Das Mondlicht wurde immer heller.
16
Tunatatschi hatte noch vor dem Transport der Kanonen seine treuesten Krieger um sich versammelt. Lange sprach er mit seiner gutturalen Stimme zu ihnen.
»Und, meine Brüder«, endete er dann, »wenn ihr seht, daß es Hassans Feuerrohren gelungen ist, den Sieg zu erringen und die Weißen auf den Schiffen zu vernichten, so stürzt euch auf die Araber und schlagt sie alle tot. Wenn Hassans Schiff morgen früh an die Küste kommt, werden wir ihn und seine Männer mit Blumenranken begrüßen, derweil ein Teil von euch, hinter Gebüsch verborgen, die Blasrohre ansetzt, um sie zu erschießen. Dann sind wir die Herrscher.
Dann haben wir die Kanonen, und dann werden wir mit den Schiffen, die übriggeblieben sind, ausziehen, um die Welt zu erobern.«
In seiner Stimme war Feuer. Und auch die Ältesten des Stammes, die Väter des Rats, spürten nicht den Größenwahn in seinen Worten. In seiner Rede hatte er die Gestalten längst vergangener Epochen beschworen, hatte beschrieben, wie sie von den Weißen ausgerottet worden waren, und wie es nur wenigen gelang, diese Insel hier zu erreichen.
Wie ein moderner Politiker hatte er die Phrasen der Freiheit und Rache, von Heldentum und Sieg gebraucht. Und so geschah das Entsetzliche denn.
Zuerst waren die Eingeborenen willige Helfer der arabischen Kanoniere. Sie schleppten Kugeln herbei, brachten Lunten, trugen Pulverfässer während der Erwiderung des Feuers von einem Platz zum anderen, um sie vor Explosionen zu bewahren.
Sechzehn Kanonen standen zwischen den Hügeln und spien Tod und Verderben. Hinter jeder Bedienungsmannschaft aber lauerte der Meuchelmord.
Wenn sie drüben auf den Schiffen einen Treffer anbrachten, jubelten sie und freuten sich und dankten Allah.
Und die Eingeborenen freuten sich mit ihnen, schlugen ihnen auf die Schultern und hatten in der linken Hand bereits den vergifteten Pfeil, um ihn den bisherigen Freunden in die Haut zu bohren.
Dann ging die Schlacht ihrem Ende zu. Fast alle Kanonen waren ausgefallen. Nur die eine oder andere feuerte noch.
Aber die Toten neben den ausgefallenen Geschützen waren nicht alle das Opfer der gut gezielten Schüsse der »Trueno«. Die meisten hatten verkrampfte Gesichter. Irgendwo an ihrem Körper gab es eine kleine, unbedeutende Wunde, durch die das Pfeilgift aus Freundeshand ins Blut gedrungen war.
Als die »Trueno« um die Biegung des Flusses fuhr, gab es keinen lebenden Araber mehr.
Da Tunatatschi der festen Überzeugung war, daß er gesiegt hatte, ließ er seine Krieger zusammenrufen.
»Der erste Teil der Arbeit ist getan«, sprach er und deutete auf die toten Leute Hassans. »Nun fleht die Götter an, daß sie euch morgen eine ebenso sichere Hand geben. Der Sieg ist unser!«
Ein uralter Mann, ein Greis ließ sich von zwei Jungen in den Kreis geleiten und hob die Hand zum Zeichen, daß er sprechen wolle. Mit zittriger Stimme wandte er sich an die Versammelten.
»Ich habe euerm grauenvollen Spiel zugesehen. Ich will nicht darüber rechten, ob ihr die Kampfgefährten zu Recht tötet oder nicht. Aber eine Frage habe ich an den König unseres Volkes: was tut Tunatatschi, wenn das Schiff, das soeben fortgefahren ist, Sieger bleibt über Hassan, den Händler?«
»Es kann nicht mehr siegen«, schrie Tunatatschi empört. »Es hat nicht mehr die Kraft, sich mit einem ausgeruhten Adler zu messen. Hassan wird es zu den Fischen auf den Grund des Meeres schicken.«
»Gut, gut«, zeterte der Alte unzufrieden. »Aber was, wenn es nicht hinabtaucht?«
»Aaahh! Schweig, du alte Unke«, rief Tunatatschi, denn er wußte keine Antwort auf diese Frage.
Bis zu diesem Augenblick hatte er überhaupt nicht mit einer solchen Möglichkeit gerechnet.
