»Da bist du ja«, sagte er. »Wo hast du dich herumgetrieben? Das halbe Regiment sucht nach dir.
Oberst von Köcknitz will dich sprechen.«
»Ich weiß, ich weiß«, murmelte Rudolf. Seine Züge wirkten in diesem Augenblick verfallen.
Sein ganzes Gesicht war verstört.
»Was ist los mit dir?«
»Aus«, murmelte Rudolf, »alles aus. Baum hat das Spiel gewonnen.«
Der Alte krauste die Stirn. Scharf blickte er seinen Sohn an. Dann meinte er unwillig :
»Drück dich gefälligst etwas deutlicher aus. Was ist aus? Und was für ein Spiel hat Baum gewonnen?«
»Ach, nichts.«
»Rede«, fuhr ihn der Alte an. »Wird Richard nun entlassen? Hast du dich dafür eingesetzt? Ich traue Baum. Er bringt auch die restlichen zweitausend Dukaten. Dessen sei sicher.«
Rudolf winkte müde ab. Endlich bequemte er sich dazu, seinem Vater zu erklären, was er durch seine Rachsucht aus der Geschichte gemacht, wie er den Pfeifer überrumpelt und in den Kerker gesteckt hatte, wie dieser dann des Nachts ausgebrochen war und mit dem Oberst gesprochen hatte.
Der alte Graf fiel aus allen Wolken.
»Bist du nicht bei Verstand, Kerl? Ist denn jedes vernünftige Denken in dir abgetötet? Mußtest du uns das ganze Spiel verderben? Wenn jetzt alles herauskommt, das mit dem alten Hirschfelder und seiner Tochter und das, daß uns dein Freund Baum schon zweitausend Dukaten für die Freiheit seines Vetters bezahlt hat, dann ist das mindeste, was man von uns verlangt, daß wir das Geld zurückgeben. Und wenn sie erst gegen uns vorgehen, dann werden die Betrogenen aus allen Ecken kommen wie die Aasgeier. Das ist die Pleite!« schrie er. »Das ist der vollkommene Ruin der Grafen von Eberstein!«
»Jaja, ja«, sagte Rudolf nur.
»Jeder Heller tut mir leid, den ich dir je gegeben habe!« tobte der Alte weiter. »Da müht man sich sein ganzes Leben lang ab, macht Geschäfte, spekuliert, spielt mit der Gefahr, alles, um einmal für seinen Sohn einen tüchtigen Batzen beisammen zu haben. Und dann kommt dieser Herr Sohn und schmeißt mit einem plumpen Fußtritt das ganze Gerüst unseres Lebens zusammen.«
»Ich mußte es tun.« Rudolf von Eberstein ballte die Fäuste. »Ich hasse ihn. Ich hasse ihn mehr, als ich dein Geld liebe.«
»Hihihi, vom Haß ist noch niemand satt geworden. Sie werden dich rausschmeißen aus der Armee. Vielleicht sind sie so gnädig, daß sie es dir überlassen, den Abschied einzureichen.
Parbleu, verflucht von Roßbach, dann ist alles hin. Unser Ansehen ist beim Teufel und unser Kredit auch. Und wenn du nicht einmal die paar Taler Sold bekommst, wovon willst du leben?«
»Ich konnte nicht anders.«
Der Alte explodierte.
»Du Dummkopf! Du engstirniger Landsknecht! Nur ein Beschränkter läßt sich von seinen Gefühlen leiten. Haß und Liebe sind Dinge für Trottel. Was allein wichtig ist, ist das Geld. Und wir hatten welches. Wir waren auf dem besten Weg, mit den hübschen Summen, die ich zuletzt verdient habe, neue, gewinnbringende Spekulationen zu betreiben.
Hihihihi, da kommt mein Herr Sohn, mein eigen Fleisch und Blut mit seinem Haß und haut alles zusammen, als wäre es gar nichts.«
»Ich werde dir nicht länger mehr zur Last fallen«, sagte Rudolf von Eberstein verbissen.
»Mach nicht so große Worte. Du warst schon einmal auf dem Weg nach Amerika und bist wie ein geprügelter Hund zurückgekommen. Noch dazu durch die Gnade einer Seeräubergräfin. Geh jetzt zum Regiment und hör dir an, was der Alte zu sagen hat.«
»Es hat doch keinen Zweck mehr«, sagte Rudolf resigniert.
»Was willst du dann tun?«
»Gib — gib mir tausend Dukaten, und in einer Stunde habe ich Kassel hinter mir.«
»Desertieren? — Ohne Abschied desertieren? Du bist des Teufels. Willst du denn auch noch das letzte gute Tüpfelchen von unserem Namen nehmen?«
»Es ist mir alles so gleichgültig.«
»Ach, und was wird nun aus deinem Haß gegen diesen Herrn Baum?«
Rudolf starrte auf den Boden, als suche er dort Antwort, Hilfe, einen Rat.
