Jardín übernahm jetzt den Befehl und überwachte das Instandsetzen des Schiffes, während Ojo mit fünfzehnbewaffneten Leuten an Land ging, um nach den anderen zu sehen.
18
Sie gingen am rechten Ufer des Flusses entlang, vorsichtig und jeden Augenblick bereit, sich gegen einen Überfall zu wehren. Nach einer Weile erreichten sie die Biegung des Flusses.
Jemand rief sie an.
Als Ojos mächtiger Baß Antwort gab, erklang drüben ein Jubelruf.
Vor ihnen stand Ernesto, der Bootsmannsmaat von der »Mapeika«. Er war zerlumpt, abgerissen, blutverschmiert und hatte einen Knüppel in der Hand.
»Gott sei dank, daß ihr kommt. Wir dachten schon, euch hätte es auch erwischt.«
»Beinahe«, sagte Ojo. »Aber wir haben sie in den Grund gebohrt.«
»Waren es Holländer?
»Wir wissen es nicht. Aber zwei Leichen, die bei uns vorbeitrieben, sahen aus wie Araber. Wie viele seid ihr noch?«
»Vierunddreißig«, erwiderte Ernesto mit zitternder Stimme.
»Und von der »Dimanche«?«
»Alle zusammen Vierunddreißig.«
»Mein Gott ! — Und die anderen?«
»Tot, verbrannt, erschlagen, an ihren Wunden gestorben. Es war gräßlich.«
»Die Hunde!« knirschte Ojo.
Während sie weitergingen, berichtete Ernesto:
»Capitán Porquez ist tot, die Offiziere sind verbrannt. Ibn Kuteiba ist schwer verwundet. Abu Hanufa und Don Hidalgo —, wir wissen nicht, wo sie sind, wahrscheinlich unter den unkenntlichen Leichen.«
Es hatte Ernesto Anstrengung gekostet, diese Tatsachen mit fester Stimme zu erzählen. Ein Kloß saß ihm in der Kehle. Ojos Leute hatten Gesichter, in denen es nur noch eine Form des Ausdrucks gab: Haß, unbändigen Haß. Ihre Finger spielten mit den Pistolenkolben. Und manch ein Daumen fuhr heimlich prüfend über die Schärfe des Messers.
»Was macht Fernando?« fragte Ernesto besorgt.
»Der Student?«
»Hm.«
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich liegt er noch in der Krankenkoje. Niemand hatte bisher Zeit, sich um ihn zu kümmern.«
Dann erreichten sie das Lager der Überlebenden.
Von der »Dimanche« stieg noch immer schwelender Rauch auf. Aufbauten und Oberdeck existierten nicht mehr. Der Schiffsrumpf lag da wie eine große offene Schale. Die Zerstörung war vollständig. Nicht viel besser sah es um die »Mapeika« aus. Sie war voll Wasser gelaufen.
Und da sie auf einer Sandbank dicht neben dem Ufer lag, ragten Deck und Aufbauten noch aus dem Wasser. Alles, was diese beiden Schiffe an Bord hatten, war verloren. Damit auch zwei Drittel der Muskatnußernte.
»Ja«, sagte Ojo, »dann macht euch bereit. Ich glaube, wir können gehen. Hier ist wohl nichts mehr zu retten.«
Die Vierunddreißig Überlebenden hatten, soweit sienicht schwer verwundet waren, ein Massengrab geschaufelt und richteten jetzt als letzten Liebesdienst für die toten Kameraden ein großes Holzkreuz dahinter auf.
»Gehen?« fragte einer der Oberlebenden verständnislos. »Wohin?«
»Zur »Trueno« natürlich! Oder willst du hier warten, bis dich die Eingeborenen abholen?«
Der Frager lachte irr.
»Warten? — Ihr habt doch Waffen mitgebracht. Nein, wir werden nicht auf sie warten. Wir werden hingehen und sie alle totschlagen. — Totschlagen, sage ich.«
»Sagst du«, meinte Ojo. »Wozu soll das gut sein?«
»Rache«, murmelte der andere.
»Ach was«, entgegnete Ojo. Damit war die Sache für ihn erledigt. Er hatte zwar vorgehabt, das gleiche zu sagen, was er vorher von Michel gehört hatte, bekam aber die Worte nicht mehr zusammen.
Man fügte sich seinem Befehl. Die Elendskarawane setzte sich in Bewegung.
19
Eine Stunde später hatten sich vierunddreißig zu Tode erschöpfte Menschen auf den Planken der
»Trueno« hingekauert. Marina, die sich von ihrem Schrecken erholt hatte, als ihr von Jardín berichtet worden war, daß der Pfeifer am Leben sei, hatte die letzten Vorräte Rum an die Mannschaft verteilen lassen. Die Geister des Alkohols beflügelten die Schaffensfreude, und es knallten bereits wieder die ersten ganzen Segel gegen die Masten.
