Kerle.«
»Der Schejtan soll denjenigen holen, der sich an dem Pfeifer Sayd vergreift«, sagte der Kapitän mit furchteinflößender Miene auf arabisch.
Michel und Ojo beeilten sich nicht sonderlich. Der Weg von Diamond Harbour bis Kalkutta war nicht einmal siebzig Meilen weit. Sie würden ohnehin nicht früh genug in Kalkutta sein, um am selben Tag noch vom Generalgouverneur empfangen zu werden.
Als der Nachmittag herankam, spürte Ojo unwiderstehliches Verlangen nach einem Becher Wein. Hier, an der belebten Verbindungsstraße, die schon fast ein europäisches Gepräge aufwies, gab es hin und wieder auch europäische Gasthäuser.
»Wer Durst hat, soll trinken«, stimmte Michel dem Verlangen des Gefährten zu. »Ich habe auch welchen. Komm, steigen wir ab. Die Kneipe da sieht gut aus.«
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