»Da sind wir der gleichen Meinung, Cheir Eddin«, antwortete Michel. »Vor dem Rennen hast du es trotz deines niedrigeren Ranges gewagt, mich mit Worten zu beleidigen. Das will ich entschuldigen; denn durch die persönlichen Dienste für den Sultan stehst du in hohen Ehren. Aber keine noch so große Ehrung macht die Beleidigung ungeschehen, die du mir zufügtest, indem du meine Sklavin angesprochen hast.« »Jeder Hund auf der Straße kann eine Unverschleierte anbellen«, sagte Michel scharf. Er hatte keine Lust mehr, diesem widerlichen Kerl Respekt zu erweisen.
»Du bist jetzt mehr als ein Hund«, Cheir Eddins Augen blitzten rauflustig, »sonst würde ich dir von meinem Sklaven die Bastonnade geben lassen. Aber so, wie die Sache jetzt steht...« Er holte plötzlich aus und schlug Michel die Reitpeitsche ins Gesicht. Michels Pferd machte in diesem Augenblick einen Schritt, und so wurde aus dem Schlag eigentlich nur ein Streifen des Gesichts.
Eigentlich hätte ihn Michel jetzt fordern müssen. Er tat es nicht. Der Herausforderer in einem Duell auf Leben und Tod war insofern im Nachteil, als der Geforderte das Recht hatte, die Kampfart und die Waffen zu bestimmen. Das konnte sich Michel nicht leisten, wenn er nicht zuviel aufs Spiel setzen wollte. Er dachte nicht daran, sein Leben wegen der Wut eines mißgünstigen Paschas wegzuwerfen. Nein, wenn schon ein Duell, dann mußte Michel der Geforderte sein.
Hatte Cheir Eddin mit der Reitpeitsche geschlagen, so sollte er es mit annähernd gleicher Münze heimgezahlt bekommen. Michels Hengst machte einen Satz nach vorn. Michel holte aus und schlug ihm die geballte Faust mit solcher Kraft ins Gesicht, daß Cheir Eddin sich nur mit Mühe im Sattel halten konnte.
Sein Zorn steigerte sich augenblicklich zu offener, unbeherrschter Wut. Er riß seinen Krummsäbel aus der Scheide und drang auf Michel ein.
»Steck den Säbel wieder ein«, donnerte die tiefe Stimme des Janitscharen Agassi. »Siehst du nicht, daß Hanufa Kapudan unbewaffnet ist?«
Der Agassi konnte nicht wissen, daß Michels Villaverdische Muskete immer geladen war. Michel hätte den wilden Kerl erbarmungslos aus dem Sattel geschossen, bevor der Streich ihn treffen konnte. Aber Cheir Eddin gehorchte seinem Oberbefehlshaber und senkte den Säbel. »Ich bitte um Entschuldigung, Agassi«, grunzte er mit rot unterlaufenen Augen. »Ich bin nicht gewohnt, daß mich Schweine berühren. Ich verlor die Beherrschung.«
»Der Koran verbietet, daß man seiner Wut freien Lauf läßt«, mahnte sein Vorgesetzter. »Aber, bei Allah, dieser Mann hat dich ungeheuerlich herausgefordert!« Jetzt mischte sich der Rejs Effendi ein.
»Vielleicht ist auch Abu Hanufa nicht daran gewöhnt, daß ihn eine Nilpferdpeitsche berührt«, sagte er.
»Das nächste Mal wird es eine Eselspeitsche sein«, brüllte Cheir Eddin. »Es sei denn, er gibt mir Genugtuung. Willst du mir die Ehre tun, Agassi, dem Sekundanten Hanufas auszurichten, daß ich ihn trotz seines Turbans für einen stinkenden Christen oder Juden halte, daß er der Bastard eines Paria und eines Affen ist, daß er Schweinefleisch frißt und seine Mutter selbst eine Wildsau war, daß ich ihm meine Kurbatsch zu schmecken geben werde, wenn er mir nicht Genugtuung gibt. Genugtuung, bis einer von uns beiden tot ist. Allah, Wallah, Tallah!« Der Agassi nickte ernst.
»Wieviel Stunden gibst du ihm für die Antwort?«
»Wenn er auch nur um eine Spur besser ist, als ich gesagt habe, dann gibt er mir die Antwort sofort. Aber er mag sich vorher erfrischen; denn der Koran gebietet, den Schwachen und Kranken eine Gnade zu gewähren, sogar wenn sie Mißgeburten sind.«
»Achmed Serdar, wirst du dem ehrenwerten Agassi meine Antwort überbringen?«, wandte sich Michel an seinen Vorgesetzten, den Rejs Effendi. »Ja«, sagte Achmed ernst.
