»Revolution ist nicht immer Unduldsamkeit«, warf Michel ein. »Es kommt darauf an, was der einzelne Mensch daraus für sich macht. Mit der Revolution muß man bei sich selbst anfangen.
Und das habe ich getan. Und Ihr könnt Euch darauf verlassen, ich habe auf meiner langen Reise gelernt, daß Unduldsamkeit das schlimmste Verbrechen ist.«
»Aber, Charlotte, wirst du die Strapazen überstehen?«
»Welche Strapazen?« fragte Michel. »Nun, sie wird das Leben eines Pioniers leben müssen. Bis zu diesem Tag war sie in behüteter bürgerlicher Umgebung. Wer dorthin geht, in Euer Land der Freiheit, muß hart sein, um den Kampf um die Existenz zu bestehen.«
»Normalerweise wären Eure Bedenken gerechtfertigt«, lächelte Michel, »aber es ist doch manches anders geworden in den letzten Jahren. Ich gehe heute nicht als mittelloser Mann nach Amerika. Charlotte wird nicht die Unbilden des Pionierlebens erdulden müssen. Sie wird sich alles leisten können, was ich hier niemals haben könnte.«
»Soll das heißen, daß Ihr reich seid?«
»Man kann es so nennen. Versteht Ihr etwas von Diamanten?«
»Nicht viel. Nicht mehr als ein braver Mann, der seiner Frau hin und wieder ein Stück Schmuck gekauft hat.«
Michel zog ein blitzendes Etwas aus der Tasche. Es war ein Stein, zweimal so groß wie der Daumennagel eines ausgewachsenen Mannes.
Er reichte ihn Eck hinüber.
»Seht Euch das an. Ihr braucht keinen ausgesprochenen Diamantenverstand, um den Wert dieses Steins zu erkennen.«
Eck bekam große Augen.
»Gehört dieser Stein Euch?«
Michel nickte. Dann meinte er: »Er gehörte mir.«
»Was soll das heißen?«
»Daß er von jetzt an Euer Eigentum ist.«
Vater Eck schüttelte den Kopf.
»Nein, Michel, ein solches Geschenk werde ich niemals annehmen. Erstens brauche ich keine Reichtümer mehr. Und zweitens haben wir genug zum Leben. Ihr wißt selbst, daß ich nicht arm bin.«
»Betrachtet den Stein nicht als Geschenk, um EuernWohlstand aufzufrischen. Behaltet ihn als Andenken an mich.«
»Aber wenn Ihr so große Pläne habt, wenn Ihr mit Charlotte nach Amerika gehen wollt, so wird er Euch fehlen. Er dürfte Euch ein schönes Stück Geld bringen, so viel, daß es zum Erwerb eines anständigen Hauses reichen würde.«
Michel nickte lächelnd vor sich hin. In seinen Augen saß der Schalk. Hier spürte er zum erstenmal, wozu der Schatz des Kilimandscharo gut war. Schon als er in Hamburg Dieuxdonnés Schiff verlassen und sich zu jener Bank begeben hatte, die ihm von Kapitän Weber empfohlen worden war, war ihm klargeworden, daß das übriggebliebene Säckchen Steine einen immensen Reichtum darstellte. Der Bankdirektor hatte ihm versichert, daß er zu den reichsten Männern Europas gehöre. Wie große Augen aber hatte der hanseatische Bankier gemacht, als ihm auch die Anteile Tschams und Ojos übergeben wurden! Allein die Säcke mit Perlen, die bereits Kapitän Weber abgeliefert hatte, waren ein ungeheures Vermögen wert. Der Bankmann, sonst ein nüchterner Kaufmann, war geradezu aus dem Häuschen geraten. In stundenlangem, begeistertem Vortrag hatte er von tausend Verwendungsmöglichkeiten des Geldes, das der Verkauf der Diamanten bringen würde, gesprochen. Die phantastischsten Möglichkeiten waren vor Michels Augen aufgetaucht. Aber dann hatte er abgewinkt. Er war nicht der Mann, der sein Leben als Wirtschaftsmagnat beschließen wollte. Ihm genügte das Wissen, daß er in Zukunft unabhängig sein würde, daß seine individuelle Freiheit gewahrt war.
»Hm, Vater Eck«, sagte er jetzt, »was würdet Ihr nun sagen, wenn ich einen ganzen Sack solcher Steine besäße?«
Der alte Eck starrte ihn ungläubig an.
»Treibt doch keine üblen Scherze mit einem alten Mann, Michel!«
Michel schüttelte den Kopf.
»Es ist kein Scherz. Ich habe einen mittelgroßen Salzsack voll davon.«
»Unfaßbar — unfaßbar —, dann seid Ihr ein unermeßlich reicher Mann!«
»Was ist schon Reichtum?«
»Ich hätte mir denken können, daß Ihr den materiellen Gütern nicht allzu vielen Wert beimeßt.