»Ich schweige nicht; denn die Dämonen befehlen mir zu reden«, hub der Alte mit kreischender Stimme wieder an. »Du hast viele Fehler gemacht, Tunatatschi. Du sprachst davon, daß wir die Schiffe der Weißen erobern könnten, um die Welt mit ihnen zu unterjochen. Aber was ist nun aus diesem Plan geworden? Da — da liegen sie. Eines ist halb versunken und das andere steht in hellen Flammen. Das dritte wird nach deinen eigenen Worten zu den Fisdien gehen. Wo bleibt die Eroberung der Welt?«
»Ich habe Vorsorge getroffen«, erwiderte der König der Insel mit überlegener Stimme. »Wir werden die Schiffe da vorn wieder flott machen. Denkst du nicht an den Weißen, den meine Tochter behext hat, damit er bei uns bleibt? Er wird uns zeigen, wie man ein Schiff repariert.«
Beifälliges Murmeln erhob sich im Kreise.
»Wo ist er? — Zeig ihn uns! — Sie haben ihn doch geholt! - Wo ist er?«
Schweigen ringsum.
Alles starrte auf den Häuptling.
Und jetzt durchzuckte diesen ein furchtbarer Schreck.
War nicht Taitscha auf dem Schiff, das soeben zum Kampf mit Hassan auslief? Was würde aus den beiden werden, wenn das Schiff versenkt wurde?
Er hatte plötzlich Angst um seine Tochter. Im Eifer des Kampfes und im Taumel des bevorstehenden Sieges hatte er ihr Schicksal vergessen. Erst jetzt, nach vollbrachter Tat, wurde er wieder daran erinnert.
Er blickte mit unruhigen Augen in die Runde.
Er starrte in die dumpfen Gesichter seiner Krieger.
Oberall war Ratlosigkeit.
Nirgends konnte er einen Funken Hoffnung auf den versprochenen Sieg erkennen.
Nur die Stimme des Alten kreischte weiter.
»Wo ist sie? Sag uns wo sie ist, deine Tochter Taitscha! Sie wird mit untergehen! Sie wird ein Fraß der Fische werden, ein Futter, das du ihnen selbst vorgeworfen hast, hihihi!«
Einer der Krieger deutete plötzlich hinüber zu dem brennenden Schiff. Tunatatschi folgte mit den Blicken der
Richtung seines Fingers und erkannte zwei Gestalten, deren Umrisse sich deutlich gegen die Flammen abhoben. Diese Gestalten bewegten sich auf sie zu. Die vordere lief und zerrte die andere hinter sich her.
Dann waren sie heran. Es waren Taitscha und Fernando.
Der Häuptling stieß einen Jubelruf aus, und der Alte schwieg.
»Siehst du nun, daß ich es richtig gemacht habe?« wandte sich Tunatatschi triumphierend an ihn.
Aber der Alte dachte nicht daran, diese Meinung zu bestätigen.
»Tragt mich nach Hause«, krähte er die beiden Krieger an, die ihn zuvor schon in den Kreis gebracht hatten.
»Die Arbeit ist getan«, sagte Tunatatschi, der jetzt neben seiner atemlosen und völlig durchnäßten Tochter stand, »wir können uns alle zurückziehen. Meine Weisungen für morgen habe ich gegeben.«
17
Als es tagte, erwachte das erste Leben auf der »Trueno«. Nach dem Kampf mit Hassans Schiff waren die Männer dort vor Übermüdung zusammengesunken, wo sie gerade standen.
Nur Ojo hatte unablässig nach dem Pfeifer gesucht, ohne ihn indessen zu finden.
Es waren viele gefallen. Fast zwanzig Tote, darunter viele furchtbar verstümmelt, lagen auf den Planken.
Jardín blinzelte in die ersten Strahlen der Sonne. Dann fielen seine Blicke auf Ojo.
»Was suchst du, Diaz? Zählst du die Toten? Oh, diese Nacht war furchtbar, die schlimmste, die ich je erlebt habe. Ich werde sie nie vergessen.«
»Der Señor Doktor —, ich suche den Señor Doktor«, heulte Ojo. »Jeden Winkel des Schiffes habe ich durchstöbert! Nirgends ist er, es sei denn, er ist eine von den völlig zerschmetterten Leichen.«
Jardín war aufgestanden.
»Ich habe gesehen, wie sie ihn bedrohten«, sagte er. »Aber was dann war, weiß ich nicht mehr.
Es ging alles durcheinander.«
Immer mehr der schlafenden Gestalten reckten sich. Als sie wach waren, mußten sie sich erst einen Augenblick besinnen. Dann standen sie unschlüssig an Deck herum. Niemand tat einen nützlichen Handgriff. Es war alles so gleichgültig. Die »Trueno« sah aus, als sei sie durch einen Tornado geschwommen.
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