Michels Hengst Dschesid brach plötzlich nach rechts ab und galoppierte im Zickzack geführt, über den offenen Plan. Die Sporen des Pfeifers brachten ihn aber schnell wieder aus der Reichweite der feindlichen Kugel. Eddin setzte die Flinte ab und ritt an.
Michel mußte den Gegner verwirren. Das war klar; denn sein Pferd war nicht geschult, mitten im Galopp plötzlich wie angenagelt stehenzubleiben. Michel mußte im Reiten schießen. Und das war ungleich schwieriger.
Er ritt eine Kehre, ließ Dschesid die Zügel frei, richtete sich in den Bügeln auf, nahm festen Knieschluß und stürmte auf den Feind zu.
Cheir Eddin sah ihn kommen. Wieder stand sein Hengst plötzlich still. Er legte an, um den Heranstürmenden mit einer, wie er glaubte, sicheren Kugel zu empfangen. Bevor er abdrückte, krachte Michels Schuß. Die Kugel riß ihm den Turban vom Kopf. Laut wieherte der Rappe.
Verblüfft griff sich Cheir Eddin an den Kopf. Michel hätte ihn mit dem nächsten Schuß erledigen können.
Aber die Zuschauer beobachteten natürlich jede Phase des Kampfes mit höchster Aufmerksamkeit. Sie mußten den Eindruck gewinnen, daß Michel nachlud. Und so setzte er die Büchse ab, schlug einen Bogen und ritt im schärfsten Galopp davon.
In diesem Augenblick witterte Cheir Eddin seine große Gelegenheit. Ein erstklassiger Schütze braucht auf ebener Erde im Stand mindestens fünfzehn Sekunden, um wieder zu laden. Jetzt brauchte er seiner Meinung nach nur noch auf Schußweite an den Verfolgten heranzukommen, dann hatte er gesiegt. Einen Fehlschuß würde er von seinem stehenden Rappen aus bestimmt nicht tun.
Wie ein Rasender ritt er hinter dem Gegner her.Am Ende des Feldes hatte Michel gehalten und gewendet. Er hantierte an seiner Flinte.
Cheir Eddin war heran. Er brachte seinen Hengst zum Stehen, zielte und — — — da flog Michels Muskete hoch. Der Schuß krachte im selben Augenblick.
Cheir Eddin ließ mit einem Aufschrei die Büchse fallen. Sein rechter Arm hing leblos herunter. Die Kugel hatte den Knochen getroffen und war darin steckengeblieben. Langsam glitt Cheir Eddin vom Pferd und blieb liegen. Michel kam heran und hielt vor dem Besiegten.
»Ergibst du dich, Cheir Eddin? Oder soll ich dir eine Kugel ins Gehirn jagen?«
»Ich gebe mich geschlagen, Abu Hanufa«, kam es leise, aber klar, von den bärtigen Lippen des
Janitscharen.
»Und du schwörst bei Allah und dem Bart des Propheten, daß du, wenn ich dich schone, keine Rache für die Niederlage üben wirst? Daß du, sobald dein Arrn eine längere Reise erlaubt, die Stadt verläßt und solange nicht zurückkehrst, wie ich noch hier bin?« »Ich schwöre.«
»Und daß ich die eingesetzten Preise voll und ungeschmälert erhalte?« »Ich schwöre.«
»Gut. Dein Gewehr kannst du behalten. Du siehst, daß man damit doch nicht gewinnen kann. Und jetzt werde ich deine Freunde rufen, damit sie dich vom Feld tragen.« Michel winkte mit beiden Händen. Der Emir-el-Osman, die Sekundanten und der Arzt bestiegen ihre Pferde und sprengten heran.
»Was hast du zu sagen?« fragte der Emir den Verwundeten. »Ich habe das Duell verloren, o Herr, und bin der Gnade des Siegers ausgeliefert.« »Allah segne dich, Hanufa Effendim«, sagte der Agassi. »Ich danke dir, daß du das Leben meines Obersten geschont hast.«
Der Arzt beschäftigte sich jetzt mit Cheir Eddins Arm. Michel riß die Augen weit auf vor Entsetzen über diese Operation.
Der Arzt tastete mit seinen schmutzigen Fingern in der blutenden Wunde nach der Kugel. Als er ihre Lage erkundet hatte, setzte er ein dolchartiges Messer an und schnitt darauflos, bis er sie freigelegt hatte. Mit demselben Messer stocherte er dann auf dem Knochen herum, um sie »herauszuholen«.
Michels Arztseele sträubte sich, das mit ansehen zu müssen.
Und er bewunderte Cheir Eddin wie einen Helden. Der Mann verzog nicht eine Miene, obwohl er Schmerzen erleiden mußte, die ein ,Giaur« wohl kaum ertragen hätte. Die Chirurgie im Reiche des Sultans war unglaublich primitiv.