In kürzester Zeit hatte sich das Aussehen auf Deck gewandelt. Freilich, was an Holzgerät entzwei war, blieb entzwei. Aber die Trümmer schwammen jetzt im Wasser, und das Deck sah sauber aus.
Ernesto, der Maat, hatte sich trotz seiner Schwäche zur Krankenkoje geschleppt, um nach Fernando zu sehen.
Aber weder Fernando noch das Mädchen waren zu finden.
Ernesto überwand seine Mattigkeit und lief schnell an Deck, um Ojo zu suchen.
Schon von weitem schrie er:
»Fernando ist weg! Das Mädchen ist weg! Wo sind sie?«
»Vielleicht in irgendeiner anderen Kabine«, meinte Ojo tröstend. »Sie können ja nicht spurlos verschwunden sein.«
Alles Suchen half nichts.
Sie waren unauffindbar.
»Die Wilde wird ihn entführt haben«, fauchte Ernesto wütend. »Wir müssen ihn holen!«
»Hm«, machte Ojo bedächtig. »Warte erst mal.«
Er ließ ihn stehen und ging nachdenklichen Schritts zu der Kabine, in der er Michel wußte.
Zaghaft klopfte er.
Auf des Pfeifers »Adelante« trat er ein.
Michel lag auf dem Bett.
»Ich muß Euch etwas fragen. Señor Doktor, auch, wenn Ihr mit dem Befehlen nichts mehr zu tun haben wollt.«
»Das gilt nicht für dich, amigo, was gibt's?«
»Ja, das ist nämlich so, der Student ist verschwunden und das Mädchen auch.«
Der Pfeifer richtete sich halb auf.»Verschwunden? — Wann hast du das festgestellt?«
»Ich gar nicht. Ernesto von der »Mapeika« hat es gemerkt. Wir haben nämlich die Überlebenden hier an Bord gebracht.«
Ojo gab einen kurzen Bericht darüber.
»Vierunddreißig nur noch«, flüsterte Michel. »Man kann es kaum glauben. Und Don Hidalgo, der alte, gute Porquez, und Abu Hanufa sind tot, wirklich tot?«
Ojo nickte schwer.
»Ja, und Ibn Kuteiba ist schwer verwundet. Vielleicht solltet Ihr einmal nach ihm sehen.«
»Ich werde nach allen sehen. Aber was machen wir nun wegen Fernando?«
»Vielleicht sollten wir zum See gehen. Er kann doch nur dort sein. Wohin soll sie ihn sonst gebracht haben?«
»Rufe mir die Señorita. Ich möchte mit ihr sprechen.«
Ojo folgte eilig diesem Wunsch. Insgeheim glaubte er wohl, daß mit diesem Schritt alles wieder ins alte Geleis kommen würde.
»Ihr wolltet mich sprechen?« fragte Marina, als sie in des Pfeifers Kabine trat. Sie hatte unterdessen schon vernommen, daß der Pfeifer noch am Leben war, und ließ sich nicht im mindesten anmerken, was sie bei der Nachricht von seinem Tode empfunden hatte.
»Von wollen kann keine Rede sein. Aber die Umstände zwingen mich dazu.«
»Ihr seid nicht besonders aufgelegt, um Komplimente zu sagen, wie?«
»Nach dieser Nacht dürfte das auch nicht ganz einfach sein.«
»So tragt Ihr mir also meine Verwirrung in dem schrecklichen Augenblick des Überfalls nach?«
Der Pfeifer schüttelte den Kopf.
»Eure Verwirrung nicht; aber Eure Rechthaberei. Nun, wir wollen jetzt nicht schwierige Fragen aufwerfen. Etwas anderes ist wichtiger. Das Eingeborenenmädchen ist mit Fernando de Navarra verschwunden. Wir müssen einen Weg finden, ihn wieder an Bord zu bringen.«
Marina zog die Brauen hoch.
»So ein verflixtes Weib! Welche Unverfrorenheit den Jungen zu entführen ! Ich schlage vor, wir bewaffnen uns und gehen ins Dorf, um ihn herauszuhauen!«
»Nun, nun! Schüttet nicht gleich wieder das Kind mit dem Bade aus! Sicher, ich möchte es auch nicht wagen, allein und unbewaffnet zu den Eingeborenen zu gehen. Ich bin aber überzeugt, daß wir die Waffen nur zur Demonstration brauchen, um mit ihnen zu verhandeln.«
»Bueno«, meinte Marina wegwerfend. »Ich weiß schon, zum Schluß gebt Ihr ihnen obendrein noch einen Beutel Gulden.«
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