»Ich will dir noch eine Probe meines Könnens geben. Ich will dir zeigen, wie man stehend freihändig genau ins Schwarze trifft.«
Er riß die Flinte hoch und feuerte, wie immer, ohne sichtbar zu zielen.
»Diesmal ging es daneben«, bemerkte ein mit Juwelen behängter Offizier, der von einer anderen Ausbildungsgruppe dazugekommen war. »Wenn ein französischer Husar gegen dich geritten wäre, hätte dich sein Degen durchbohrt, und du wärest jetzt im Paradies auf den Knien einer schönen Huri.«
Drei oder vier andere Offiziere, die ihm ebenfalls gefolgt waren, lachten laut. Aber sie lachten nicht über Michel oder etwa über den Offizier. Sie lachten nur, weil sie sich verpflichtet fühlten zu lachen, da ihr Vorgesetzter selbst auch lachte.
Michel erkannte aus diesem kleinen, aber aufschlußreichen Vorfall, daß der Juwelenbehängte eine ziemlich hohe Stellung innehaben mußte, also eine wichtige Person für ihn war. »Ich glaube eher, der Husar wäre mit der Nase in den Sand gefallen«, antwortete Michel und lud den abgeschossenen Lauf.
»Für einen Tunesier sprichst du gut türkisch. Wenn dein Schießen genauso gut ist — Maschallah, du kannst aber schnell laden«, unterbrach er sich verwundert. »Ich habe nie schnelleres Laden gesehen, Achmed Serdar«, bemerkte Ibrahim respektvoll. Michel riß das Gewehr schon wieder hoch, und der Schuß krachte.
»Halt ein«, schrie der türkische General. »Wenn du ein vornehmer Mann bist, so verspotte uns nicht. Wir sind Offiziere von hohem Rang. Oder willst du uns eine Vorführung geben, wie schnell man Löcher in die Luft schießt?«
»Nein, Achmed Serdar, ich wollte nur demonstrieren, wie ich schießen gelernt habe.« Michel feuerte noch dreimal so schnell wie möglich, und obwohl er gern ohne abzusetzen geschossen hätte, lud er doch vor jedem Schuß neu.
Dann brachte man die Zielscheibe herbei. Alle sahen die Löcher in der Mitte, ganz dicht nebeneinander.
Michel hätte sich vor sich selbst geschämt, wenn die Treffer nicht so gesessen hätten; denn in seinen eigenen Augen hatte er noch keineswegs eine Meisterleistung vollbracht. »Ibrahim«, stellte der Serdar 2 fest, »das ist der beste Schütze nach Cheir Eddin!« »Ist dieser Mann viel besser als ich?« warf Michel ein.
»Er hat nicht deine Fähigkeit beim Laden. Und er muß sorgfältig zielen, doppelt so lange wie du. Aber wenn er die fünf Schüsse abgefeuert hat, so könnte man sie mit einer Kaffeetasse zudecken. Auf zehn Schritte trifft er einen Sperling von der Hüfte aus.« »Friede sei mit ihm!« verbeugte sich Michel.
»Außerdem ist er ein großer Kavallerieoffizier«, fuhr der General gedankenvoll fort. »Kannst du von einem galoppierenden Pferd aus schießen?«
»Ich kann zwar keinen Sperling auf zehn Schritte treffen, aber ich kann im Reiten genauso schnell laden wie eben.«
»Solche Kunststücke stehen bei den Nomaden hoch im Kurs. Willst du sie vorführen?« Er rief einen Soldaten auf einem Pony herbei. Der unbequeme, stuhlähnliche Sattel paßte nicht für Michel und behinderte alle Bewegungen. Aber als er die Fähigkeiten des Tiers ausprobierte, entdeckte er, daß sein Galopp weich und gleichmäßig war. Er ritt geradewegs auf sein Ziel zu und schoß auf dreißig Schritte Entfernung. In einem vernünftigen Sattel und auf einem besseren Pferd hätte er laden können, ohne zuviel Pulver zu verschütten. So wie es jetzt war, ließ er das Pferd im Schritt gehen, um zu laden. Dann versuchte er einen schwierigeren Schuß anzubringen. Er ritt quer am Ziel vorbei und feuerte aus etwa zwanzig Meter Entfernung. Bei diesem Schuß mußte er das Gewehr in einen Winkel von neunzig Grad zum Pferd bringen, wozu es notwendig war, den Oberkörper ebenfalls zu wenden.
