»Obwohl ich nur eine Chance von eins zu zehn gegen ihn haben sollte, wie Achmed Serdar sagte?« lachte Michel kühn. Hassan blieb ernst.
»Du gehörst zur Artillerie, während er ein Janitschar ist. Das ist es. Und du bist der Beste, den wir kennen. Das Artilleriekorps wird stolz auf dich sein, wenn du ein gutes Rennen lieferst. Aber wenn du schlecht reitest und schlecht schießt, so fällst du in Ungnade bei der allerhöchsten Majestät. Man wird dich nach Tunis zurückschicken.« »Das ist keine schlimme Strafe.«
»Für dich nicht. Aber wir, die wir dich empfohlen haben ... Allah sei uns gnädig!« »Ist der Gast des Sultans so sehr zu fürchten?«
»Maschallah, schlagen kannst du ihn sowieso nicht, ganz abgesehen davon, daß es eine Unhöflichkeit wäre. Aber wenn deine Jagdbeute zum Schluß nur halb so schwer ist wie die seine, so wird Hassan zufrieden sein.«
In diesem Augenblick richteten sich aller Augen auf einen neuen Ankömmling. Es konnte nicht Michels Gegner sein; denn er war nicht bewaffnet. Seine Kleidung war nicht geeignet dazu, damit durch Dornen und Gestrüpp zu reiten. Es war der Anzug eines reichen Paschas. Er war so groß wie der Pfeifer und kaum viel älter. Er saß mit einer Würde auf dem Rücken seines prachtvollen Pferdes, daß es schon fast wieder lächerlich wirkte. Sein Gesicht war von einem schwarzen, speckig glänzenden Bart umrahmt. Seine kleinen Augen blickten verschlagen und überheblich drein. Es war Cheir Eddin.
Aber Michel nahm das alles nur halb auf. Seine Hände begannen zu zittern. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Er starrte auf den Reiter, der hinter Cheir Eddin erschien: Cheir Eddins Sklave und Bursche zugleich. Alle starrten ihn an.
Dieser Bursche war eine unverschleierte Frau. Und diese Frau war — Marina.
Michel hörte einen Laut hinter sich. Er drehte sich um, und seine Blicke trafen das versteinerte Gesicht Ojos.
Am liebsten hätte er, selbst noch fassungslos, seinem Freund ein warnendes Wort zugerufen; denn es wäre entsetzlich gewesen, wenn der den Taubstummen spielende Ojo in seiner Verwirrung zu sprechen begonnen hätte. Aber Michel sah, daß er die blutleeren Lippen fest zusammengepreßt hielt.
Nun hatte er nur noch den einen Wunsch, daß Marina sie nicht erkannte oder, wenn doch, daß sie sich ebenfalls so beherrschen konnte wie er selbst. Aber Marina blickte nicht dorthin, wo die beiden standen.
»Wenn man vom Teufel redet, ist er nicht weit«, murmelte Hassan Akef, der noch bei Michel stand.
»Die Frau sitzt tadellos zu Pferde«, bemerkte Michel, nur um etwas zu sagen.
»Nach ihrer eigenen Meinung reitet sie besser als Cheir Eddin«, sagte Hassan. »Als er sie vor einem halben Jahr kaufte, beschimpfte sie ihn und sagte, daß sie lieber sein Pferdebursche sein wolle als sein »Pferd«. Und er nahm sie beim Wort. Das war eine Sensation in Istanbul. Die ganze Stadt lachte darüber. Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, daß sie ihm das Leben zur Hölle macht.Trotzdem ist es unglaublich, daß er sie auch heute mitbringt.«
Der Pfeifer hatte zwar eine ganz andere Ansicht darüber als Hassan; aber er behielt sie für sich.
Daß er Marina auf diese Weise finden würde, hätte er in seinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten. So hatte seine Reise durch den Orient hier also praktisch ihr Ziel gefunden.
Die Frage war nur, wie befreite er Marina, und wie konnten sie unbemerkt fliehen?
Es war hier weder der richtige Ort noch die richtige Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Er wurde in diesem Augenblick von seinen Gedanken abgelenkt.
Cheir Eddin war nahe an ihn herangeritten und betrachtete ihn von oben bis unten in beleidigender Weise.
»So«, sagte er verächtlich, »das ist also der große Bairam.«
Michel wußte nicht, daß das Wort Bairam etwa die gleiche Bedeutung wie Nimrod [4]hatte. »Ich bin Abu Hanufa Kapudan«, antwortete er.
