Ojo sah das Verderben auch für die »Trueno« nahen. Immer wieder rissen die Geschosse riesige Fetzen aus den Segeln des alten, guten Schiffes.
In diesem Augenblick machte Ojo instinktiv einen Satz zur Seite. Die große Rahe stürzte mit furchtbarem Kradi auf die gleiche Stelle des Decks, an der der große Spanier eben noch gestanden hatte.
»Santa Maria, Madre de Dios«, murmelte er und bekreuzigte sich. »Das war hart am Tode vorbei.«
Er überlegte, daß es sinnlos wäre, hier herumzustehen und auf ein Wunder zu hoffen. Die
»Trueno« lag jetzt mit dem Bug in Fahrtrichtung. Die Beschädigungen auf dem Schiff waren immerhin noch nicht so groß, daß man alle Hoffnung aufgeben mußte.
Ojo nahm sich zusammen. Er wußte, daß nur er jetzt noch die verfahrene Situation retten konnte.
Trichterförmig legte er die Hände um den Mund und schrie über den hellen Lärm hinweg :
»Kanoniere! An die Backbordgeschütze!« Er wartete dann eine Weile um zu sehen, ob man seine Befehle noch ausführte. Freudig stellte er fest, daß ein paar seiner besten Leute gewohnheitsgemäß reagierten. Sie waren so eingedrillt worden, daß sie dem Befehl und der mächtigen Stimme wie unter einem Zwang gehorchten. Als Ojo laut rufend befahl, daß man alle Pulverfässer, Kugeln und Lunten auf die Backbordseite schaffen sollte, hub trotz der dauernden Einschläge ein emsiges Treiben an. Dann kam der letzte Befehl:
»Backbordgeschütze klar!«
Ein Kanonier nach dem anderen hob die Hand zum Zeichen, daß das Geschütz bereit war.
Noch einmal visierte Ojo die Lage der Mündungsfeuer zwischen den Hügeln. Präzise gab er seine Richtanweisungen. Und dann:
»Backbordgeschütze — Salve — Feuer!«
Fieberhaft luden die Kanoniere. In zwanzig Sekunden waren die Kanonen fertig.
Ojo ließ jetzt Reihenfeuer geben. Das heißt, daß immer ein Geschütz nach dem anderen schoß, so daß das erste wieder geladen hatte, wenn der letzte Schuß verstummte.
Die Nacht war gelb von Pulverdampf. Den Männern lief der Schweiß von der Stirn.
Und bald zeigte sich der Erfolg.
Nur vereinzelt bekamen die heimtückischen Gegner noch einen Schuß aus den Rohren. Aber diese Kugeln schwirrten über das Schiff hinweg oder schlugen klatschend ins Wasser.
Auf der »Trueno« hatte sich alles wieder eingespielt. Auch diejenigen, die nicht Kanoniere waren, gehorchten Ojo aufs Wort. Im schwersten Feuer hatten sie die Segel gegeit und das Schiff back gebraßt.
Marina stand mit hängenden Schultern auf der Kommandobrücke und hatte den gesenkten Degen noch immer in der Hand. In dem Augenblick, als es um Leben oder Tod ging, als es darauf ankam, Geistesgegenwart zu behalten, hatte sie versagt. Die Kunst eines Krieges war nicht der Angriff, sondern die gut funktionierende Verteidigung. Hier erst zeigte sich der wahre Meister. Und hier hatte Marina bewiesen, daß sie keiner war. —
Zuerst fuhr sich Michel mit beiden Händen nach demHinterkopf. Er schmerzte furchtbar.
Schwerfällig richtete er sich auf. Jetzt erst vernahm er den Donner der Geschütze wieder. Als er hochtaumelte und sich an einem Maststumpf festhielt, sah er, daß die Schlacht noch in vollem Gange war. Vernehmlich drangen Ojos Befehle in sein Bewußtsein und brachten ein Lächeln auf seine Lippen. Er sah, daß alles gut stand, soweit man in dieser Situation das Wort gut überhaupt gebrauchen durfte.
Nötig war er im Augenblick hier nicht. So schleppte er sich die Treppe hinunter und stolperte in seine Kabine, wo er erschöpft aufs Bett fiel.
Als Ojo etwas Luft hatte, suchte er den Pfeifer vergeblich. Es lagen genug zerfetzte Leiber an Deck herum. Und es war durchaus möglich, daß sich sein geliebter Señor Doktor unter ihnen befand. Eine unbändige Wut stieg in dem treuen Spanier auf. Mit Riesenschritten rannte er zu Señor Virgen.
