Marina hastete auf die Kommandobrücke. Sie wartete noch immer auf eine Antwort von der »Mapeika«. Bebend vor Zorn stellte sie fest, daß Porquez an Stelle eines Flaggensignals sein Schiff einfach auf den alten Kurs zurückbrachte. Und fassungslos war sie, als sie gewahrte, daß die »Lundi« und die »Dimanche« dem Alten folgten. Drohend ballte sie die Fäuste. »Ihr Feiglinge! Ihr Verräter!« zischte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Alles in ihr war Aufruhr, war flammende Empörung. »Amigos! Amigos!« schrie sie über das Schiff. »Kommt alle her, kommt heran, ihr Teuren, meine geliebte Mannschaft soll wählen, ob wir die Burschen da drüben allein angreifen und in die Hölle schicken, oder ob wir genauso feige ausweichen wie unsere drei Trabanten.«
Die Leute standen an der Reling und starrten hinüber zu den Begleitschiffen. Wut war in den Augen der meisten über den Abfall der companeros. Den klügeren allerdings gab es zu denken, daß auch die »Lundi« die »Trueno« im Stich ließ. Schließlich war Capitan Jardin einer der ihren. Aber sie kamen nicht dazu, den Gedanken weiter fortzuführen, denn Marinas Stimme störte sie auf.
»Wollen wir angreifen, amigos?«
Die ehemaligen Piraten schwangen schreiend die Messer. Als sich die Sonnenstrahlen im blitzenden Stahl der Klingen brachen, verloren auch die letzten ihre Überlegung. »Arriba la Senorita Capitan! Viva! Viva!«
Die Kanoniere stürmten an ihre Geschütze. Die anderen machten die Enterbrücken klar und kletterten an die Wanten. Die Fahne der Kompanie wurde eingezogen. Und kurz darauf knatterte das schwere Banner Marinas über den Toppen.
Der Funke der Kampfeslust sprang zuletzt auch auf Senor Virgen über. Er drehte das Rad, ließ alle Segel setzen, und dann flog das stolze Schiff hinter den fliehenden Feinden her. Es war eine wilde Jagd. Die flaggenlosen Schiffe standen in der Schnelligkeit der »Trueno« nicht viel nach. Immer weiter entfernten sich Verfolgte und Verfolger von dem Verband. In entgegengesetztem Kurs segelten sie nach Süden, wieder in die Straße von Malakka hinein. — »Man kann ihr nicht helfen«, ließ Kapitän Porquez zu Jardin signalisieren. »Wir hätten sie nicht im Stich lassen dürfen«, antwortete Jardin.
»El Silbador wird uns recht geben«, winkte die »Mapeika« zurück. — Es wurde Abend. Die Schiffe setzten ihre Positionslampen. Die glühenden Punkte krochen langsam nach Norden; als es später wurde, mußten sie sogar anfangen zu kreuzen, da der Wind sich drehte.
»Es wird eine lange Fahrt werden«, sagte Porquez zu Don Hidalgo, der am Steuer stand. »Bueno, Capitan, ich habe so etwas in der Nase wie einen Sturm. Zwar bin ich noch nicht in diesen Breiten gefahren; aber eine alte Wasserratte riecht so etwas. Was meint Ihr dazu?« »Gar nichts«, sagte Porquez. »Vielleicht habt Ihr recht. Auch ich kenne den Indischen Ozean nicht. Aber die »Mapeika« ist ein starkes Schiff. Wir werden jedem Sturm gewachsen sein, denke ich.«
»Fernando!« rief Don Hidalgo einem seiner Leute zu, »komm her und übernimm das Steuer. Ich will mich aufs Ohr legen. Wenn du Anzeichen für einen Sturm bemerkst, wecke mich sofort.« »Si, si, Don Hidalgo. Schlaft Euch ruhig aus.« Don Hidalgo nickte und gab das Steuer an Fernando ab. Als er mit Porquez hinunter in den Kajütengang stieg, fragte ihn der Kapitän: »Haben die Gefangenen Wasser und Essen bekommen?« Don Hidalgo bejahte.
»Ihr füttert sie viel zu gut, die Lumpen. Dieser Mustapha wird trotz der schlechten Luft im Kielraum alle Tage fetter und dreister. Ihre Verwundungen sind auch geheilt. Sollten wir nicht versuchen, sie bei nächster Gelegenheit zu verkaufen?«
»Demonio, Ihr seid wohl wahnsinnig! Sind wir anständige Christenmenschen, oder sind wir Heiden? Ich verkaufe keine Menschen! Es ist eine Schande, an so etwas überhaupt zu denken!« Don Hidalgo blieb hartnäckig.
