Er bedeutete seinen Freunden, ihm zu folgen, und wandte sich der Treppe zu, die hinunter ins Kabinendeck führte.
Als sie in der Kapitänskajüte saßen, meinte Jardin vorwurfsvoll :
»Ich wollte Euch so gern meinen Leuten vorstellen, Senor Doktor! Die Burschen sollen Respekt vor meinen Freunden haben.« Michel winkte ab.
»Wir sind heimlich hier, amigo. Ihr könnt das natürlich nicht wissen. Ich fürchte, daß man im Hafen auf uns aufmerksam wird, wenn man die Flaggenparade sieht.«
»Ole, dann gebe ich sofort Anweisung, die Wimpel einzuziehen.«
Michel nickte.
»Bueno, Alfonso, tut das.«
Nach ein paar Minuten kam Jardin wieder und setzte sich. Ein fragender Blick traf ihn aus Ojos Augen.
»Was hast du, Diaz?«
»Was werde ich schon haben — Durst natürlich! Auf einem Schiff mit einem spanischen Kapitän wird es doch sicherlich einen anständigen Tropfen geben?« »Immer noch der Alte«, lachte Jardin. »Si«, bestätigte Ojo kurz.
Als die Flasche vor ihm stand, umfaßte er ihren Hals wie eine Kostbarkeit. Dann setzte er sie mit kurzem Schwung an die Lippen und nahm einen tiefen, tiefen Zug.
»Ah, das schmeckt! Kein Vergleich mit dem sauren Zeug, das wir eben in der Schenke drüben getrunken haben.«
»Es wird Zeit«, sagte Michel, »daß ich Euch unseren Begleiter vorstelle, Alfonso. Es ist Tscham, ein indischer Radscha.« Jardin nickte freundlich.
»Willkommen, Senor«, reichte er ihm die Hand.Tscham verstand zwar nichts, wußte die Geste aber richtig zu deuten und schlug in die dargebotene Rechte ein.
»Was, Senor Doktor«, sagte Jardin, »hat er für einen Beruf? - Sagtet Ihr: Radscha?«
»Ja«, bestätigte Michel.
»Was ist das? Ihr müßt verzeihen; aber mit indischen Sitten und Gebräuchen bin ich nicht vertraut.«
Michel übersetzte Alfonsos Worte in die englische Sprache. Und Tscham lachte.
»Oh, er versteht Englisch?« fragte Jardin. »Ich habe so viel gelernt jetzt, daß wir uns in dieser Sprache unterhalten können«, fügte er auf englisch hinzu.
»Well«, sagte Michel, »dann erkläre ihm, Tscham, was ein Radscha ist.«
Tscham lächelte.
»Ein Radscha ist ein indischer Fürst, der so lange regieren kann, wie man ihn regieren läßt.« Die letzten Worte waren mit einer gewissen Bitterkeit gesprochen. »Oh«, sagte der kleine Jardin, »welch eine Ehre für mein Schiff!«
»Ihr werdet diese Ehre lange haben«, warf der Pfeifer ein. »Ihr sollt Tscham vorläufig bei Euch auf dem Schiff behalten und gegen jedermann von seiner Anwesenheit schweigen.« Er erstattete einen umfassenden Bericht über die Erlebnisse im Innern Indiens. Jardin lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit. Als Michel geendet hatte, hieb er mit der Faust auf den Tisch. »So gebärdet sich die Ostindien-Kompanie? Für solch eine Gesellschaft sollen wir Handel treiben, die Meere sauberhalten und uns gegen Flibustier wehren? — Ihr werdet Euch vermutlich gewundert haben, daß weder die »Mapeika« noch die »Trueno« da sind. Ich erwarte jeden Tag eine Untersuchungskommission aus Kalkutta, der ich über das Verschwinden der beiden Schiffe offiziell Meldung machen kann. Es ist eine eigentümliche Sache mit der »Mapeika«.« Er schilderte die Ereignisse, wie sie sich zugetragen hatten. Als er zu Ende war, sagte Michel: »Das sieht Marina ähnlich. Aber das Verschwinden von Porquez und seinem Schiff ist mir so unerklärlich wie Euch.«
»Meine Matrosen sagen, das Gespensterschiff habe ihn geholt.«
»Unsinn«, erwiderte Michel und blickte grübelnd vor sich auf die Tischplatte. Auf einmal sah er auf. Seine Augen waren fragend auf Jardin gerichtet. »Sagt, hatte Porquez nicht die gefangenen Türken noch immer im Kielraum?« »Ja«, gab Jardin zu.
