»No, Exzellenz«, sagte der eine der Versicherungsleute. »Sir David glaubt nicht an einen Betrug.«
»Ich eigentlich auch nicht«, sagte William. »Aber wir müssen die Angelegenheit aufklären; denn der Generalgouverneur hat mich hierher geschickt, damit ich ihm meinen eigenen Eindruck übermitteln kann.«
In diesem Augenblick hörte man draußen lautes Schimpfen. Dann klangen polternde Schritte. Royce öffnete die Tür und schrie zwei Soldaten und einen Matrosen an, die sich zu zanken schienen.
»Damned, gebt Ruhe! Sonst setzt es Strafdienst.«
»Ich will zum Kommandanten!« rief der Matrose wütend. »Laßt mich durch, ihr blöden Kerle!« »Was will der Mann?« fragte Royce.
»Ich habe eine wichtige Meldung zu machen.« Royce gab den beiden Soldaten einen Wink. Der Matrose schoß auf ihn zu.
»Ihr müßt sofort einen Boten nach Kalkutta schicken, Sir! Die Meldung ist sehr wichtig.« »Wer seid Ihr denn eigentlich?« »Bootsmannsmaat Sterling auf der »Lundi«.«
»Ah«, sagte William und trat vor. »Freue mich, Euch zu sehen, Sterling.« Er wandte sich an die anderen. »Ihr müßt nämlich wissen, daß Sterling ein Vertrauensmann ist, der in unserem Auftrag bei der Flottille angeheuert hat. Es ist immer gut, wenn man sich durch eigene Leute informieren kann.«
Er schüttelte Sterling die Hand.
»Oh, gut, daß ich Euch selbst treffe, Sir Edward«, sagte Sterling. »Wißt Ihr, wer sich seit gestern nachmittag an Bord der »Lundi« versteckt hält?«
»Keine Ahnung.«
Sterling machte eine Kunstpause.
»Ihr ratet es nie und nimmer. Es ist — ein junger Radscha, der sich angeblich verborgen halten muß. Soviel konnte ich wenigstens erlauschen.«
William trat einen Schritt zurück.
»Ihr irrt Euch doch bestimmt nicht?«
»Nein. Ich weiß, daß sie ihn Tscham nannten.«
»Tscham? — Teufel, wenn ich nicht genau wüßte, daß der Radscha von Bihar tot ist, so würde ich Stein und Bein schwören, daß er es ist! Wie ist er zu euch an Bord gekommen?« »Zwei Männer brachten ihn gestern. Wir mußten zu ihrem Empfang das ganze Schiff bewimpeln und drei Cheers ausbringen. Unser Kapitän fiel dem einen um den Hals und nannte ihn amigo. Sie redeten anfangs nur Spanisch miteinander.« »Die Namen wißt Ihr nicht?«
»Nein. Der Kapitän redete den jüngeren mit Senor Doktor an.« William starrte Sterling an.
»Dann ist es tatsächlich der Radscha von Bihar. In ganz Indien gibt es nur einen »Senor Doktor«. Sie nennen ihn auch den Pfeifer. — Well, der Zusammenhang ist mir jetztklar. Befinden sich jener Senor Doktor und der amigo des Kapitäns ebenfalls an Bord?« »Nein, sie brachen heute früh nach Kalkutta auf.« »Sir David«, wandte sich William an den Kommandanten, »Ihr müßt sofort Hafenpolizei hinüberschicken, um den Radscha zu verhaften. Ich glaube, die Herren von Lloyd werden sich mit ihren Untersuchungen noch etwas gedulden müssen.«
»Yes, Exzellenz«, verbeugte sich Sir David leicht und gab seine Befehle.
Jardin stand im Steuerhaus und unterhielt sich mit dem Steuermann. In diesem Augenblick rief eine der Wachen:
»Hallo, Captain, die Kommission scheint zu kommen. Das Boot zeigt die Flagge der Hafenbehörde.«
Jardin eilte hinaus und blieb an der Reling stehen.
»Laßt das Fallreep hinab«, befahl er. Dann wandte er sich an den Ersten. »Laßt die Leute antreten und macht ein Pfeifkonzert, wenn die hohen Herren an Bord kommen. Ich bin gleich wieder da.«
»Aye, aye, Captain.«
Alfonso Jardin eilte in seine Kajüte.
»Mr. Tscham«, sagte er hastig, »kommt mit! Die Kommission ist im Anrollen. Ihr müßt in den Kielraum.«
Tscham nickte. Viel Zeit hatten sie nicht mehr. Jardin ergriff ein Tau, hielt es fest, und Tscham ließ sich schnell daran hinunter.
»All right, ich befreie Euch bald wieder aus diesem Loch. Verliert nicht die Geduld.«
Er warf die Klappe zu und rannte in seine Kabine. Mit hastigen Handgriffen beseitigte er dort die letzten Spuren von Tschams Anwesenheit.