»Der Señor Doktor ist tot ! Ihr habt ihn auf dem Gewissen! Ihr und die Hunde, die da immer noch von See her feuern. Los, so nehmt jetzt Kurs aufs offene Meer, wenn Ihr nicht wollt, daß ich Euch an Ort und Stelle erwürge!«
Virgen versuchte den Rasenden zu beschwichtigen; aber er stand schon wieder draußen und donnerte :
»Enter auf. Alle Segel setzen!«
Soweit die Leinwand an den Rahen noch vorhanden war, nahm sie den Wind auf. Virgen manövrierte zitternd an der brennenden »Dimanche« und an der auf Grund gesackten »Mapeika« vorbei.
Vorerst schwiegen die Kanonen.
Dann fuhren sie um die Biegung des Flusses und sahen im Mondlicht das Schiff Hassans.
Ojo stand ganz vorn am Bugspriet und starrte auf den
Gegner. Die Kanoniere hockten hinter den Buggeschützen und warteten auf den Feuerbefehl.
Er kam.
Mit diesem plötzlichen Überfall hatte man drüben nicht mehr gerechnet. Hassan, der sich an Bord befand, war so erschrocken, daß er zunächst stumm in die feindlichen Mündungsfeuer blickte.
Und die Kugeln der »Trueno« saßen haargenau. Man zielte gar nicht erst auf die Aufbauten.
Niemand hatte Lust, den Gegner auf Piratenweise zu entern. Jeder war begierig darauf, ihn so schnell wie möglich in den Grund zu bohren.
Fünf-, sechsmal schoß Hassans Schiff noch. Dann stieg Geschrei auf und Ojo sah, wie es sich zur Seite neigte.
Ein paar Minuten später war es versunken.
Auch diesmal hatte die »Trueno« gesiegt.
15
Als Hassan von See aus die Schlacht eröffnet hatte, richtete sich naturgemäß die Aufmerksamkeit aller auf diesen Überfall. Nicht ein einziger hatte sich um den kranken Fernando und Taitscha, die Tochter des Inselkönigs, gekümmert.
Der erste Schuß zauberte ein freudiges Erschrecken auf das Gesicht des schönen Mädchens. Jetzt begann die große Abrechnung. Und jetzt begann auch Taitscha zu leben.
Als die ersten Aufbauten zusammenstürzten, als das Durcheinander begann, zerrte die Eingeborene mit kräftigen Armen Fernando von seinem Lager. Er wehrte sich nicht. Er schien sogar die Lage zu erfassen. Seine brennenden Blicke hingen an ihr. Aber es stand keine Frage darin, nur eine große Verwunderung.
Taitscha riß ihn aus der Kabine in den Gang. Abwartend blieb sie für Sekunden stehen und horchte. Durch den Lärm vernahm sie das Knarren und Quietschen des Ankerspiels. Sie wußte zwar nicht, was das war, witterte aber instinktiv, daß etwas geschah, was ihr die Flucht von Bord vielleicht abschneiden konnte.
So sprang sie, den willenlosen Fernando immer mit sich ziehend, die Stiege empor und erreichte das Oberdeck.
Sie sah das Mündungsfeuer der Landgeschütze. Auf dieser Seite war es zu hell.
So zog sie Fernando nach drüben, stieß ihn, ohne viel Federlesens über Bord und sprang sofort hinterher. Immer in enger Verbindung mit ihm, erreichte sie das jenseitige Ufer, zog sich und ihn empor und suchte Deckung hinter einem Gebüsch. Trotz der Nässe ertrug sie die kühle Nachtluft, ohne zu frieren.
Fernandos Zähne schlugen im Frost aufeinander. Er lag im Gras neben ihr wie ein hilfloses, krankes Baby neben seiner Mutter.
Taitscha wartete ab, wie sich die Schlacht entwickelte.
Sie unterdrückte einen Triumphschrei, als die »Mapeika« auf Grund ging. Heftig zuckten ihre Lippen, und freudige Erregung stand in ihren Augen, als die Pulverkammer auf der »Dimanche« explodierte und das Schiff wie eine riesige lodernde Fackel auf dem Fluß stand. Das war ein grandioses Feuerwerk!
Sie wartete voller Ungeduld auf das Ende des dritten Schiffes. Deutliche Enttäuschung malte sich auf ihrem Gesicht, als dieses über die Kanonen an Land Sieger blieb.
Aber nun lief es aus. Draußen war Tuan Hassan. Er würde auch ihm den Rest geben.
Das Mädchen spürte jetzt die Wärme der Feuersbrunst von der »Dimanche« bis zu sich herüber.
Sorgend schob sie den ohnmächtigen Geliebten in die Nähe des brennenden Schiffes, damit auch er sich wärmen könne.
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