»Dann ist mir alles klar. Die Burschen haben sich befreit, die Mannschaft überwältigt und dann das Weite gesucht. Welch ein Unglücksrabe, der arme Porquez!« »Glaubt Ihr das wirklich?«
»Es ist die einzige natürliche Erklärung. An Gespenster glaube ich nicht.«
Schweigen war in der Kajüte. Jeder hing seinen Gedanken nach. Nach einer Weile sagte Michel:
»Werdet Ihr Tscham verbergen können, solange Ihr im Hafen seid?«
»O ja. Er ist hier sicher.«
»Gut, Alfonso, ich habe Vertrauen zu Euch. Ojo und ich müssen jetzt zuerst einmal nach Kalkutta.«
Kurz bevor sie die Kajüte verließen, entfernte sich eilig eine Gestalt, die in der Nähe der Tür herumgelungerthatte. Der Mann sprang mit großen Schritten über die Stiege ans Oberdeck und beschäftigte sich gleich darauf angelegentlich mit einer Taurolle.
Früh am nächsten Morgen stieß das Boot vom Schiff ab. Michel und Ojo waren zur Reise gerüstet. —
Tscham saß in der Kapitänskajüte. Er fühlte sich noch nicht so ganz sicher. Freilich, gegen den kleinen Kapitän hatte er kein Mißtrauen. Aber die Mannschaft — würden sich die Matrosen nicht wundern, daß ein fremder Gast an Bord war? Waren sie verläßlich? Tscham ging unruhig in der Kajüte auf und ab. Gegen Mittag kam Jardin herunter und sagte:
»Es wird gut sein, wenn Ihr Euch jetzt irgendwo verbergt. Ich erhielt vom Hafenkommandanten gerade die Nachricht, daß die Kommission eingetroffen ist. Wir müssen jede Minute damit rechnen, daß die Herrschaften an Bord kommen.« »Wo wollt Ihr, daß ich mich verberge?«
»Am besten, Ihr steigt so lange hinab in den Kielraum. Ich werde Euch zu gegebener Zeit wieder befreien.«
Es klopfte.
»Maldito, wer will jetzt etwas von mir?«
Er öffnete die Tür einen Spalt. Der Bootsmannsmaat Sterling stand vor ihm. »Was wollt Ihr?« fragte der kleine Alfonso ungehalten. Sterling nahm den Hut ab und meinte:
»Ich habe heute nachmittag wachfrei, Captain. Ich möchte um Landurlaub bitten.« Während er sprach, wanderten seine Augen suchend hin und her.
»Das geht nicht, Sterling, wir bekommen wahrscheinlich in wenigen Minuten hohen Besuch. Da kann ich keinen Bootsmannsmaat beurlauben.«
»Es wird mit dem Besuch nicht so schlimm werden, Captain. Hilger vertritt mich. Niemand wird mich vermissen.«
»All right, dann geht meinetwegen.« »Danke, Captain.«
Jardin warf die Tür zu. Er mochte diesen Sterling nicht. Der Kerl war aufdringlich und hatte falsche Augen.
Im Büro des Hafenkommandanten saßen drei Herren der Versicherungsgesellschaft von Lloyd, die auch in Kalkutta eine Zweigniederlassung hatte. Der eine der Herren fragte den Kommandanten:
»Ihr habt also nicht den Eindruck, Sir David, daß sich die zwei Schiffe aus dem Staub gemacht haben, damit ihre Freunde sie als vermißt melden und die Versicherungssumme einkassieren können.«
Sir David Royce antwortete:
»Das kann ich mir nicht denken. Ja, wenn die »Lundi« und die »Dimanche« verlorengegangen wären und die beiden anderen Schiffe hier aufgetaucht wären, um diesen Schwindel auszuführen, dann hätte ich auch meine Bedenken gehabt; denn die Flottillenchefin ist ein kluges Weib, deren List wir sicher nicht gewachsen wären. Aber so——«
»Trotzdem«, meinte einer. »Wir wollen den Kapitän Jardin genau vernehmen. Bei Lloyd glaubt man nicht an solche Zufälle, zumal alle vier ihre Ladung bei unserer Zweigstelle in Singapur mit einer viel zu hohen Summe versichert haben.«
»Hm«, sagte Sir David. Seine Stirn umwölkte sich. Er mochte diese zusammengewürfelten Leute der Flottille gern. »Ihr könnt natürlich recht haben, Gentlemen. Ich will da auch nicht dreinreden. Aber ich bin nur ein Hafenkommandant und kein Detektiv. Das beste wird sein, ihr laßt euch hinausrudern und hört, was der Kapitän Jardin zu sagen hat.«
Die Tür öffnete sich, und ein vierter Zivilist trat ein. Die Anwesenden erhoben sich höflich. Sir Edward William stand im Raum.
»Nun, sind sich die Gentlemen in ihrer Meinung einig?«
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