»Um so besser. — Ist es Euch möglich, den Wert dieses Steins abzuschätzen?«
Michel zog einen der ungeschliffenen Diamanten von der gleichen Sorte, wie er Eck einen gegeben hatte, aus der Tasche. Er warf ihn über den Tisch, so, daß Jehu ihn auffangen konnte.
Jehu bekam riesengroße Augen. Er hielt ihn ganz dicht in den Schein einer Kerze. Er drehte und wandte ihn nach allen Seiten.
»Ein Prachtexemplar«, sagte er. »Einen solchen Stein habe ich noch nie gesehen. Und er scheint vollkommen rein zu sein.«
»Er ist rein«, sagte Michel. »Wie hoch schätzt Ihr seinen Wert?«
»Das — das kann ich nicht. Ich kenne einen aus der Werkstatt Hirschfelders, der ist halb so groß wie dieser hier. Hirschfelder bezifferte seinen Wert auf annähernd dreißigtausend Dukaten.«
»Wieviel von diesen Steinen würdet Ihr brauchen, um mit Eurer Braut und ihrer Mutter irgendwo ein neues Leben anzufangen?«
»Das — das — verstehe ich nicht.«
»Was ist daran unverständlich? — Nehmt an, Ihr würdet nach Amerika gehen. Ich weiß, daß viele Menschen Eures Glaubens dorthin gegangen sind, um als gleichberechtigte Menschen in Freiheit zu leben. Erwägt diesen Gedanken einmal.«
»Amerika?« Jehus Augen glänzten. »Meint Ihr, daß ich auch dort Musik machen kann?«
»Warum sollte man es nicht können? Ich bin davon überzeugt, daß ein junger, begabter Musiker drüben mehr Chancen hat als hier.«
»Ich ginge sofort. Aber nicht ohne Rachel. Sie ist mir mehr wert als alle Diamanten der Welt und — als die Freiheit.«
»Ich habe Achtung für Euer Gefühl. Aber auch Rachel ist jung. Weshalb nicht auf einem jungen Kontinent ein neues Leben anfangen, wenn sich die Möglichkeit dazu bietet? Viele sind ausgewandert, denen die Heimat zu eng geworden ist. Und es war nicht nur die Enge des kleinen Erdteils, die sie hinaustrieb, sondern vor allem die Enge des Geistes. Es gibt Menschen, die nicht zu leben vermögen, ohne frei und offen ihre Meinung sagen zu können.«
»Ihr mögt recht haben, Herr Baum. Ich habe eigentlich noch nie darüber nachgedacht. Nur eines schmerzt mich sehr. In den nächsten Tagen muß der Krugwirt das neue Hammerklavier bekommen. Es wird mir schwerfallen, mich von diesem neuen Instrument zu trennen.«
»Kauft Euch selbst eins«, sagte Michel. Er griff abermals in die Tasche und brachte dann die geschlossene Hand zum Vorschein, die er auf den Tisch legte und öffnete. Drei Steine von der gleichen Güte wie der erste glänzten im Kerzenlicht.
»Hier«, sagte er, »davon könnt Ihr die Überfahrt bezahlen, könnt Euch ein halbes Dutzend Hammerklaviere kaufen, könnt Euch ein Haus in Amerika bauen, braucht nicht für Geld zu arbeiten, sondern könnt Eure Zeit dazu verwenden, Euch im Klavierspiel zu vervollkommnen.
Ich glaube auch nicht, daß man Euch drüben daran hindern wird, Orgel in einer christlichen Kirche zu spielen.«
Jehu fuhr von seinem Stuhl auf. Er starrte Michel wie ein Wesen aus einer anderen Welt an.
»Wollt Ihr — wollt Ihr damit sagen, daß Ihr mir diese Steine — diese Steine —«
»Ja, genau das wollte ich sagen. Hier, nehmt sie, und verlaßt Euch darauf, ich werde auch herausfinden, um wieviel Geld Eberstein die Hirschfelders erpreßt hat. Er wird das auf Heller und Pfennig zurückzahlen.«
Jehu hatte sich immer noch nicht gefaßt.
