Hassan hatte Muße genug gehabt, seine Geschütze mit aller Genauigkeit einzurichten.
Michel, der neben Ojo an Land schlief, war beim ersten Kanonendonner auf den Beinen. Er sprach kein Wort. Er lauschte nur und suchte mit seinem Glas den Horizont ab.
Am Widerschein der Mündungsfeuer sah er, daß der Angriff von See her erfolgte.
»Komm, Diaz, sieh zu, daß du deine Kanoniere zusammenbekommst!«
Die Glocken aller drei Schiffe schlugen Alarm.
Salve auf Salve fuhr auf die Planken nieder.
Das einzige Schiff, das sich überhaupt zu verteidigen vermochte, war die »Trueno«; denn nur die Heckgeschütze konnten einen Effekt erzielen. Die Rohre der verankerten Schiffe waren nach den falschen Seiten gerichtet.
So lagen sie bewegungsunfähig und konnten sich nicht verteidigen.
Als der Pfeifer an Bord der »Trueno« kam, begegnete ihm Marina. Sie hatte den Degen in der Hand, ein rotes Tuch um den Kopf und einen dicken Piratenring im Ohrläppchen. Ihre weißen Zähne blitzten, und ihre Augen lachten kampfeslustig.
»Endlich wieder etwas los«, rief sie dem Pfeifer zu. »Ihr habt versäumt, Wachen an der Küste auszustellen, Herr Admiral!«
»Spart Euch Euern Spott«, sagte er bitter. »Wir haben manches versäumt; aber es ist wahrscheinlich das letzte mal gewesen.«
»Wieso?« fragte Marina. »Wollt Ihr schon sterben?«
»Immer spottet. Mich trefft Ihr nicht. Schließlich bin ich ja nicht allein da, um mich um alles zu kümmern. Ich habe mit Tunatatschi verhandelt, ich habe die Kranken betreut und noch vieles andere getan. Ihr hättet auch einmal daran denken müssen, für unsere Sicherheit zu sorgen.«
»Ich verließ mich auf Euch und Eure Unfehlbarkeit. Ich-.«
Neue Einschläge rissen ihr das Wort vom Munde.
Ojo hatte inzwischen seine Kanoniere auf die Beine gebracht. Scharf visierte er das unsichtbare Ziel.»Die ersten Salven müssen sitzen, amigos«, donnerte sein Baß.
Die Ankerketten aller Schiffe knarrten. Man konnte nicht bewegungsunfähig bleiben. Man mußte das Unmögliche wahr machen und den Gegner, der die offene See für sich hatte, aus der Flußmündung heraus angreifen, ohne dabei freilich feuern zu können. Es war eine heikle Situation.
Und als sich die ersten Segel blähten, brach das große Unglück furchtbar herein.
Niemand, auch der Pfeifer nicht, hatte auf das geachtet, was an Land vor sich gegangen war.
Vermutete man doch in keinem Fall eine Teufelei Tunatatschis hinter diesem Angriff. Niemand dachte an einen Privatkrieg. Jeder glaubte fest, daß eine Einheit der holländischen Flotte die Schiffe, die den Seeräuber Dieuxdonné hatten entkommen lassen, aufgestöbert hatte.
Da donnerten die abmontierten Geschütze Hassans von den Hügeln herüber. Ihre Kugeln begnügten sich nicht allein mit der Zerstörung der Aufbauten und Masten, sondern fraßen sich in die Leiber der Schiffe und schlugen sie leck.
Der Angriff kam so unerwartet, daß die Männer der Flottille zunächst wie erstarrt standen, bevor sie begriffen, was sich da abspielte.
Niemand war auf den Gedanken gekommen, die Seitengeschütze feuerbereit zu machen. Es lag außerhalb des Begriffsvermögens, mit einem Angriff von den friedlichen Eingeborenen zu rechnen, und gar erst, daß diese über Geschütze verfügten. Ein solches kombiniertes Manöver forderte im allgemeinen mehr Kenntnisse, als man einem wilden Häuptling zugetraut hätte.
Hinzu kam noch, daß niemand etwas von der Existenz eines vierten Schiffes geahnt hatte.
Obwohl die Fahrzeuge unter dem starken Feuer lagen, drehten sie sich langsam um ihre eigene Achse in die Strömung. Als die »Mapeika« endlich soweit war, daß sie Fahrt gewann, schrie plötzlich jemand:
»Wasser im Kielraum!«
Da spürte man auch schon deutlich, daß sie zu sinken begann.
Porquez mußte den Befehl abgeben, denn er war durch herumfliegende Splitter schwer verwundet worden.