»Sollen wir sie denn ewig mit uns herumschleppen? Wir könnten einen kleinen Abstecher machen — nach den Andaman-Inseln — und sie dort aussetzen.« Porquez schüttelte den Kopf. »Aber was soll mit ihnen werden?«
»Wir können sie in Kalkutta heimlich laufen lassen. Offiziell geht das nicht, wie Ihr von unserem letzten Versuch beim Oberrichter wißt. Als ich mit Sir Impey vor dem Auslaufen über ihren Verbleib unterhandelte, sagte er, daß wir sie bei nächster Gelegenheit ins Meer werfen sollten, um sie loszuwerden. Aburteilen konnte er sie nicht, weil wir dann hätten Zeugen sein müssen, wobei zur Sprache gekommen wäre, daß wir auch mal Seeräuber waren. Das heißt, daß wir uns nach englischem Gesetz hätten selbst an den Galgen liefern müssen, um die verdammten Türken loszuwerden. So jedenfalls belehrte mich der Oberrichter.« Don Hidalgo ballte die Fäuste.
»Ich könnte sie eigenhändig, einen nach dem anderen, hübsch langsam erwürgen. Und meine Leute würden sich ebenfalls ein Vergnügen daraus machen, sie in die Hölle zu befördern. Und Ihr wollt sie laufen lassen! Denkt Ihr nicht an die Gefahr, die sie für uns bilden, wenn sie am Leben und in Freiheit bleiben? Sie werden versuchen, die »Mapeika« wieder in ihre Hände zu bekommen. Wir würden dauernd mit irgendwelchen von ihnen provozierten Zwischenfällen rechnen müssen, solange unser Haupthafen Kalkutta ist.«
Porquez schwieg. Als sie vor der Tür der Kapitänskabine standen, meinte er:
»Ich verstehe Euch gut, Don Hidalgo. Aber ich möchte diese Burschen nicht auf mein Gewissen laden. Vielleicht treffen wir diesmal den Pfeifer in Kalkutta. Er wird sicher einen Ausweg wissen.«
»So wollt Ihr sie also wirklich den ganzen Weg mit zurückschleppen!«
Porquez zuckte die Achseln und sagte »Buenas noches, Don Hidalgo« und verschwand in seiner Kabine.
Mitternacht war vorüber, als die ersten Böen über die See jagten. Es wurde schnell stürmisch.
Wolken ballten sich zusammen und fraßen das Licht der Sterne. Von drei Seiten zogen schwere Gewitter auf. Mit gierigen Zungen leckten die grellen Blitze nach den drei Schiffen.
Porquez und Don Hidalgo standen völlig durchnäßt auf ihren Posten.
Nach einer Weile winkte Porquez lässig ab und murmelte vor sich hin:
»Nur ein Ausläufer — wird bald vorbei sein.«
Der Sturm erfüllte niemanden mit Sorge.
Im Kielraum wurden die Gefangenen durch das Schlingern des Schiffes hin und her geworfen. »Au!« schimpfte Mustapha, »kannst du nicht aufpassen, du Sohn einer Kuh? Kannst du deinen hornigen Schädel nicht woanders hinhalten?«
Muras Rejs stöhnte und fuhr sich mit den gefesselten Händen zur Stirn, wo sich eine große Beule bildete. Die Ketten rasselten.
»Dein Kopf ist auch nicht gerade weich, Mustapha Bej. In dieser Finsternis kann ich nicht sehen, in welche Richtung du mit deinem Kopf zu schlagen beliebst.«
»Du hast auch bei hellstem Sonnenschein noch nie mit offenen Augen in die Welt geblickt. Es ist also ganz gleich, ob ich dich jetzt ausschimpfe oder später.«
Abbas mischte sich ins Gespräch. Er hatte allen Respekt vor seinem früheren Herrn verloren; denn Mustapha beanspruchte auch hier im finsteren Kerker, wo sie alle mit den gleichen Ketten angeschmiedet waren, noch immer, daß man ihn mit Bej ansprach.
»Schweig, Mustapha«, knurrte er wütend. »Durch dein Geschimpfe kommen wir weder frei, noch geht es uns besser. Ich schätze, es ist hoch an der Zeit, einmal etwas dafür zu tun, daß wir die »Mapeika« wieder in unsere Hände bekommen! Vierzehn Mann sind übriggeblieben. Mit Allahs Hilfe könnten wir also das Schiff führen.«
»Ja, ja, ja, du bist ein großer Schlaukopf! Du bist so klug, daß dich der Prophet hätte zu seinem Nachfolger madien müssen! Deine Ideen sind wunderbar! Nur willst du mir vielleicht sagen, wie wir die Ketten von unseren Hand- und Fußgelenken kriegen sollen?«
Mustapha erstarrte plötzlich. Er fühlte, wie ein Arm über seinen Nacken rieb. Er fühlte den Ellbogen dieses Armes, den Unterarm, den Handrücken und dann die Finger. Da waren keine Ketten.
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