Es zuckte Michel in den Fingern, selbst Hand anzulegen. Es war schließlich sein ureigenstes Handwerk. Aber er machte sich klar, daß man sich vielleicht über sein fachliches Können wundern würde. Man bewunderte ihn jetzt schon viel zu viel. Und zu viel Bewunderung konnte unter Umständen ins Gegenteil umschlagen. — Der Stellvertreter des Sultans, der Emir-el-Osman, sagte jetzt:
»Ich gebe hiermit bekannt, daß Abu Hanufa nach den Regeln dieses Duells der Sieger ist und bestätige, daß er die gewonnenen Preise zu Recht erhält. Friede mit allen!« Damit ritt er von dannen. Sein Gefolge schloß sich ihm an.
Der Agassi war der Rangnächste. Aber da Cheir Eddin zu seinem Ressort gehörte, blieb er noch, bis alles geregelt war. Er schaute sich nach Marina um. Aller Augen folgten seinem Blick. Cheir Eddin sagte:
»Marina, ich habe dich verloren. Du bist nun nicht länger meine Sklavin.« Marinas Inneres war in Aufruhr. Sie durfte auch jetzt noch mit keiner Miene verraten, was in ihr vorging und daß sie und Michel alte Bekannte waren. Ihre Handflächen waren naß vor Aufregung. Aber sie hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. Noch war sie in den Augen aller eine Sklavin.
»Hörst du nicht, was ich gesagt habe?« fuhr Cheir Eddin sie ärgerlich an.
»Wie du können wagen, anzureden mich. Ich Sklavin von Hanufa Effendi. Du beleidigen meinen Effendi. Du tun dasselbe, wofür du haben gefordert Effendi zu Duell«, sagte Marina mit ihren wenigen Brocken Türkisch, die sie mittlerweile gelernt hatte. Es genügte; denn jeder verstand, was sie meinte. Cheir Eddin rollte die Augen.
»Maschallah, wunderst du dich, daß ich sie in unserer Wette gesetzt habe, Hanufa Effendim?« sagte er zu Michels Überraschung. »Wenn du klug bist, dann schneidest du ihr die Kehle durch, bevor sie dich mit ihren Hetzereien und Schimpfreden zum Wahnsinn treibt, die Hexe.« Marina war immer noch ängstlich darauf bedacht, den Schein zu wahren, damit nicht im letzten Augenblick noch etwas schief ging. So fuhr sie starren Gesichtes zu Michel gewendet in derselben Art fort:
»Du gestatten jedem Esel, mich ansprechen, ohne daß er haben deine Erlaubnis? Bist du ein Mann oder sein du ein Eunuch, der sich läßt so etwas gefallen?« »Du Großmutter des Schejtans!« fuhr Eddin sie an.
»Cheir Eddin«, antwortete sie kalt, »ich nicht länger deine Sklavin. Wenn Kehle durchschneiden, dann deine Kehle. Du bald Kehle durchschneiden. Nicht warten bis zum nächsten Duell. Dann andere Arm auch kaputt. Und du nicht mehr können durchschneiden Kehle.«
Cheir Eddin ballte die Faust seines gesunden Armes und machte einen Schritt auf sie zu. Aber dann winkte er lässig ab und sagte zu Michel:
»Da hörst du, wie sie ist. Ich habe dich vor ihr gewarnt. Wenn du sie leben läßt, so nährst du eine Schlange an deinem Busen, die dich eines Tages aus Dank für das Futter, das du ihr gegeben hast, vergiften wird.«
Er kletterte auf sein Ersatz-Pferd, mühsam, unterstützt von einem seiner schwarzen Sklaven, und ritt aus dem Stadion. Der Rappe gehörte jetzt Michel.
Fast alle Gegner hatten das Feld geräumt. Um Michel standen nur noch die Freunde von der Artillerie versammelt. Sie erdrückten ihn fast vor Begeisterung über seinen Sieg. Michel konnte es kaum erwarten, sich mit Marina zu entfernen; aber die Kameraden dachten nicht daran, seine Gesellschaft jetzt zu entbehren. Sie wollten den Sieg gebührend feiern. »Reite zu den Ställen«, sagte er darum zu Marina im Ton des Herrn, der mit seinem Sklaven spricht, »gib Cheir Eddins neuem Burschen dein Pferd wieder und komme dann in mein Quartier.«
»Ja, erhabener Effendim«, sagte sie mit einem Lächeln, das Michel verriet, daß die Sklaverei bereits von ihr abgefallen war.Achmed Serdar schien sich über sie zu ärgern. Aus welchem Grund, das vermochte er wahrscheinlich selbst nicht zu sagen.
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