Don Hidalgo hatte noch die Geistesgegenwart, die »Mapeika« aus der Strömung zu bringen, um der »Dimanche« und der »Trueno« nicht die Ausfahrt zu versperren.
Die Treffer in die »Dimanche« lagen vorläufig noch oberhalb der Wasserlinie. —
Michel war zu Ojo gerannt.
»Wir müssen zuerst die Geschütze auf dem Land niederkämpfen«, rief er, um den Lärm zu übertönen.
Ojo nickte, und bald darauf feuerte die »Trueno« die erste Breitseite ab.
Da stürmte Marina heran und schrie den Pfeifer mit überschlagender Stimme an:
»Seid Ihr wahnsinnig? Wir können doch nicht hier stehenbleiben! Wir müssen ebenso wie die anderen schnellstens wenden, sonst sind wir verloren.«
»Ich bin nicht wahnsinnig. Das Wichtigste ist, den Rückzug der anderen beiden zu decken.
Wenn uns das nicht gelingt, ist es aus. Der Angriff von Land her ist im Augenblick am bedrohlichsten.«
»Hahaha«, lachte Marina wild. »Da habt Ihr Eure lieben Eingeborenen! Die Hunde kümmern sich einen Dreckdarum, ob Ihr die Nüsse bezahlt oder nicht! Ihr seht ja, wie der Dank für Eure
— Eure — ach was !«
Sie wandte sich ab. Das Wort Dummheit hatte sie doch nicht über die Lippen bringen können.
»Señor Virgen«, schrie sie, »laßt die »Trueno« wenden! Wir müssen hier raus!«
»Nein! Nein!« schrie Michel dagegen. »Ihr verderbt unsere Feuerposition. Erst müssen wir den Gegner an Land niedergekämpft haben.«
Die Steuerbordgeschütze feuerten wie rasend. Ojo hatte gut gezielt.
Drüben schwieg einer nach dem ändern. Man hörte Schreie von Getroffenen.
Aber Virgen gehorchte dem Befehl der Kapitänin. Er hatte Angst. Sollte er auf diesem dreckigen Eiland hier seinen letzten Atemzug tun?
Als etwa ein Drittel der gegnerischen Kanonen nicht mehr feuerte, stellte sich die »Trueno« schräg und schuf sich so selbst einen toten Winkel.
»Señor Doktor«, tobte Ojo, »schlagt den Steuermann tot ! Wir hätten es geschafft ! Aber nun ist es aus !«
Michel rannte zu Virgen, das heißt, er wollte zu Virgen rennen; aber er kam nicht durch. Zehn Pistolen bedrohten ihn. Die Piraten hatten einen Kreis um ihren Steuermann gebildet und schützten ihn. Auch sie erkannten den Oberbefehl des Pfeifers nicht mehr an.
»Weiter wenden, alle Segel setzen«, klang Marinas erregte Stimme von der Kommandobrücke durch das Megaphon.
Michel schrie die Leute an:
»Gebt den Weg frei, ihr Verrückten! Was ihr tut, ist Selbstmord!«
Er griff nach einer der vorgestreckten Pistolen und zog den Mann daran zu sich nach vorn.
Niemand wagte jedoch zu schießen. Aber einer war doch unbeherrscht genug, dem Pfeifer den Pistolenkolben über den Kopf zu schlagen.
Kreise tanzten vor Michels Augen. Er sank schwer getroffen zu Boden.
14
Langsam schlagend entfalteten sich die Segel an den Masten. Der Bug des Schiffes wurde von der Strömung erfaßt, die das Wendemanöver beschleunigte. Wohl war man fast so weit, daß man ans Auslaufen hätte denken können; aber jetzt wurde die Situation am gefährlichsten. Der Segelwald des Schiffes bildete nun nämlich eine weithin sichtbare Silhouette, die sich gegen den dunklen Nachthimmel abhob und so ein ausgezeichnetes Ziel für Hassans Kanoniere bildete.
Ojo stand wie ein Baum auf den Planken. Seine Fäuste waren verkrampft. Tränen der Wut and des Schmerzes liefen dem Riesen in den verfilzten Bart. Fassungslos starrte er mit brennenden Augen auf den bewußtlosen Pfeifer, der vor dem Steuerhaus lag.
Für Ojo war eine Welt zusammengebrochen.
Eine fürchterliche Detonation riß ihn aus seiner Starrheit.
Mit schreckgeweiteten Augen sah er, wie auf der »Dimanche« eine riesige Stichflamme empor stieg. Das durchdie feindlichen Kanonenkugeln verursachte Feuer mußte die Pulverkammer erreicht haben. Das Schiff war rettungslos verloren. Wenn sich wenigstens die Kameraden noch retten konnten!
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