»Ich rufe Allah zum Zeugen an, daß Cheir Eddin ein widerlicher Lügner ist und ein großer Esel und daß ich ihm morgen nach Sonnenaufgang zur Verfügung stehe«, hielt Michel seine Gegenrede. Er legte keinen Wert darauf, die Beschimpfungen so auszudehnen wie Cheir Eddin.
»Du hast das Recht, die Waffen zu bestimmen«, sagte Achmed Serdar.
»Gut, ich wähle die Büchse. Und geschossen wird freihändig auf zweihundert Fuß.«
»Dann werft doch gleich mit Kissen auf fünfzig Fuß«, warf einer der Janitscharen verächtlich ein.
»Cheir Eddin ist ein berühmter Scharfschütze«, schaltete sich Achmed Serdar wieder dazwischen. »Mein Auftraggeber gibt ihm damit zur Ehre Allahs und des Propheten die Möglichkeit, seine Schießkunst unter Beweis zu stellen.«
Michel hätte gern auf die Ehre Allahs und des Propheten verzichtet und die Entfernung mit dreihundert Fuß angegeben, wenn es nicht feige ausgesehen hätte. Aber er hatte ja durchaus andere Ziele, als sich von Cheir Eddin erschießen zu lassen. Wahrscheinlich ging das Duell so vor sich, daß der erste Schuß auf ein Kommando abgegeben werden mußte. Bei einer weiteren Entfernung hatte Michel die Chance, daß Cheir Eddin ihn verfehlte. Michel wäre dann durch sein schnelleres Laden im Vorteil gewesen.
»Der Streit begann auf dem Pferderücken«, brummte Cheir Eddin, »so wollen wir ihn auch zu Pferde austragen.«
»Wieso das?« wunderte sich Michels Sekundant. »Wenn ein Effendi den anderen Effendi im Bett seiner Frau überrascht, muß dann das Duell vielleicht im Bett ausgefochten werden?« »Die klassischen Turniervorschriften verlangen von den Spahis, daß sie ihre Händel zu Pferde austragen«, behauptete Cheir Eddin.
Es mußte etwas Wahres daran sein; denn auch einige Angehörige des Artilleriekorps nickten zustimmend zu seinen Worten. Zu allem war Michel eben doch nur Hauptmann, und die eigenen Kameraden zeigten wenig Lust, sich zu sehr für ihn einzusetzen. Niemand wollte es um eines Fremden willen mit dem Agassi verderben.
»Wir beugen uns den Wünschen Abu Hanufas«, nahm jetzt der Agassi wieder das Wort. »Aber die beiden Gegner sollen nicht wild darauflos feuern dürfen, sondern müssen bei jedem Schuß das Kommando abwarten, damit beide Zeit zum Laden haben.«
»Bei Allah«, empörte sich der Rejs Effendi. »Einem solchen Vorschlag werde ich nie meine Zustimmung geben. Das schnelle Laden ist das wichtigste im Kampf, es ist ein Teil des Waffenhandwerks und der Stolz aller Spahis. Das Feld soll nicht zweihundert Fuß groß sein, sondern tausend Schritte. Die Gegner mögen reiten und schießen, soviel sie wollen. Sie dürfen das abgezeichnete Kampffeld nicht verlassen. Das wird ein Schauspiel sein, das sich anzusehen lohnt!«
»Das ist ein großartiger Vorschlag, Achmed Serdar«, rief ein begeisterter Pascha. »Cheir Eddin«, wandte sich der Agassi an seinen Mann, »nimmst du diesen Vorschlag an?« »Ich beuge mich jeder Regel, die ihr, würdige Paschas, :für gut haltet«, erwiderte Cheir Eddin hochnäsig.
»Nimmst du ebenfalls an, Hanufa Effendim?«, fragte Michels Sekundant. »Ja, Achmed Serdar.«
»Dann brauchen wir nur noch die näheren Bestimmungen zu treffen.«
Die Paschas, die Generale, alle, die das Stadion noch nicht verlassen hatten, drängten sich heran. Für diese Leute kam jetzt der interessanteste Teil der Forderung. Es war ihnen sehr gleichgültig, ob Michel morgen noch am Abendgebet würde teilnehmen können oder nicht. Es gab zwar ein
paar, die es hofften — schon um des Ruhms ihres Artilleriekorps willen. Aber die einzigen Menschen, die jetzt um den Pfeifer bangten, waren Ojo, Marina und wahrscheinlich auch Horuk. Da hatte Michel einen Gedanken. Seine Ausführung erschien ihm im ersten Augenblick zwar phantastisch; aber er sprach ihn dennoch aus:
»In den alten Zeiten, als sich die Ritter Zweikämpfe lieferten, herrschte der Brauch, daß dem Sieger auch die Rüstung des Besiegten gehörte. Zwar tragen wir heute keine Rüstungen mehr; aber wir haben Gewehre und andere Dinge, die wir dem Sieger überlassen könnten.« »Das ist kein schlechter Gedanke«, stimmte der Rejs Effendi zu.
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