Er erreichte das Oberdeck zur selben Zeit, als die Bootsmannspfeifen mit ihrem ab- und anschwellenden Ton die Gäste willkommen hießen.
Jardin blieb erstaunt stehen, als er sah, daß es sich bei den Ankömmlingen lediglich um untergeordnete Polizeiorgane des Hafens handelte. Inspektor Bate lächelte über den Empfang. Dieser kleine Spanier schien selbst vor einem Mann mit einem weit unter dem Rang eines Kapitäns stehenden Dienstgrad Respekt zu haben, wenn dieser zu den Hafenbehörden gehörte. Geringschätzig sagte der Inspektor:
»Wir haben Auftrag, das Schiff zu durchsuchen, Captain.«
Jardin begriff nicht sogleich. Aber nachdem er sich von seinem ersten Erstaunen erholt hatte, fragte er:
»Das Schiff wollt Ihr durchsuchen? Wozu? Glaubt Ihr, wir haben die »Trueno« und die »Mapeika« in unserem Kielraum versteckt? Seid Ihr nicht einer der Hafeninspektoren?« »Ja. Der Kommandant schickte mich zur Ausführung des Befehls an Bord. Wollt Ihr mir Schwierigkeiten machen?«
»Zeigt mir Eure Beglaubigung vom Generalgouverneur. Mir wurde ausdrücklich versichert, daß die Untersuchungskommission aus höheren Beamten bestehe, die eigens von Kalkutta nach hier geschickt werden sollten.«
»Ich glaube, Ihr habt mich mißverstanden, Mr. Jardin. Wir sind nicht die Untersuchungskommission. Wir sollen lediglich Euer Schiff durchsuchen. Eine ganz alltägliche Polizeiangelegenheit.«
Jetzt stutzte Jardin. Weshalb diese Durchsuchung? Die Zinnbarren waren ordnungsgemäß registriert und entladen worden. Der Kleine wollte Zeit gewinnen. Er .zwang ein breites Lachen auf sein Gesicht.
»So, ihr seid nicht die hohen Herren, die wir erwartet haben. Well, dann muß ich erst meine Leute wegtreten lassen.«
Er wandte sich augenzwinkernd an den Ersten Offizier. »Schickt die Leute in ihre Kojen.« »Aye, aye, Sir.«
Bate ärgerte sich. Er war also doch keine so respektgebietende Persönlichkeit, wie er eben noch geglaubt hatte.
Als das Kommando »Wegtreten!« verklungen war, stieg ein donnerndes Lachen aus den Kehlen der Besatzung, das sich über die Polizisten und ihren Inspektor ergoß.
Bate biß die Lippen zusammen.
»Können wir nun beginnen?« fragte er Jardin.
»Womit?«
»Mit der Durchsuchung natürlich.«
»Doch nicht etwa mit der Durchsuchung meines Schiffes?« »Natürlich. Was sonst?«
»Was sonst? — Sehr einfach. Seht zu, daß Ihr so schnell wie möglich wieder in Euer Boot kommt. Seit wann darf die Hafenpolizei einfach Schiffe durchsuchen, wann es ihr beliebt?« Bate ließ sich nicht einschüchtern.
»Ihr scheint zu vergessen, daß Ihr einen Vertrag mit der Ostindien-Kompanie habt. Solange dieser Vertrag gültig ist, übt die Kompanie die Hoheitsrechte auf Euerm Schiff aus. Was soll also die Weigerung?«
Jardin krauste die Stirn. Er wußte zwar nichts von solchen Rechten; aber er war an den Vertrag gebunden. Die Hafenbehörden waren Behörden der Kompanie.
»Was sucht Ihr eigentlich hier?«
»Ihr sollt einen Verbrecher an Bord haben.«
»Einen Verbrecher? Davon müßte ich etwas wissen.«
»Stellt Euch nicht dumm«, meinte Bate aufgebracht.
»Herr!« fuhr ihn Alfonso an und reckte mächtig die Glieder, um etwas größer zu erscheinen. »In welchem Ton redet Ihr mit einem Kapitän!«
Bate hielt sich zurück. Es war ihm nicht befohlen worden, unnötig grob zu werden.
»Ihr müßt doch verstehen, daß ich nur meine Pflicht erfülle, Captain. Ich habe den Befehl, Euer Schiff zu durchsuchen und muß es tun.—Bitte, habt ein Einsehen.«
»So ist das schon viel besser«, meinte Jardin und stemmte energisch die Hände in die Seiten.
»Macht Euch an die Arbeit. Ihr werdet keinen Verbrecher finden.«
»So?« Bate konnte sich doch nicht zurückhalten. »Seid Ihr dessen sicher, daß sich der Ex- Radscha vonBihar nicht an Bord befindet?«
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