»Sicherlich hat der Rejs Effendi eine ausgezeichnete Wahl getroffen, als er dich für dieses Rennen aussuchte statt meiner«, fuhr der andere spottend fort. »Ich bin Cheir Eddin.« Michel überlegte, wie er den offensichtlichen Hohn am besten parieren konnte. Cheir Eddin war immerhin Oberst. Und da Michel hier in aller Augen Hauptmann der Artillerie war, mußte er sich entsprechend verhalten.
»Ich glaube, du hast recht, Cheir Eddin. Der Rejs Effendi weiß genau, daß du den ganzen Wildpark des Sultans abschlachten und mit deinem großen Können den Gast beschämen würdest. Dein Ruhm ist so groß, daß niemand dir gleichkommt.«
»Dein Gegner reitet ohne Sattel, Hanufa Kapudan. Du hast das nicht gewußt, wie? Du bist sicher fremd hier, nicht wahr?«
»Ja, ich bin erst vor kurzem nach Istanbul gekommen.«
Der andere kam näher heran und streckte seine Nase vor wie ein schnuppernder Hund.
»Du stinkst wie ein Christ oder wie ein Jude«, sagte er grinsend.
Das war eine unglaubliche Beleidigung. Aber Michel parierte auch das.
»Welch ein Wunder, daß du alles riechen kannst! Ich wußte nicht, daß Allah dich mit derselben Nase begnadet hat wie einen Iltis.«
Der Vergleich war keine direkte Beleidigung. Er erhielt nur dadurch den Sinn einer Frechheit, daß ein Hauptmann ihn gegenüber einem Oberst gebrauchte.
Cheir Eddin strich sich den speckigen Bart. Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, sagte er: »Nun, wir werden sehen. Ich bin der Überzeugung, daß du deinen Turban zu Unrecht trägst. Du hast sicher denselben Glauben wie mein Pferdeknecht. Ein Hund, ein Schwein und ein Christ saßen zusammen«, begann er mit einem im ganzen Orient bekannten Gleichnis, »da wurde der Christ krank, und Allah sandte das Schwein zu seinem Stamm, um ihn zu vertreten.« Drüben bei den Janitscharen lachten einige über diese Grobheit.
»Die Christin da drüben«, Michel wies auf Marina, »würde sich wohl nicht von einem Schwein vertreten lassen. Habe ich nicht recht, schöne Frau von Andalusien?«
Marina fuhr herum. Mit weit geöffneten Augen starrte sie ihn an. Aber sie erkannte ihn nicht. Wahrscheinlich hatte er sich zu sehr verändert.Da pfiff er. Nicht viel, nur wenige Takte eines spanischen Liedes. Er wollte sie jetzt zwingen, ihn zu erkennen. Dann wußte sie, daß Rettung in der Nähe war.
Die Türken dachten nicht daran, daß die letzten Worte Michels eine besondere Bedeutung haben könnten. Sie waren viel zu bestürzt, daß es jemand gewagt hatte, die Sklavin eines anderen anzusprechen. Das war eine unverzeihliche Beleidigung.
Cheir Eddin legte mit wilder Geste die Hand um den Säbelknauf, erinnerte sich aber im letzten Augenblick, daß Michel hier auf Befehl des Sultans stand. Obgleich Michel einen schweren Fehler begangen hatte, mußte der Oberst die Auseinandersetzung doch vorerst verschieben.
Diesmal lachte niemand, auch keiner von den eigenen Leuten. Michel gab sich alle Mühe, Marina nicht mehr anzusehen.
Glücklicherweise ritt in diesem Augenblick Michels Gegner ins Stadion ein. Michel hatte einen mächtigen Emir erwartet, mit viel Gefolge und kostbar gekleidet. Statt dessen kam ein alter, kleiner, dünner Mann daher, der ein einfaches Wollhemd und enge indische Reithosen trug. Sein Gefolge bildeten ganze zwölf Mann in praktischer Reitkleidung. Der Sattel des Gastes war ein zusammengelegter Woilach, über dem zwei einfache, eiserne Steigbügel hingen. Der einzige Schmuck, den er trug, bestand aus einem weißseidenen Turban, auf dem vorn ein riesenhafter, blutroter Rubin prangte. Sein Gesicht war mongolisch. Und der herabhängende, spärliche Bart reizte zum Vergleich mit einem der großen Mongolen-Khans. Sicherlich war er ein mächtiger Fürst.
Der Emir-el-Osman grüßte vom Pferd herab mit einer tiefen, höflichen Verbeugung. »Nimm die Grüße und die besten Wünsche der Hohen Pforte von den Lippen eines Unwürdigen entgegen, erhabener Freund des Sultans, königlicher Gast meines kaiserlichen Vetters, edler Khan der Tataren.«
Читать дальше