Und trotzdem laßt Euch von einem alten Kaufmann sagen, daß Geld zwar nicht unbedingt glücklich macht, aber sehr beruhigend ist.«
»Nun, ich hoffe, es beruhigt vor allem Euch. Ihr werdet nun glauben, daß Charlotte bei mir in guten Händen ist?«
»Auch ohne diesen Reichtum hätte ich es geglaubt. Was sagt Euer Vater dazu?«
»Wozu? — Zu meiner Absicht, nach Amerika zu gehen?«
»Nein, zu Euerm Reichtum.«
»Ich hatte noch keine Zeit, ihm davon zu berichten. Es gab wichtigere Dinge. Und meinen Vater wird es kaum interessieren, ob sein Sohn Millionär ist oder Bettler. Er betrachtet die Welt ohnehin aus einer anderen Perspektive.«
»Da habt Ihr recht. Er ist ein Mann, dem mein größter Respekt gehört.«
Ein leichtes Stöhnen zeigte an, daß Mutter Eck wieder in die Gefilde des Bewußtseins zurückkehrte. Sie schlug die Augen auf.
»Was ist? — Was war los mit mir? — Ich habe einenentsetzlichen Traum gehabt. — Stellt euch vor, ich träumte, daß der tote Michel Baum plötzlich wieder auferstanden ist.«
»Das war kein Traum, Mutter«, sagte Charlotte. »Michel Baum ist hier. Er steht neben mir.«
Die Nachricht kam wohl noch immer ein wenig zu plötzlich; denn mit einem erneuten Seufzer schloß die alte Dame die Augen wieder. Ob sie abermals in eine Ohnmacht gefallen war, war schwer festzustellen; jedenfalls machte sie keine Anstalten, sich zu erheben.
Sie saßen an diesem Abend noch lange zusammen und feierten Michels Wiederkunft mit ein paar Flaschen Wein.
»Ich werde morgen früh gleich mit dem Pfarrer sprechen«, sagte Vater Eck, »und das Aufgebot bestellen.«
»Bittet ihn, daß er die Wartezeit ein wenig abkürzt«, meinte Michel.
»Ihr wollt bald fahren?«
»So bald als möglich«, entgegnete Michel. »Ich habe das Gefühl, daß man mich nicht lange ungeschoren lassen wird. Und hinzu kommt, daß ich Eberstein zu gut kenne, um nicht zu wissen, daß ihm ein Ehrenwort nichts wert ist.«
Eck nickte.
48
Es war spät geworden, als Michel nach Hause kam. Aber sein Vater war noch auf.
Es schien, als habe er die Rückkehr seines Sohnes ungeduldig erwartet.
Michel umarmte ihn lachend.
»Ich habe eigentlich angenommen, daß du auf ein Stündchen zu Ecks hinübergekommen wärest.
Es war sehr nett und sehr gemütlich. Und« — strahlte er — »das Jawort des Vaters habe ich auch.«
»Meinen herzlichsten Glückwunsch, Junge. — Eigentlich hatte ich vor, hinüberzukommen. Aber es kam etwas sehr Unliebsames dazwischen. Mir ist die Stimmung für den heutigen Tag restlos verdorben.«
»Nanu? Was hat es denn gegeben?«
»Da, auf dem Tisch liegt es. Ein Schreiben von der Abteilung Richards. Lies es.«
Michel hatte das Papier mit einem Griff in der Hand.
» ... und halte es daher für meine Pflicht, Euch als dem Onkel des Premierleutnants Richard Baum, der an diesem Vaterstatt vertritt, mitzuteilen, daß Euer Neffe wegen schweren Vergehens gegen seinen Vorgesetzten heute bei Antritt seines Wachdienstes arretiert werden mußte.
Rudolf Graf von Eberstein Major und Abteilungskommandeur.«
Er warf das Schreiben auf den Tisch. Seine Lippen standen wie zwei schmale bleiche Striche im braunen Gesicht. Seine Augenlider verengten sich zu einem Spalt. Sein Gesicht nahm einen bedrohlichen Ausdruck an.
»Eberstein und Richard waren Freunde«, sagte der Vater.
Michel nickte.
»Ich weiß. Ich hatte heute nachmittag einen kleinen Zusammenstoß mit Herrn Eberstein. Und dazu lieh mir Richard seinen Degen.«
Er erzählte ausführlich, was sich seit seinem Weggang zugetragen hatte.
»Er ist ein Unmensch«, sagte Andreas Baum erschüttert. »Was für eine Anklage werden sie nun gegen Richard erheben?«
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