Das ist das Ende, dachte Eberstein. Ich habe verspielt. Dieser Baum mußte auf Köcknitz einen guten Eindruck gemacht haben.
»Setzt Euch«, fuhr ihn der Oberst an. »Ich möchte in meinem Regiment keinen Skandal. Kalt und nüchtern will ich jetzt mit Euch besprechen, was zu tun ist.«
In Eberstein kehrte der Schimmer einer leisen Hoffnung zurück. Er ließ sich auf einen harten Stuhl nieder. Der Oberst setzte sich hinter den Schreibtisch.
»Ihr habt Euch benommen wie ein Schuft. Und Ihr wißt das ganz genau. Ihr erhaltet jetzt von mir in Form dieses Gesprächs einen dienstlichen Befehl. Erstens habt Ihr Euern Vater dahingehend zu beeinflussen, daß er die von der Familie Hirschfelder unrechtmäßig erworbenen Dukaten sofort zurückzuerstatten hat. Ebenfalls muß Herr Doktor Baum seine zweitausend Dukaten wiederbekommen. Die ideellen Schäden, die Ihr angerichtet habt, könnt Ihr ohnehin nicht mehr gutmachen. Ich entlasse jetzt auf meine eigene Verantwortung hin den Premierleutnant Richard Baum aus der Haft. Ihr könnt die Klage gegen ihn natürlich erzwingen; aber in diesem Fall werde ich Vortrag beim Landgrafen halten. Ihr wißt, daß mich Seine Hoheit schätzt. Bis zu Euerm Abschied, den Ihr unverzüglich einreichen werdet, dispensiere ich Euch vom Dienst. Ihr werdet das Gelände des Regiments nicht mehr betreten und ab sofort Zivil tragen. Das wäre, was ich Euch zu sagen hätte ! Wenn Ihr glaubt, daß das zu hart ist, so lasse ich es auf ein Verfahren gegen Euch ankommen. Dann ist der Skandal unvermeidlich; aber er wird eher auf Euch und Eure Familie zurückfallen als auf das Regiment.«
Eberstein saß mit aufgerissenen Augen im Stuhl. Alles Blut war ihm aus dem Gesicht gewichen.
Seine Hände zitterten. Um seine Lippen zuckte es. Nun war geschehen, was er befürchtet hatte.
Der Oberst hatte ihn fest in der Hand. Wohl konnte er sich weigern, dem Befehl seines Regimentskommandeurs zu folgen; aber er wußte, daß dann auch die letzte Möglichkeit zu einem neuen Anfang verspielt wäre. Oberst von Köcknitz war ein nicht zu unterschätzendes Gewicht in dieser Waagschale der letzten Chancen.
Wortlos erhob sich Eberstein. Der alte Oberst, von jeher eine Seele von Mensch, fühlte plötzlich Mitleid mit dem jungen Offizier.
»Hört, Eberstein, seid vernünftig und tut, was ich gesagt habe. Es ist das einzige, um Euch vor Schlimmerem zu bewahren. Meine Offiziere sollen Vorbilder ihrer Soldaten sein. Ihr wart kein Vorbild. Ich gebe Euch den Rat, nach Preußen zu gehen und zu versuchen, dort in die Armee einzutreten. Friedrich freut sich, wenn er ausgebildete Offiziere bekommt. Man forscht dort nicht viel nach der Vergangenheit. Allerdings dürftet Ihr Euch solcheDinge nicht mehr zuschulden kommen lassen. Ihr müßtet Euch gewaltig ändern, um in der preußischen Armee bestehen zu können. Aber es wäre ein Ausweg. — Es tut mir leid. — Ihr könnt jetzt gehen.«
Ebersteins Mund blieb verschlossen. Es hatte keinen Zweck, etwas zu erwidern. Der Oberst war kein Unmensch und ließ ihm den Degen, so daß er seinen letzten Gang in Uniform nicht ohne diesen antreten mußte. Da hatte Eberstein noch einmal einen Gedanken. »Ich bitte noch etwas vorbringen zu dürfen, Herr Oberst.«
»Bitte.«
»Ihr habt vergessen, daß ich heute nacht von den Schergen dieses Baum überfallen worden bin.
Ich werde doch ein Verfahren gegen ihn erzwingen.«
»Und wie seid Ihr den Klauen dieser — Schergen entkommen? Habt Ihr Euch selber befreit?«
»Nein, Baum kam heute morgen zurück und fand mich gefesselt. Da ließ er mich ...«
Die Augen des Obersten wurden starr. »Hinaus!« rief er. »Ihr habt mich belogen. Noch vor ein paar Minuten habt Ihr behauptet, Ihr wüßtet nichts davon, daß Doktor Baum wieder in Freiheit ist. Hinaus, sage ich! Ich will Euch nicht mehr sehen.«
Der ausgestreckte Zeigefinger des Obersten von Köcknitz wies in unmißverständlicher Weise auf die Tür.
