»Wir?« fragte Michel.
»Ja, Ihr könnt mich begleiten. Ich werde mir diesen Herrn Eberstein in Euerm Beisein einmal vorknöpfen.«
»Und Ihr glaubt, daß er auch nur die kleinste Kleinigkeit seiner schmutzigen Taten zugeben wird?«
»Das möchte ich eben feststellen. Ich will sehen, was er sagt.«
»Um ihm dann — zu glauben?« fragte Michel mißtrauisch.
Der Oberst erhob sich.
»Ich glaube Euch. Sonst säßet Ihr hier nicht mehr so friedlich.« Seine Worte klangen ein wenig ungehalten.
Michel bedauerte sein Mißtrauen; der alte Oberst schien wirklich ein Mann von Ehre zu sein.
»Ich wollte Euch nicht kränken.«
»Schon gut«, meinte Köcknitz mit Barschheit.
Sie gingen.
Die Offiziere beim Regiment warfen sich verwunderte Blicke zu, als sie sahen, wen Graf von Köcknitz da mitbrachte. Dazu war die Miene des Alten finster.
Sie hatten den Eindruck, als würde es bald ein Gewitter geben.
Köcknitz befahl seinen Adjutanten zu sich.
»Schickt eine Ordonnanz zum ersten Bataillon. Ich lasse Graf von Eberstein in dringender Angelegenheit zu mir bitten.«
Der Regimentsadjutant drehte sich um und stülpte sich den Dreispitz wieder aufs Haupt.
Kurz darauf ritt eine Ordonnanz zu dem Gebäude hinüber, in dem die erste Abteilung lag.
Es verging eine halbe Stunde. Eberstein war nicht zu finden.
Oberst Köcknitz wurde ungeduldig. Er schickte eine weitere Ordonnanz in die Wohnung des Grafen. Aber auch diese kam unverrichteterdinge wieder.
Michel wurde die Zeit zu lang.
Er bat vorläufig um Urlaub und hinterließ Köcknitz seine Adresse.
57
Rudolf von Eberstein, durch die gefesselten Hände und Füße zu unbequemer Lage gezwungen, erwachte trotz des reichlich genossenen Alkohols zu früher Stunde. Er versuchte sich zu besinnen, wo er war. Aber das Dunkel, das ihn umgab, war undurchdringlich. An die Vorkommnisse der Nacht erinnerte er sich nicht mehr.
Er wollte sich mit den Händen zum Kopf greifen. Da überfiel ihn siedendheiß die Erkenntnis, daß er gefesselt war. Und fast im selben Moment vernahm er Schnarchtöne. Tiefe, sägende Schnarchtöne. Er wollte schreien; da spürte er den Lappen zwischen seinen Zähnen. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Was war geschehen? Wo war er? Wie kam er in diese Situation?
Nach und nach fielen ihm die Einzelheiten wieder ein. Aber er kam in seiner Erinnerung nur bis vor die Wache des Arrestlokals. Danach war alles dunkel.
So lag Eberstein zwei Stunden, der Schweiß perlte in großen Tropfen auf seiner Stirn. Als sich die Stube mit dem ersten Morgenlicht füllte, wandte er mühsam den Kopf, dorthin, woher das Schnarchen kam. Da erblickte er einen großen bärtigen Mann auf dem anderen Bett. Wie die Blätter eines Jahreskalenders sprang sein Gehirn Jahr um Jahr zurück. Er kannte diesen Mann.
Ja, der gehörte zu jenen Männern, die er damals an den algerischen Korsaren verkauft hatte.
Eberstein versuchte sich aufzurichten. Es gelang ihm. Er war zwar an Händen und Füßen gefesselt, jedoch nirgends festgebunden. Seine Beine baumelten vom Bett und reichten bis zur Erde. Er stand auf und hüpfte hinüber, wo Ojo lag. Seine Blicke gingen hastig suchend durch das Zimmer. Aber nirgends war ein Messer zu sehen. Die auf den Rücken gebundenen Armgelenke schmerzten. Eberstein wurde wütend. Er drehte sich um und boxte mit gefesselten Händen Ojo in die Magengrube. Der brummte unwillig, blinzelte mit den Augen, sah den Mann verstört an, gab ihm einen mächtigen Stoß, so daß Eberstein nach vorn überkippte und der Länge nach auf den Boden schlug, drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter. —
Eberstein beschloß, bis zur Tür zu hüpfen und diese zu öffnen, um auf diese Weise in die Freiheit zu gelangen. Obwohl er bald wieder auf den Beinen stand, zögerte er doch, sein Vorhaben auszuführen; denn er sagte sich logisch, daß dieses Haus von den Leuten des Seeräubers dort auf dem Bett bewohnt sein müsse. Es war anzunehmen, daß eine Wache vor seiner Tür stand.