»Ich kann das doch nicht annehmen, Herr Doktor!«
»Natürlich könnt Ihr. Ich gebe mein Geld keinem Unwürdigen. Ihr gefallt mir. Nehmt es als Belohnung für Euer Bachspiel vorgestern abend.«Michel legte die Steine einfach vor Jehu hin und tat so, als wollte er sich nicht mehr darum kümmern. Dann meinte er:
»So, und nun zu der Bitte, die ich an Euch habe. Hier nehmt diesen Beutel. Er enthält noch fünfzehn solcher Steine. Verwahrt ihn für mich. Dort, in der Ecke, steht ein Tragkorb, der meinen wichtigsten und kostbarsten Besitz enthält. Könnt Ihr ihn auf Euer Zimmer stellen?«
»Selbstverständlich, Herr Doktor.«
»Und Ihr werdet zu niemandem darüber sprechen?«
»Zu niemandem. Darf ich fragen, was in dem Korb ist?«
»Das hätte ich Euch ohnehin erklärt. Es befinden sich einige Säcke mit Dukaten darin und meine Waffen. Darunter ein Gewehr, das mehr wert ist als alles Gold in den Säcken, jedenfalls für mich. Sollte mir irgend etwas zustoßen, so gebt das Gold aus dem Korb, die anderen Kleinigkeiten und fünf Diamanten aus diesem Säckchen Charlotte Eck. Die Waffen und die restlichen zehn Diamanten meinem Vater. — So, das wäre alles. Dürfen wir jetzt den Korb in Euer Zimmer bringen?«
Jehu nickte und erhob sich.
Michel wandte sich an Ojo und sagte ihm, daß es soweit sei. Dann hoben die beiden kräftigen Männer den Korb auf und wollten das Zimmer verlassen. Doch in diesem Augenblick fielen Michels Augen auf die vier Diamanten, die er Jehu angeboten hatte, die aber immer noch auf dem Tisch lagen.
»Jehu, Ihr habt Eure Diamanten vergessen. Wollt Ihr sie vielleicht als Trinkgeld für den Wirt liegen lassen?«
Jehu kam zurück und nahm die Steine zögernd an sich. Dann verließen sie das Zimmer.
50
»Hm, eine unangenehme Sache«, sagte der alte Eberstein zu seinem Sohn, »die du dir da eingebrockt hast. Nun ist dein ganzer mühsamer Schwindel über Nacht zusammengebrochen.
Die Jüdin bist du los und Charlotte auch.«
»Wer konnte auch ahnen, daß der verfluchte Kerl so bald wiederkommen würde?«
»Man muß mit allen Möglichkeiten rechnen, auch mit den unangenehmen. Und dabei hättest du dich noch gut aus der Affäre ziehen können; es ist schon eine Riesendummheit, daß du Richard Baum eingelocht hast. Was wirst du nun tun, wenn er vor dem Militärgericht wahrheitsgemäß aussagt?«
»Das kann er nicht. Dann gefährdet er seinen Vetter.«
»Ach was, er wird versuchen, die eigene Haut zu retten. Und wir sind die Blamierten. Hättest du diesen Michael Baum mit seiner Charlotte ziehen lassen, dann wäre die ganze Angelegenheit mit einem Schlag gelöst gewesen. Warum dieses dumme, alberne Manöver mit der Arretierung Richards?«
»Meine Ehre verbietet es mir einfach, mich von diesen Baums maßregeln zu lassen«, sagte Rudolf von Eberstein, und es schien, als sei er tatsächlich von der Wahrheit seiner Worte überzeugt.
»Deine Ehre — lächerlich! Deine Ehre ist ein Dreck, wenn wir kein Geld haben. Baum wird die Verhaftung seines Vetters als das auffassen, was es ist: eine Provokation. Und wenn er erst mal dran ist, reinen Tisch zu machen, dann kommt vielleicht auch die Sache mit denHirschfelders heraus. Du sagtest mir doch, daß er dir gegenüber bereits diesbezügliche Andeutungen gemacht habe.«
»Ja. Während wir fochten.«
Rudolf stierte vor sich auf den Boden. Daß er auch noch aus dem Mund seines Vaters Vorwürfe hören mußte, hätte er nicht erwartet. Er wälzte finstere Gedanken in seinem Gehirn. Aber es fiel ihm nichts ein, was ihm helfen konnte, die ganze Angelegenheit zu seinen Gunsten zu lösen. Er bedauerte es außerordentlich, daß er beim Militärgericht bereits Anklage erhoben hatte. Wieder einmal war er zu voreilig gewesen.
Der Alte ging nachdenklich im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er vor seinem Sohn stehen und setzte ihm den Zeigefinger auf die Brust.
»Hihihi«, kicherte er, »wir müssen eben große Wäsche machen. Und wir laugen die einzelnen Stücke so aus, daß man nachher nichts mehr von ihnen findet.«
»Ich verstehe nicht, Papa.«
»Das ist das einzige, was ich jedesmal aus deinem Mund höre, wenn es gilt, unliebsame Dinge aus der Welt zu schaffen. — Die Verhandlung des Militärgerichts ist für morgen anberaumt?«
»Ja.«
»Kann man sie nicht verschieben?«
»Schon, ich müßte allerdings einen plausiblen Grund dafür haben.«
»Nun, darum wirst du ja wohl wenigstens nicht verlegen sein. Also sieh zu, daß sie verschoben wird. Sie sollen den Termin eine Woche später ansetzen. Bis dahin wissen wir dann, ob wir verloren oder gewonnen haben.«
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