Eberstein drehte sich wortlos um und verließ in ohnmächtiger Wut das Zimmer. —
Grußlos, mit zusammengebissenen Lippen, ging er an einigen in der Nähe stehenden Offizieren vorüber. Die Backenknochen traten weiß aus seinem angespannten Gesicht. Sein stierer Blick war auf die Erde gerichtet.
»Baum«, murmelten seine Lippen, »Baum, du Hund, du trägst die Schuld an meinem Elend.«
Nicht für eine Sekunde dachte er daran, die Ursache für sein unrühmliches Ende bei sich selbst zu suchen. Sein Blick war blind vor Haß. Sein Verstand sagte ihm zwar, daß es das beste wäre, dem Rat des Obersten zu folgen; aber in diesem Moment vermochte er nicht mehr, sein weiteres Tun allein vom Verstand abhängig zu machen. Mit jedem Schritt, den er tat, steigerte er sich in eine leidenschaftliche, zerstörerische Raserei. Plötzlich blieb er stehen. Der Teufel hatte ihm einen Gedanken eingegeben.
Rache ! Rache ! Rache ! sang es in ihm. Der letzte Funke von Vernunft war erloschen.
Der Folgen nicht achtend, änderte er plötzlich seine Richtung und wandte sich der Unterkunft seiner Abteilung zu.
Das erste Détachement der zweiten Kompanie der Abteilung ritt soeben bei den Ställen vor. Der Befehlshabende ritt an den Grafen heran und meldete salutierend :
»Zweites Détachement von Felddienstübung zurück.«
»Laßt noch nicht absitzen, Leutnant. Ich habe vom Regimentskommandeur soeben Order erhalten, ein Sonderunternehmen durchzuführen. Euer Détachement dürfte dazu genügen.
Veranlaßt, daß mein Pferd sofort gesattelt wird.«
Der Leutnant salutierte, wandte sein Tier und gab den Befehl an einen der Soldaten im letzten Glied weiter.
»Haben alle Leute Pistolenmunition bei sich?«
»Jawohl, Herr Major.«
»Sie sollen scharf laden.«
Der Leutnant schien zwar verwundert, gab aber den Befehl weiter.Es waren noch keine drei Minuten vergangen, da wurde das gesattelte Pferd Rudolf von Ebersteins vorgeführt, und dieser schwang sich auf.
»Zweites Détachement — Trrrab!« kommandierte Eberstein.
Der Reiterzug setzte sich in Bewegung.
60
Der Pfeifer war, obwohl er die ganze Nacht über kein Auge zugetan hatte, nicht in seinem Zimmer geblieben.
»Höre Diaz, wir können uns hier in Kassel jetzt frei bewegen. Wir brauchen nicht mehr Versteck zu spielen«, sagte er zu Ojo. »Amüsier dich, so gut du kannst, oder schlafe, ich muß zu den Ecks.«
»Verständlich, Señor Doktor«, grinste Ojo. »Nun werdet Ihr wohl bald heiraten, und dann kann Ojo gehen«, fügte er traurig hinzu.
»Keine Angst«, lachte Michel. »Ich werde zwar heiraten; aber wenn es dir Spaß macht, kannst du bei mir bleiben.«
»Hier, wo ich kein Wort von dem verstehe, was die anderen reden?«
Michel schüttelte den Kopf.
»Nein, amigo, du weißt, daß es immer mein Plan war, nach Amerika zu gehen. Und den führe ich aus, auch, nachdem ich verheiratet bin. Meine Frau wird mich begleiten.«
»Ist das nicht das gleiche?« fragte Ojo. »Ihr werdet Euch irgendwo dann in einer Küstenstadt ein Haus bauen, um den Rest Eurer Tage als wohlbestallter Arzt zu verbringen, nicht wahr? Und ich, was wird aus mir?«
»Sei nicht undankbar, Diaz. Du bist ein reicher Mann. Genauso reich wie Tscham und ich.«
»Schon recht«, murmelte Ojo. »Ich werde mir in Eurer Nähe eine Gastwirtschaft zulegen.«
»Nun, da wirst du ja wohl selbst dein bester Kunde sein«, lächelte Michel.
»Ich hoffe, auch Euch des öfteren einen guten Tropfen Wein einschenken zu können.«
»Das ist doch selbstverständlich. Wo meine Freunde sind, da gehöre auch ich hin. — Ich muß jetzt gehen.«
Er wandte sich der Tür zu und verließ das Zimmer.
Während er langsam durch die Straßen schlenderte, wußte er, daß er durch das Gespräch in der letzten Nacht einen verläßlichen Freund gefunden hatte. Er konnte sich zwar vorstellen, daß Oberst von Köcknitz nicht gleich ein Verfahren gegen Eberstein eröffnen würde; glaubte aber zumindest, daß der Oberst seinen Einfluß geltend machen würde, Eberstein dazu zu bringen, seine wahnwitzigen Unternehmungen gegen die Familie Baum einzustellen.
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