Dennoch hüpfte er los. Aber noch ehe er sie erreichte, schreckte Ojo hoch. Mit einem Satz war er bei dem Flüchtenden, riß ihn zurück und warf ihn wie eine Puppe wieder aufs Bett.
Mit ein paar starken Riemen band er Eberstein an der Bettstatt fest. Ohne ein Wort zu sagen, legte er sich hin und schlief sofort weiter.
Mittlerweile war es halb zehn Uhr geworden. Eberstein, dem das Atmen langsam beschwerlich wurde, lief schon blau an. Da hörte er draußen auf dem Flur Schritte. Sie näherten sich dieser Stube. Dann verhielten sie einen kurzen Moment vor der Tür, und dann erschien — Michel Baum. Er stutzte, als er sein Bett besetzt sah. Dann aber weiteten sich seine Augen.
»Wie — wie — kommt Ihr hierher, Eberstein?«
Auch Eberstein war fassungslos. Schlotternde Angst übermannte ihn. Michel nahm ihm den Knebel aus dem Mund.
Im selben Augenblick erwachte Ojo.
»Guten Morgen, Señor Doktor, endlich seid Ihr da. Wir haben Euch die halbe Nacht gesucht.«
»Was ist hier vorgegangen?« fragte Michel.
»Wieso? — Ach so«, lachte Ojo, »Ihr meint den da.«
Ausführlich berichtete er, was er mit Jehu unternommen hatte, um ihn zu suchen, und wie ihm Eberstein dabei in die Hände geraten war.
War Michel zuerst erschrocken, so lachte er jetzt.
»Ein seltsames Wiedersehen, Eberstein, wie?«
»Ihr werdet hängen«, zischte dieser.
»Langsam, langsam! — Ihr kommt zuerst dran.«
»Hund, verdammter, man wird mich finden. Ihr seid hier nicht bei den Hottentotten. Ihr habt einen ganzen Staat gegen Euch.«
»Langsam, langsam«, wiederholte Michel. »Den hatte ich gegen mich. Heute nacht hat sich das geändert. Ich binde Euch jetzt los. Beeilt Euch, daß Ihr zum Dienst kommt. Oberst Köcknitz läßt schon nach Euch suchen.«
»Um so besser«, meinte Eberstein hämisch, »mit den ersten Leuten, die ich treffe, werde ich wiederkommen und diese Bude hier ausräuchern. Es wird mein größtes Vergnügen sein, Euch, den Räuberhauptmann, am Galgen hängen zu sehen.«
»Daraus wird nichts werden«, entgegnete Michel freundlich, »Ihr müßt wissen, ich komme soeben vonOberst Köcknitz. Ich habe mich mit dem alten Herrn die ganze Nacht über angeregt unterhalten, und Ihr werdet Euch vorstellen können, daß wir nicht gerade über die neuen Bauwerke Kassels gesprochen haben.«
Eberstein erbleichte. Er sagte nichts mehr. Der Schreck saß ihm in den Gliedern.
»So ein kleines Gerichtsverfahren werdet Ihr wohl über Euch ergehen lassen müssen«, versuchte ihn Michel aufzumuntern. »Mit mir als Zeugen übrigens.«
Eberstein ermannte sich.
»Pah, man wird einem Deserteur nicht mehr Glauben schenken als einem Edelmann.«
»Immer der alte, immer der gleiche«, nickte Michel. »Diesmal wird es Euch nichts helfen. Eure Geschichte, die Ihr über mich verbreitet habt, Euer Spiel mit der Jungfer Hirschfelder, Eure Skrupellosigkeit gegenüber Charlotte Eck, all das wird Euch diesmal das Genick brechen. Das hättet Ihr Euch sparen können. Viertausend Dukaten wollte ich Euch für die Freilassung meines Vetters geben. Viertausend Dukaten für Eure Schlechtigkeit. Daß es anders gekommen ist, habt Ihr ganz allein Euch selbst zu verdanken.«
Michel knotete ihm die Fesseln auf und meinte dann:
»Geht, es steht Euch nichts im Weg. Auf Wiedersehen vor dem Landesgerichtshof.«
Eberstein verließ grußlos das Zimmer.
»Wie konntet Ihr ihn so einfach laufen lassen?« empörte sich Ojo. »Er wird uns allen das Genick brechen.«
»Hübsch ruhig, amigo, er wird keinem mehr das Genick brechen, es sei denn sich selbst.«
Michel berichtete Ojo, was in der vergangenen Nacht geschehen war.
58
Der alte Eberstein wunderte sich, als sein Sohn um diese Stunde in den Salon trat.
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