»Hättest du gestern auch nur ein kleines bißchen von dieser Gleichgültigkeit an den Tag gelegt, dann wären wir morgen um zweitausend Dukaten reicher gewesen. Kein Hahn hätte nach den Hirschfelders gekräht. Und du stündest nach wie vor im Ansehen.«
»Also gut, ich gehe zum Regiment.«
59
Oberst von Köcknitz sah kopfschüttelnd seinen Adjutanten an, als dieser eintrat und meldete, daß Eberstein nirgends zu finden sei.
»Aber irgendwo muß er doch sein! Er kann sich nicht in Luft aufgelöst haben. Schließlich hat seine Abteilung doch Dienst. Schickt nochmals jemanden nach Hause zu ihm. Vielleicht ist er mittlerweile dort angekommen.«
»Zu Befehl, Herr Oberst.«
Der Adjutant wandte sich um und wollte hinaus. Da öffnete sich die Tür, und der Gesuchte trat ein.
Er nahm den Dreispitz ab und meldete sich zur Stelle. »Guten Morgen, Graf. Ich lasse schon zwei Stunden nach Euch suchen. Wo habt Ihr Euch aufgehalten?«
Die Stimme des Obersten klang wenig freundlich. Die Jovalität, mit der er ansonsten seine untergebenen Offiziere zu behandeln pflegte, war Eberstein gegenüber wie weggewischt.
»Ich habe eine wichtige Meldung zu machen. Herr Oberst«, sagte Rudolf von Eberstein mit schneeweißem Gesicht.
»Bitte?«
»Ich bin in der Nacht überfallen worden. Man hat mich in das Haus des Krugwirts geschleppt und gefesselt dort festgehalten.«
Der Oberst runzelte die Stirn. »Wer hat Euch überfallen? Der Krugwirt?«
»Nein. Es war einer von den Komplizen Baums. Er wollte sich wahrscheinlich für die Verhaftung seines Räuberhauptmanns rächen«, meinte Eberstein gehässig.
Der Oberst winkte dem Adjutanten hinauszugehen. Der Rittmeister verließ das Zimmer.
»Wie viele waren es, die Euch überwältigten?«
»Ich kann mich daran nicht mehr erinnern. Als ich erwachte, bekam ich nur einen zu Gesicht.
Wenn wir Baum vorführen lassen, so wird er Auskunft geben können.«
»Ah, Ihr wißt noch gar nicht, daß Doktor Baum wieder in Freiheit ist?«
Eberstein stellte sich überrascht.
»Davon ist mir nichts bekannt, Herr Oberst.«
»Nun, so nehmt es zur Kenntnis. Er ist heute nacht aus dem Arrestlokal ausgebrochen. Dann begab er sich sofort zu mir, um mich über verschiedene Dinge zu informieren, von denen ich bis heute keine Ahnung hatte.« Köcknitz stand langsam auf und blickte seinen Major durchbohrend an. »Ihr, Graf, habt bei seiner ausführlichen Schilderung nicht gerade rühmlich abgeschnitten.«
Eberstein wich dem Blick aus. Hier erhielt er die Bestätigung dafür, daß sich das Blatt gewendet hatte. Dennoch gab er nicht auf.
»Ich finde es befremdlich, daß Ihr, Herr Oberst, einem hergelaufenen Landstreicher Glauben schenkt. Es ist doch klar, daß er kein gutes Haar an mir gelassen hat, nachdem ich den Deserteur gestern verhaftet habe.«
»Herr«, rief Köcknitz aufgebracht und hieb mit der Faust auf den Tisch, »ich verbitte mir Eure Kritik! Ich weiß, was ich weiß. Ich kenne die Menschen ein wenig besser als Ihr. Eure Lügen sind eines Offiziers unwürdig.«
»Ich lüge nicht«, behauptete Eberstein frech.
Köcknitz ging um den Tisch herum, bis er dicht vor Eberstein stand.
»Ich habe nie sonderlich viel von Euch gehalten, Graf, aber ich dachte, Ihr seid nur leichtsinnig.
Da mußte erst, wie Ihr so schön sagtet, ein hergelaufener Landstreicher kommen, um mir zu sagen, daß ich unter meinen Abteilungskommandeuren einen — einen — Verbrecher habe.«
Eberstein fuhr einen Schritt zurück. Seine Hand flog zum Degenknauf. In seinen Augen stand Wildheit.
»Zieht blank, Graf Köcknitz«, rief er.
Köcknitz stand wie eine Statue. Seine Züge waren verschlossener denn je.
»Ich schlage mich nur mit Ehrenmännern, Graf Eberstein. Im übrigen mache ich Euch darauf aufmerksam, daß Ihr Euch noch im Dienst befindet.«
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