Er traf zwar nicht ins Schwarze, aber die Kugel schlug dicht daneben ein. Als er vom Pferd gestiegen war, fragte Achmed Serdar: »Wie heißt du, Effendim?« »Abu Hanufa al Dinaweri.«
»Hast du auch Übung, vom galoppierenden Pferd ein bewegliches Ziel zu treffen, einen französischen Husaren zum Beispiel?«
Der General mußte eine besondere Vorliebe oder einen besonderen Haß auf die französischen Husaren haben. Auf alle Fälle spielten sie in seinen militärischen Äußerungen eine wesentliche Rolle.
»Ich hab's noch nicht bei einem französischen Husaren versucht. Ich schieße nicht auf Menschen, wenn es nicht sein muß. Aber ich habe vom Pferd aus Antilopen gejagt.« »Maschallah, ich bin Serdar des Artilleriekorps, und ich werde dich als Hauptmann einstellen, damit du Rekruten im schnellen Schießen drillen kannst.«
»Allah sei mit dir, Achmed Serdar. Mein Dank ist dir gewiß. Aber stelle mich nicht als Hauptmann ein; denn ich möchte eine freier Mann bleiben.«
»Gut, gut. Du bist auf dem Rücken eines Pferdes zu Hause. Mit einem besseren Tier könntest du selbst Cheir Eddin gefährlich werden.«
»Oh, ich möchte mich für mein Leben gern mit einem so großen Reiter messen.«
»Ich glaube, das kann eher geschehen, als dir lieb ist«, sagte er mit vielsagendem Lächeln.
Michel und Ojo verbrachten die ganze kommende Woche damit, sich die Stadt anzusehen. Michel exerzierte nur an den Vormittagen die Rekruten ein. In diesen Stunden kam er sich in seiner Hauptmannsuniform wie ein Zirkusclown vor. Er, dem aller Drill, alles Soldatische seit je verhaßt war, stand nun selbst — o wundersames Schicksal — vor jungen Männern, um sie das Kriegshandwerk zu lehren.
Glücklicherweise hatte er durchsetzen können, daß er nicht den wahren Rang eines Hauptmanns einzunehmen hatte. Offiziell gehörte er der Armee nicht an und wurde auch nicht auf die Fahne des Propheten vereidigt.Das wußte aber niemand außer Achmed Serdar.
An einem Morgen, als er gerade den weißen Offiziersturban aufsetzte, ließ sich ein einfach, aber vornehm gekleideter Türke bei ihm melden und bat, ihn zu begleiten. Er komme auf ausdrücklichen Befehl des Serdariekrem [3]der Artillerie. Michel folgte ihm.
Ihr Weg endete bei den Ställen des Sultans.
Dort standen bereits fünf herrliche Pferde, die von Stallburschen an den Zügeln gehalten wurden. Solche Pferde hatte Michel noch nie gesehen. Es waren Vollblutaraber, zwei Berberhengste und ein Kazikenpony, schlankbeinige Tiere, frisch getrimmt, denen man ihr Temperament auf hundert Schritte ansah.
»Mein Herr wünscht zu wissen, ob du ein Pferdekenner bist«, begann der Türke, der den Namen Hassan Akef führte. »Reite auf allen Tieren und suche dir dasjenige aus, das du nehmen würdest, wenn du in die Schlacht reiten müßtest oder auf die Jagd.«
Michel und Ojo bekamen Quartiere in einer nah gelegenen Kaserne angewiesen. Ojo, der ständige, stumme Begleiter des Pfeifers, durfte natürlich nicht fehlen.
Als sich die Sonne gen Abend neigte, hatte Michel zwei der fünf Pferde in die engere Wahl gezogen: eine braune Araberstute und einen schwarzen Berberhengst.
Beide waren in der Qualität kaum voneinander zu unterscheiden.
Erst am Abend des nächsten Tages konnte sich Michel endgültig entscheiden. Die Stute war zwar ein vorzügliches Reittier, für einen Jäger und Pferdesportler aber war der Hengst Dschesid gerade das Richtige. Er hatte einen kleinen, rassigen Kopf, rötlich schimmernde Nüstern und große, feurige Augen. Sein Gang war so weich, daß man auch im schärfsten Galopp auf seinem Rücken kaum eine Erschütterung verspürte. Bei Sonnenuntergang gab es für Michel keinen Zweifel mehr.
Hassan Akef schien mit der Wahl zufrieden zu sein. Er führte Michel in die Sattelkammer des Stalles und hieß ihn, sich einen Sattel auszusuchen.
Die Sättel waren reich verziert, mit goldenen und silbernen Beschlägen versehen, einer prunkvoller als der andere. Allein, Michel wußte längst, daß ein türkischer Sattel, auch wenn er sein Gewicht in Gold wert war, der unbequemste Sitz war, den es für einen schnellen und wendigen Reiter geben konnte.
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